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Dieser Schultes traut sich was

Szenen einer Freundschaft: Jens Krauße (links) nach der Trauzeremonie mit seinem Mann Marco Arca Leon und Bürgermeister Nico Lauxmann im Schwieberdinger Schlosshof. Und auf dem zweiten Foto mit dem früheren Rathauschef Gerd Spiegel im Sommer 2004. Fo
Szenen einer Freundschaft: Jens Krauße (links) nach der Trauzeremonie mit seinem Mann Marco Arca Leon und Bürgermeister Nico Lauxmann im Schwieberdinger Schlosshof. Und auf dem zweiten Foto mit dem früheren Rathauschef Gerd Spiegel im Sommer 2004. Foto: privat, Alfred Drossel (Archiv)
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Jens Krauße wurde in Großharthau zum Bürgermeister gewählt und holte im Kommunalparlament die absolute Mehrheit. Er ist schwul und in der SPD – und das im stockkonservativen Sachsen. Jetzt hat er seinen peruanischen Lebensgefährten in der Partnerkommune Schwieberdingen geheiratet.

Schwieberdingen. Es gab ja mal tatsächlich eine Zeit, in der die Menschen ausgelassen waren, auch wenn das lang her ist. Im Februar stürmen die Gagerbach-Hexen in Schwieberdingen das Rathaus des Bürgermeisters Nico Lauxmann. Der Schultes trägt Lederhose, einen Trachtenjanker und einen Seppelhut auf dem Kopf. Das Motto im Frühjahr: Oktoberfest. Unterstützung bekommt er aus Großharthau, der rund 3000 Einwohner großen sächsischen Partnergemeinde, die zwischen Dresden und Bautzen liegt. Zu Besuch ist der dortige Bürgermeister Jens Krauße, der am Schmotzigen Donnerstag aber auch nicht verhindern kann, dass die Hexen das Rathaus einnehmen. Für die beiden Männer wird der Tag noch schicksalhafter werden. Bei einem Essen vereinbaren der Sozi Krauße und der CDUler Lauxmann, dass der Schwabe den Sachsen und seinen Lebensgefährten Marco Arca Leon im Strohgäu trauen soll.

Ein gutes halbes Jahr später ist genau das im Schwieberdinger Rathaus passiert. Für den Mittvierziger Lauxmann war die Hochzeit eines Männerpaares Ende September eine Premiere. „Die sexuelle Orientierung spielt für Menschen meiner Generation aber keine große Rolle mehr“, sagt er. „Hier haben sich zwei Menschen getroffen, die sich lieben.“ Dass Krauße, 53, ein Mann mit entschlossenem Handschlag, das Jawort in Schwieberdingen geben wollte, wertet Lauxmann als „Zeichen der tiefen Freundschaft zwischen unseren Kommunen“.

Für den sächsischen Bürgermeister ist es nicht die erste Hochzeit. Er war schon einmal verheiratet – mit einer Frau. Zusammen haben die beiden einen Sohn, der wie sein Großvater bei der Trauung in Schwieberdingen anwesend ist. „Wir haben ein tolles Verhältnis“, sagt Krauße. Auch seine Ex-Frau sollte eigentlich dabei sein. Allerdings kommt ein Kroatienurlaub dazwischen. Für die Familie seines Mannes in Südamerika richtet die Hochzeitsgesellschaft über den Nachrichtendienst Whats-App einen Livestream ein. Danach geht es zweimal in Gasthäuser namens Bären – in Schwieberdingen und an der Paulinenstraße in Stuttgart, wo sich das Paar schwäbische Tapas schmecken lässt.

Bei Rostbraten, Riesling, Maultaschen und schwäbischem Dialekt wird der Sachse Krauße nach eigenen Angaben regelmäßig schwach. „Ich liebe es auch, in Besenwirtschaften zu sitzen“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Dort schaut er den Leuten aufs Maul und stellt des Öfteren fest: „Schwaben und Sachsen können gut miteinander.“

Seit gut 20 Jahren reist Krauße immer wieder in die rund 530 Kilometer entfernte Partnergemeinde Schwieberdingen. Den viel zu früh gestorbenen Altbürgermeister Spiegel bezeichnete er als Freund. Mit dem Nachfolger Lauxmann habe es, so ist zu hören, schon häufiger gesellige Runden gegeben, auch wenn beide Männer unterschiedliche Parteibücher besitzen. „Natürlich kommt es zu Frotzeleien“, sagt Krauße. „Aber auf kommunaler Ebene spielt Parteipolitik eine untergeordnete Rolle.“

Daheim in Großharthau zieht Krauße dagegen regelmäßig die Blicke der Landes- oder Bundespolitik auf sich. Eine Zeitung hat ihn mal den „sächsischen Supersozi“ genannt und gefragt, was Dresden und Berlin von Großharthau lernen können. Denn im tiefschwarzen Sachsen vollbringt der Bürgermeister das Kunststück, haushoch Wahlen für die SPD zu gewinnen. 2019 kommen seine Sozialdemokraten im Gemeinderat auf 55,2 Prozent. Bei seiner ersten Kandidatur 2001 holt er 61,6 Prozent. Frage also an Jens Krauße: Was kann sich die alte Tante SPD von Großharthau abschauen? „Das ist kaum zu vergleichen“, sagt der Schultes bescheiden. Er beschreibt sich als umtriebig, als einen, der persönliche Kontakte pflegt und viel im Ort unterwegs ist.

An ihren schwulen Bürgermeister haben sich die Großharthauer offenbar gewöhnt. „Ich führe ein normales Leben“, sagt Krauße. „Die Leute sehen ja, dass ich gute Arbeit leiste.“ Offiziell wechselt er die Ufer erst vor zehn Jahren. Er will OB in Bischofswerda werden. Die regierende CDU hat Angst vor dem Machtwechsel, lanciert im Wahlkampf eine Schmähschrift, in der Kraußes Homosexualität thematisiert wird. „Das hat mir das Genick gebrochen“, sagt er in der Rückschau. Etwa 200 Stimmen fehlen zum Wahlsieg. Der Urnengang wird angefochten, zweieinhalb Jahre später bestätigt ein Gericht den amtierenden CDU-OB im Amt.

Heute hat Krauße seinen Frieden mit Bischofswerda gemacht. Er verlässt 2010 seine damalige Frau, nimmt sich in Großharthau eine Wohnung und lebt fortan offen schwul. „Es ist gut so, wie es gekommen ist“, sagt er. „Ich weiß nicht, ob ich den Mut gehabt hätte, mich selbst zu outen.“ Den Osten hält er zwar für offener, was Sexualität oder Erziehung angeht. „Zu DDR-Zeiten wäre ich aber nie auf die Idee gekommen, etwas mit einem Mann anzufangen“, sagt Krauße. „Ich hätte auch gar nicht gewusst, wie man so etwas anstellt.“ Erst das Internet habe gleichgeschlechtliche Beziehungen einfacher gemacht.

Mit seinem peruanischen Mann hat sich Krauße längst zu Hause eingerichtet. Marco soll jetzt Bundesfreiwilligendienst in einer Kita leisten. Der Bürgermeister sagt: „Ich verstehe ganz gut spanisch – und sein Deutsch wird immer besser.“