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Der Pate von jungen Syrern

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Am Anfang war es Neugier, die Gernot Geldner dazu brachte, in diese Turnhalle zu gehen. Neugier, wie sie wohl aussehen mögen, die Flüchtlinge, die im Herbst 2015 mit dem großen Schwapp ins Land gekommen waren. Er hat es nicht beim Gucken belassen; heute ist der 68-Jährige väterlicher Freund für acht junge Syrer, einer der engagierten ehrenamtlichen Helfer des Asylkreises Marbach – und am 17. März Gast bei der Bundeskanzlerin in Berlin.
Ludwigsburg. An diesem Tag lädt Angela Merkel ehrenamtliche Flüchtlingshelfer zu sich ins Kanzleramt ein. Auch der Asylkreis Marbach hat eine Einladung bekommen und „ich habe den Finger gestreckt“, sagt Gernot Geldner auf die Frage, warum gerade er ausgewählt wurde. Jetzt vertritt er die Marbacher Flüchtlingshelfer am Freitag in einer Woche beim Treffen im Kanzleramt.

An jenem Tag vor der improvisierten Flüchtlingsunterkunft – die er zunächst nur vorsichtig von Außen beäugte – sprach Gernot Geldner einen arabisch aussehenden Mann an: Er habe drei Plätze im Auto, man könnte etwas gemeinsam unternehmen. So hat es angefangen. Und Geldner ist dabei geblieben. Um die viel zitierten und oft gescholtenen jungen Männer wollten er und seine Freundin sich kümmern, denn in der Familie haben sie einander, „die kommen schon zurecht“, sagt Geldner. Für die jungen Männer aber hat er einen neuen Superlativ gefunden: „Die sind am alleinsten.“ Inzwischen betreut er acht junge Syrer im Alter zwischen 20 und 25 Jahren. Sie stammen aus Damaskus und Deir-ez-Zor, einer Stadt am Euphrat. Ein einziges Mal haben sie Gernot Geldner Fotos von der zerstörten Stadt und von zerfetzten Leibern gezeigt, dann nie mehr. „Sie sind sehr zurückhaltend“, sagt er. Einer ist Student, ein Tierarzt ist unter den acht, ein Physiklehrer, ein Agraringenieur, ein Apotheker; alle haben sie die erste Hürde der Anerkennung genommen, sind in der Anschlussunterbringung und haben den Drei-Jahres-Status. Alle sprechen inzwischen ganz gut deutsch. So gut jedenfalls, dass sie sich bei gemeinsamen Unternehmungen – Grillen im Garten, ein Besuch in der Wilhelma – nicht mehr auf englisch verständigen müssen wie am Anfang.

Um nach Deutschland zu kommen – übers Mittelmeer und die damals noch offene Balkanroute – haben ihre Familien das Geld zusammengekratzt. Wer es sich irgendwie leisten kann, will seine Söhne in Sicherheit bringen. Die jungen Syrer, sagt Gernot Geldner, kommen her, weil sie nicht in die Armee wollen. Und den Deutschen, die fragen, warum „die denn nicht kämpfen“, hält er entgegen: „Wofür denn? Für Assad? Für Al-Kaida? Für Al-Nusra?“

Für Geldner, der als Vetriebschef einer Firma für chemische Geräte selbst viel im Ausland herumgekommen ist und zeitweise in den USA gelebt hat, ist es kein Problem, sich in andere Kulturen einzufühlen. „Aber jetzt sind sie hier und müssen lernen, hier zurecht zu kommen.“ Einmal war er mit „seinen Buben“ im Porschemuseum: Glänzende Augen bei den jungen Syrern – und ein Vortrag von Geldner über Hochtechnologie, ohne die in Deutschland kein berufliches Fortkommen möglich sei. Denn wie soll es weiter gehen? Im erlernten Beruf Fuß zu fassen ist schwierig, wenn Studiengänge und Abschlüsse nicht anerkannt werden. „Jetzt geht das Spannende erst los“, sagt Geldner.

Alltagsprobleme waren da deutlich einfacher in den Griff zu bekommen, zum Beispiel die Sache mit der Pünktlichkeit, auf die Deutsche so viel Wert legen. Bei den jungen Syrern hatte das anfangs großes Unverständnis ausgelöst. Inzwischen schicken sie eine SMS, wenn sie sich ein paar Minuten verspäten – oder sind gleich pünktlich.

Trotz des Vertrauensverhältnisses, das Geldner zu den jungen Männern aufgebaut hat, gibt es heikle Themen. Über Homosexualität wird nicht gesprochen, „das ist wie bei uns vor dreißig, vierzig Jahren“. Und ein Besuch auf dem Wasen endete ohne gemeinsames Schunkeln mit den jungen Frauen am Nebentisch – „dabei sind es hübsche Buben, aber sie sind sehr zurückhaltend.“

Die Reaktionen auf sein Engagement, sagt Gernot Geldner, fallen unterschiedlich aus. Wer es ablehnt, sei meist still, hat er festgestellt, wer es gut findet, sagt das auch – und das sei die Mehrheit. Echte Ablehnung habe er nur in einer Bar in den neuen Bundesländern erlebt.

Wird er der Bundeskanzlerin etwas sagen? „Ich weiß nicht, ob ich mich traue“, sagt Geldner. Aber wenn er sich traut, will er fragen, warum alle Bemühungen, die Ehefrau eines seiner Schützlinge her zu holen, vergeblich sind.