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Echte Zöllner in falschem Einsatz

Auch die Richterin findet einen Fall verwirrend, der aktuell am Amtsgericht Ludwigsburg verhandelt wird. Ein Osteopath soll seine Geliebte, einen Azubi und einen Freund als „Zeugen“ missbraucht haben. Der Vorwurf lautet Nötigung und Amtsanmaßung.

Kornwestheim. Mit jeder Stunde, die sich der Prozess hinzieht, kommen weitere kuriose Details zur Sprache: Es geht um eine zerstrittene Praxisgemeinschaft in Kornwestheim, zwei richtige und einen falschen Zollbeamten, und es geht um Liebe, offene und heimliche. Die Richterin spricht von einem „sehr verwirrenden Fall“, der in Juristendeutsch Nötigung und Amtsanmaßung heißt.

Vor dem Amtsgericht Ludwigsburg angeklagt sind vier Männer und eine Frau, jeder mit eigenem Verteidiger, die Plätze im großen Saal reichen gerade so. Hauptangeklagte sind ein Osteopath (47) mit eigener Praxis in Kornwestheim und seine Patientin und Geliebte (43), im Hauptberuf Zollbeamtin. Außerdem: Ein gelernter Sportlehrer, der in der Praxis eine teure Zusatzausbildung zum Osteopathen macht, ein Zollbeamter, der insgeheim in die angeklagte Kollegin verliebt ist und eine Urlaubsbekanntschaft des Osteopathen, der einen Freundschaftsdienst leisten wollte. Das Verfahren gegen die letzten drei wurde nach sieben Stunden Verhandlung gegen Geldauflagen eingestellt.

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist an einem späten Nachmittag im Februar 2021 folgendes passiert: In der Praxis trafen sich die Urlaubsbekanntschaft, ein 53-jähriger Tourismuskaufmann, und der 26-jährige Osteopathen-Azubi, um zur neuen Praxis des ehemaligen Mitinhabers zu fahren. Die beiden sollten als Zeugen fungieren. Der Grund war etwas diffus: Von Mietschulden war die Rede, von einem anonymen Schreiben, von Schwarzarbeit und von Unterschriften, die geleistet werden sollten. Vor dem Haus warteten bereits ein Zollbeamter in Uniform und eine blonde Frau in Zivil. Sie kleidete den jungen Sportlehrer mit einer Uniformjacke ein, worüber der sich freute, weil es kalt war. Sie sollten draußen warten, man werde sie später holen, bedeutete die Frau den beiden und betrat mit dem echten Zollbeamten die Praxis.

Was in der Praxis geschah

Unter einem Decknamen hatte sie für ihren Kollegen einen Termin vereinbart. „Mein Mandant wurde als Lockvogel ausgenutzt“, sagte seine Verteidigern später. Was in der Praxis geschah, ist einigermaßen verwirrend: Die Anamnese des „Patienten in Uniform“ wurde „aus hygienischen Gründen“ abgebrochen (der „Patient“ sollte die Maske abnehmen), die Frau, die nun eine Strickjacke mit Zoll-Hoheitszeichen trug, soll gesagt haben, „jetzt machen wir das Ganze mal dienstlich“ und ihren Ausweis gezückt haben. Irgendwann soll der Satz gefallen sein, beim nächsten Mal könnten auch „Männer mit Sturmhauben und Helmen“ kommen. Inzwischen waren auch die beiden Männer von der Straße geholt worden. „Wir sind wie zwei Salzsäulen dagestanden“, sagte der Tourismuskaufmann vor Gericht. Worum es ging, habe er nicht verstanden. Auch der Sportlehrer und verkleidete Zöllner fand die Situation zumindest komisch: „Der Praxisinhaber allein am Schreibtisch und wir zu fünft um ihn rum...“. Inzwischen war nämlich auch sein Chef, der Osteopath, aufgetaucht, obwohl er in der Praxis seines Ex-Kollegen eigentlich Hausverbot hatte und hantierte mit Schriftstücken. Als die fünf schließlich abgezogen waren, griff der Heimgesuchte zum Telefon und rief die Polizei.

„Mit Verlaub, das ist schon ein Hammer, was da passiert ist“, staunte die Richterin; für Außenstehende habe das wie ein offizieller Zoll-Einsatz ausgesehen. Ob die Frau tatsächlich ihren Dienstausweis vorgelegt habe? Die Angeklagte, immerhin Beamtin auf Lebenszeit, zögert: „Ich kann mich nicht erinnern..“

Nachdem drei Verfahren eingestellt waren – der Zollbeamte, der die Verhandlung mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen verfolgt hatte, atmete auf, denn bei einer Verurteilung hätte ein Disziplinarverfahren gedroht – wird der Prozess am Freitag mit den beiden Hauptangeklagten fortgesetzt. Als Zeuge wird der heimgesuchte Ex-Kollege erwartet.