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Der Sir wird neuer Chef

Steht für neue Wege, Menschen für Musik zu begeistern: Simon Rattle. Foto: Peter Meisel/epd
Steht für neue Wege, Menschen für Musik zu begeistern: Simon Rattle. Foto: Peter Meisel/epd
Simon Rattle wird Nachfolger von Mariss Jansons an der Spitze des BR-Symphonieorchesters

München. Es ist eine Spitzenpersonalie in der Welt der klassischen Musik: Sir Simon Rattle wird Chefdirigent des Symphonieorchesters und des Chores des Bayerischen Rundfunks (BRSO). Er werde sein Amt zur Spielzeit 2023/2024 antreten, teilte der Bayerische Rundfunk (BR) gestern in München mit. Der Vertrag läuft zunächst über fünf Jahre. Bis dahin bleibt der 65-Jährige noch Musikdirektor des London Symphony Orchestra. Wenn er im Herbst 2023 nach München wechselt, will er dem Londoner Ensemble aber weiter für ausgewählte Projekte verbunden bleiben, wie das Orchester ankündigte. Ein kleiner Trost für die Briten, die entsetzt auf die Ankündigung reagierten.

Freude gab es hingegen in München: „Mit seiner Leidenschaft, mit seiner künstlerischen Vielseitigkeit und mit seinem einnehmenden Charisma wird er ein überaus würdiger Nachfolger von Mariss Jansons sein“, sagte BR-Intendant Ulrich Wilhelm. Wie kein anderer stehe er für neue Wege, Menschen für Musik zu begeistern. Dies sei ein wichtiges Signal gerade in einer Zeit, in der die Kunst mit Einschränkungen durch die Pandemie zu kämpfen habe.

Der Brite hat viel Erfahrung mit deutschen Toporchestern, nicht nur, weil er beim BRSO schon des Öfteren am Dirigentenpult stand. Von 2002 bis 2018 war er bereits Chefdirigent und künstlerischer Leiter der Berliner Philharmoniker. 2017 übernahm er dann den Posten in London.

Viele musikliebende Briten reagierten entsetzt. Das sei ein Schock für die Orchesterwelt und ein „Schlag für die britische Musik“, kommentierte etwa die Tageszeitung „Times“. Der BBC-Journalist Will Gompertz vermutet, dass Frustration über die britische Politik eine Rolle spielte, unter anderem, weil Rattle sehr enttäuscht über den Brexit gewesen sei. Rattle formulierte es anders: Dass er nun nach München wechsle, habe rein persönliche Gründe, teilte der Wahlberliner über das Londoner Orchester mit. Von München aus könne er näher bei seiner Familie sein und auch besser für seine Kinder da sein. „Ich liebe das London Symphony Orchestra.“

Nun folgt Rattle also auf Mariss Jansons, der seit 2003 an der Spitze des Ensembles gestanden hatte und am 1. Dezember 2019 überraschend mit 76 Jahren gestorben war. Die Entscheidung kommt nicht überraschend. Dem Vernehmen nach soll er der Wunschkandidat von Jansons gewesen sein. Als nach dessen Tod die Nachfolgedebatte aufkam, wurde Rattle schon recht bald als Anwärter gehandelt, ebenso wie der 45-jährige Kanadier Yannick Nézet-Séguin, derzeit unter anderem Musikchef der New Yorker Metropolitan Opera. Ins Spiel gebracht wurde in Medienberichten zudem der Österreicher Franz Welser-Möst (60), seit 2002 Musikdirektor des Cleveland Orchestra.

Dass es nun nach gut einem Jahr einen namhaften Nachfolger für Jansons gibt, war vor allem ein Anliegen von BR-Intendant Ulrich Wilhelm. Noch vor dem Ende seiner Amtszeit zum 31. Januar wollte er eine Entscheidung, allerdings nicht über das Orchester hinweg. Es gebe eine sehr enge Abstimmung, hatte Wilhelm immer betont. Allerdings hatte die Corona-pandemie die Entscheidung verzögert. Reisebeschränkungen und der Ausfall von Konzerten erschwerten die Suche und die Gespräche mit Kandidaten. Nun hätten sich Chor und Orchester in einem überwältigenden Votum für Rattle ausgesprochen.

Seinen Einstand beim BRSO hatte Rattle 2010 mit der Aufführung „Das Paradies und die Peri“ von Robert Schumann. Seitdem kehrte er immer wieder zurück. „Selten gibt es zwischen Dirigent und Orchester von Anfang an ein so tiefes gegenseitiges, musikalisches Verständnis“, schrieb das Orchester über seinen designierten Chef.

Bayerns Kunstminister Bernd Sibler (CSU) erklärte, die Personalie sei „ein echter Coup“. „Sir Simon Rattle steht nicht nur für mitreißende Konzerte. Er setzt sich auch leidenschaftlich dafür ein, dass klassische Musik Menschen jeder Herkunft und jeden Alters erreicht“, sagte der Minister. „Die leidenschaftliche Vermittlung von Musik - live und digital – und die Verbindung von höchstem künstlerischen Anspruch mit niedriger Hemmschwelle für das Publikum sind auch für das geplante neue Konzerthaus München wesentliche Ziele.“

Sichtbare Fortschritte bei der Realisierung des Konzerthauses wären wohl das größte Willkommensgeschenk, das der Freistaat Rattle machen könnte. 2018 sollte der Bau des Prestigeprojekts starten, das schon Jansons als Spielstätte des Orchesters am Herzen lag. Seitdem wird immer noch geplant und wegen der Coronakrise nach Möglichkeiten für Einsparungen gesucht. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bekennt sich weiter dazu. Auch Rattle sicherte Unterstützung zu: „Es wird dem BRSO das Arbeitsumfeld bieten, das es verdient.“