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„Die Hospitalisierungsinzidenz ist eine Krücke“

„Am liebsten wäre mir eine Inzidenz der ungeimpften Positiven“, meint Götz Geldner, Intensivchef der RKH.
„Am liebsten wäre mir eine Inzidenz der ungeimpften Positiven“, meint Götz Geldner, Intensivchef der RKH.
Auch das neue Corona-Vorwarnsystem hat nach Ansicht des RKH-Intensivchefs Götz Geldner noch deutliche Schwächen

Kreis Ludwigsburg. Seit vorigem Donnerstag löst in Baden-Württemberg nicht mehr die – in der Sieben-Tage-Inzidenz auf Einwohnerzahlen umgerechnete – Zahl der Neuinfektionen, sondern die Belastung der Krankenhäuser mit Coronapatienten die Pandemie-Warnstufen aus. Doch die sogenannte Hospitalisierungsinzidenz ist sofort unter Beschuss geraten.

Ein Grund: Sie kann, im Gegensatz zur Sieben-Tage-Inzidenz, keine lokalen Gegebenheiten mehr abbilden, sondern ist nur landesweit aussagekräftig. Denn Großstädte und Uniklinik-Standorte haben im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung überproportional viele Krankenhausbetten. Auch in den Kliniken in Ludwigsburg, Bietigheim oder auf der Gerlinger Schillerhöhe liegen keineswegs nur Coronapatienten aus dem Landkreis – eine einfache Umrechung auf die Kreisbevölkerung ist daher nicht möglich. Außerdem erfasst die neue Kenngröße der Hospitalisierung nur Patienten, bei denen der positive Coronatest und ihre Einweisung ins Krankenhaus in einer Sieben-Tage-Frist liegen. Wer erst acht oder mehr Tage nach Befund in die Klinik muss, bleibt in der neuen Inzidenz außen vor.

Diese sei „nicht besonders aussagekräftig“ und tauge vor allem „als Krücke“, sagt der oberste Intensivmediziner der Regionalen Kliniken-Holding, Professor Götz Geldner. Die Unschärfen durch die Sieben-Tage-Regel seien allerdings gering, weil die weitaus meisten Hospitalisierungen innerhalb der ersten sieben Tage nach der Infektionsbestätigung einträten, bestätigt er die Auffassung des Robert-Koch-Instituts.

Weitaus belastbarer sei der zweite wichtige Parameter im neuen Corona-Alarmsystem, die Zahl der landesweit von Covid-19-Patienten belegten Intensivbetten, sagt Geldner. Der Nachteil: Die Frist, die zwischen der Ansteckung eines Patienten und seiner Verlegung „auf Intensiv“ vergeht, ist in der Regel länger als die Frist bis zur Hospitalisierung, das Vorwarnsystem über die Intensivkapazitäten also träger. Dabei liegen die Schwellenwerte, die neue Einschnitte auslösen, mit 250 und 390 Betten deutlich unter den Zahlen der dritten und vierten Welle, als landesweit zeitweise 600 bis 700 Intensivbetten von Coronapatienten belegt waren. Das hat laut Geldner zwei Gründe: Weil viele Pflegekräfte den Job gewechselt oder ihre Arbeitszeit verkürzt haben, gibt es aktuell ein Viertel weniger Intensivbetten. Außerdem sind die Liegezeiten länger, weil sich zunehmend jüngere Menschen anstecken – und zwar vorwiegend ungeimpfte. Am liebsten wäre Geldner daher „eine Inzidenz der ungeimpften Positiven“. Geimpfte hätten selbst im Falle einer Infektion meist milde Krankheitsverläufe und kämen gar nicht erst auf die Intensivstationen.