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Eine Galerie wird zum Basar auf Zeit

Die Qual der Wahl: Galerieleiterin Isabell Schenk-Weininger (rechts), Uta Zaumseil (vorne), Martin Schick (dahinter), Isabel Herda und Stefan Benning bei der Beratung. Foto: Ramona Theiss
Die Qual der Wahl: Galerieleiterin Isabell Schenk-Weininger (rechts), Uta Zaumseil (vorne), Martin Schick (dahinter), Isabel Herda und Stefan Benning bei der Beratung. Foto: Ramona Theiss
Die fünfköpfige Jury des Wettbewerbs „Linolschnitt heute“ brütet über Werken und Serien von 123 Künstlern aus aller Welt

Bietigheim-Bissingen. So ziemlich im Ausnahmezustand hat sich in den vergangenen Tagen die Städtische Galerie befunden: Wo sonst der Kunstfreund flaniert, liegt, gebettet auf großen Papierbahnen, Kunst aus aller Welt. Aber nicht irgendwelche. Der Bietigheimer Wettbewerb „Linolschnitt heute“ wird seit 1989 alle drei Jahre ausgerichtet und hat mittlerweile einen internationalen Rang, weil er in seiner Form – ausschließlich aktuelle Linolschnitte werden beurteilt – weltweit einzigartig ist. Einsendungen kommen auch in diesem Jahr etwa aus Australien, den USA und natürlich ganz Europa, sogar aus der vom Krieg gebeutelten Ukraine.

Für die stets fünfköpfige Jury ist es ein Mammutprojekt in mehreren Runden. Das gesamte Gebäude ist mit den Arbeiten von jenen diesmal 123 Künstlern gepflastert, die aus ursprünglich 463 Bewerbungen per Foto vorausgewählt und durch vormals schon erfolgreiche Teilnehmer ergänzt wurden. Jeder Künstler kann bis zu drei Werke oder Serien einreichen. Auch logistisch ist das eine Herausforderung. Sechs Wochen lang – das ist in etwa das Zeitfenster für die Einsendungen – klingeln mehrmals täglich Paketdienste und Speditionen an der Tür der Städtischen Galerie, um frische Ware zu bringen.

Nun streift die Jury durch die Galerie, einzeln und in der Gruppe, um in mehreren Runden Werke auszusortieren, die nicht in die engere Wahl kommen. Gesucht werden die drei mit 5000, 3000 und 2000 Euro dotierten Hauptpreise sowie die drei Ankäufe für die städtischen Sammlung. Zudem werden etwa ein Drittel, also rund 40 Künstler, im Juli in der Galerie in einer Ausstellung präsentiert. Statt mit Namen sind die Drucke mit Zahlen versehen – die Anonymität soll gewahrt werden, um keine voreiligen Urteile zu fällen. Auch wenn der Kenner natürlich den einen oder anderen prägnanten Stil sicherlich wiedererkennt. Wenn eine dieser Nummern rot durchgekreuzt wurde, ist das kein gutes Zeichen, denn es bedeutet: Die Reise ist zu Ende, schnell werden diese Arbeiten in ihre Mappen oder Kartons befördert und weggepackt.

Diesmal in der Jury sitzen neben den beiden gesetzten Juroren, Galerieleiterin Isabell Schenk-Weininger und Kulturamtsleiter Stefan Benning, noch drei externe, die jedes Mal wechseln: Martin Schick (Leiter der Galerie der Stadt Backnang), Isabel Herda (Leiterin Grafische Sammlung der Städtischen Museen Freiburg) und die Künstlerin Uta Zaumseil (auch Preisträgerin der Wettbewerbe 2007 und 2010). Und wie ist das Niveau in diesem Jahr auf den ersten Blick so? „Gut – sehr unterschiedlich, sehr vielfältig“, sagt Schick und nickt anerkennend. Linolschnitt sei „ein vermeintlich einfaches Medium, weil es fast jeder irgendwann schon mal gemacht hat“, erklärt Schenk-Weininger, aber der Profi entwickle im Idealfall ganz andere Möglichkeiten aus dieser Drucktechnik – wie man auch in diesem Jahr wieder sehe. Ob sich die Jury in ihrem Urteil wohl einig wird? „Noch ist alles friedlich“, scherzt Benning mit Blick auf mögliche Diskussionen. Immerhin kam es einmal schon vor, dass es keinen Sieger, sondern nur zwei Zweitplatzierte gab, weil man sich partout nicht einigen konnte. Das soll aber möglichst die Ausnahme bleiben. Im Zweifel wird abgestimmt – bei fünf Juroren gibt es eine Mehrheit, wenn sich niemand enthält.

Die Vielfalt der Stile und Motive auf diesem Basar der Kunst ist jedenfalls frappierend: hier der berühmte Kniefall von Bundeskanzler Willy Brandt in Warschau 1970 aus verschiedenen Perspektiven, dort zwei großformatige Arbeiten auf Tuch mit Motiven der Kinderserie „Peppa Wutz“. Es gibt aber auch Landschaftsansichten, Surreales, Pop-Art-artiges, Folkloristisches aus Mittelamerika. Gruppiert werden möglichst stilistisch ähnliche Arbeiten, um die unterschiedlichen Qualitäten besser einordnen zu können. Oben im Altbau gibt es einen kleineren Raum, der ursprünglich sechs eher geometrische, abstrakte Arbeiten versammelte – nach wenigen Stunden ist davon nur noch die Nummer 461 übrig.

Vieles kommt in großen Formaten daher, manches ist gar bis zu 15 Meter lang – ein paar wenige Werke dagegen sind fast verschwindend klein. Die stellvertretende Galerieleiterin Petra Lanfermann, die wie immer am Rande auch dabei ist, hat dafür nur bedingt Verständnis: „Also wenn ich bei so einem Wettbewerb schon teilnehme...“ Eine Besonderheit des Linolschnitts sei ja gerade, dass man fast beliebig groß drucken könne, sagt sie, anders als bei anderen Techniken. Umgekehrt betrachtet: Muss man das dann auch gleich immer machen? Besonders gut sei es, wenn eine eigene Handschrift erkennbar sei, ohne dass sich alles einfach nur wiederhole, so Lanfermann – kein einfacher Spagat.

Die Motivation der teilnehmenden Künstler ist indes sehr unterschiedlich: Manche wollen unbedingt jedes Mal dabei sein, weil es für sie quasi zum guten Ton gehört, andere drohen bei Misserfolg gleich damit, dass sie nie wieder mitmachen. Wiederum andere kündigen an, so lange teilzunehmen, bis sie es als Erster schaffen, zweimal den ersten Platz zu belegen. Der Wettbewerb sei für Bietigheim ja eigentlich gleich drei Nummern zu groß, sagt Lanfermann und lächelt. „Er kostet viel Geld – und danach sind wir immer froh, wenn alles geklappt hat.“ Eineinhalb Jahre beschäftigt die Galerie der Wettbewerb immer, mit Vor- und Nachbereitung. Aber was tut man nicht alles für ein weltweites Alleinstellungsmerkmal.