1. Startseite
Logo

Der Kampf um Leben kennt kaum noch Pausen

350_0900_32353_06_05_21Wolschendorf_21.jpg
Die Arbeit auf Intensivstationen ist immer überdurchschnittlich belastend. Die Extremsituation der Pandemie hat die Lage von Ärzten und Pflegekräften aber noch verschärft. „In der ersten Welle haben wir gehofft: Nächstes Jahr ist das vorbei“, sagt Intensivpflegerin Jessica Falb. „Doch seit Beginn der zweiten Welle geht es toujours durch!“

Kreis Ludwigsburg. „Wir kämpfen jeden Tag um Menschenleben“, beschreibt Jessica Falb den Alltag auf den Intensivstationen, auch auf denen der RKH-Kliniken in Ludwigsburg und Bietigheim. Die 38-jährige Backnangerin kennt ihn seit zehn Jahren. Acht Stunden am Tag durchweg am Krankenbett von zwei bis höchstens drei Patienten, die um ihr Leben ringen. Dazwischen eine halbe Stunde Pause, das Ganze im Drei-Schicht-Betrieb. „Unsere Arbeit ist immer sehr anstrengend, auch ohne Corona“, sagt Jessica Falb. Körperlich und psychisch. Auch im Normalbetrieb sterben bis zu 30 Prozent der Patienten auf Intensivstationen, sei es nach Unfällen, nach schwersten Operationen oder an Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Daran hat sich auch in der Pandemie nichts geändert. Die Patienten, die nun lebensbedrohlich an Covid-19 erkrankt sind, kommen schlicht hinzu. Jeder Coronapatient „auf Intensiv“ bedeutet von vornherein den Kampf um ein zusätzliches Menschenleben, eine zusätzliche Belastung fürs medizinische Personal – ebenfalls körperlich genauso wie seelisch. Wegen des Infektionsrisikos müssen Ärzte und Pflegekräfte Schutzkleidung aus Kunststoff tragen, Masken natürlich und Schutzvisiere vor dem Gesicht. „Man schwitzt die ganze Zeit“, berichtet Jessica Falb. Coronapatienten müssen immer wieder gedreht werden, weil die Bauchlage ihre Lungen entlastet. Und die Sterblichkeit ist besonders hoch: Etwa jeder zweite Coronapatient, der invasiv beatmet werden muss, überlebt die Folgen der Infektion nicht.

Zusehen zu müssen, wie ihre Patienten, die teils wochenlang auf der Intensivstation liegen, an Covid-19 sterben müssen, sei extrem schwer, sagt Jessica Falb. „Du weißt, du hast alles getan. Und trotzdem ist ihr Zustand nicht besser geworden. Du fragst dich, warum nur? Wir kämpfen von früh bis spät – und haben doch so oft keinen Erfolg.“ Die 38-Jährige wirkt nicht wie jemand, der leicht umzuwerfen ist. Aber man spürt, wie angefasst sie ist von dem, was sie seit 14 Monaten tagtäglich erlebt. „Corona ist anders“, sagt sie. „Definitiv!“

Da sei beispielsweise die Panik, „die du in den Augen der wachen Patienten siehst, wenn sie keine Luft mehr bekommen. Ihre Angst zu ersticken.“ Als besonders schwierig erlebt es Jessica Falb auch, wenn die Angehörigen von Covid-19-Patienten selbst in Quarantäne sind, ihr Kontakt zur Familie daher nur telefonisch möglich ist. Der Austausch mit den Angehörigen intubierter oder komatöser Patienten gehört auch sonst zum Alltag auf Intensivstationen, „er hilft uns, eine persönliche Beziehung zu unseren Patienten aufzubauen“. Selbst das aber ist durch das Virus sehr viel schwieriger geworden als sonst. Es helfe, wenn die Familien sich auf einen Ansprechpartner verständigt hätten, der die Kommunikation übernehme. „Da erfahren wir viel über die Menschen, um deren Leben wir ringen.“

Doch allzu oft sterben auch relativ junge Coronapatienten, ohne dass sie und ihre Familien sich voneinander verabschieden konnten. „Das tut weh“, sagt Jessica Falb. Besonders bitter: Ihren letzten Weg müssen verstorbene Coronapatienten aus Infektionsschutzgründen in weißen Leichensäcken antreten. „Wenn da der Reißverschluss zugezogen wird und du weißt, das war es jetzt, dann kommen mir einfach die Tränen“, erzählt Jessica Falb. „Aber das ist dann auch richtig so.“

Wie verkraftet sie diese Belastung? „Du arbeitest bis zur Erschöpfung, gehst heim, arbeitest wieder“, antwortet sie. „Man kommt nicht zur Ruhe, hat das Gefühl, du kannst nicht mehr, machst aber weiter. Was dich hält, ist der Zusammenhalt im Team!“ Viele Möglichkeiten der Erholung, die in normalen Zeiten selbstverständlich sind, entfallen derzeit für alle – also auch für ausgelaugte Pflegekräfte. Jessica Falb etwa leitet in ihrer Freizeit eine Maskengruppe, tobt sich gern beim Zumba aus. Beides geht zurzeit nicht. Ausgleich sucht die 38-Jährige deshalb in der Natur, sie geht oft in den Wald und fährt viel Rad. Beides tut ihr gut – ebenfalls körperlich wie psychisch. Und sie sucht das Gespräch mit Kolleginnen, Freunden, ihrem jüngsten Bruder.

Was sie sich wünscht? Dass dem symbolischen Respekt, der den Pflegekräften in der ersten Welle von Balkonen aus gezollt wurde und inzwischen weithin wieder versiegt ist, Taten folgen. Die Anerkennung durch eine angemessene Bezahlung und durch tragbare Arbeitsbedingungen nach der Pandemie. Als Jessica Falb vor 17 Jahren ihre Ausbildung als Krankenschwester absolviert hatte, fand sie zunächst keine Stelle in einem Krankenhaus, arbeitete anfangs in einem Altenheim: Der politisch gewollte Abbau von Pflegepersonal aus finanziellen Gründen hatte in den Kliniken der Republik begonnen. Der Anfang einer Personalverknappung, die den Pflegeberuf immer weniger attraktiv machte und zum heutigen Pflegenotstand führte. „Die Politik“, sagt Jessica Falb, „muss endlich zeigen, dass wir ihr wirklich etwas wert sind!“

Zum Ende des Gesprächs kommt sie von sich aus auf diejenigen zu sprechen, die die Coronapandemie leugnen oder „für nicht so schlimm“ und „eine Art Grippe“ halten. „Es ist fürchterlich, die ganze Zeit um Menschenleben zu kämpfen und dann so etwas hören zu müssen“, betont sie empört. „Corona ist etwas ganz anderes als eine Grippe! Wer Influenza hat, muss nicht so elend ersticken.“