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Engel finden Schlupfloch

Aus Karlsruhe nach Marbach: OMI Riesterers „Fächerflügel“ (links) und andere Werke sind jetzt in der Schillerstadt zu sehen. Fotos: Holm Wolschendorf
Aus Karlsruhe nach Marbach: OMI Riesterers „Fächerflügel“ (links) und andere Werke sind jetzt in der Schillerstadt zu sehen. Foto: Holm Wolschendorf
Aus Karlsruhe nach Marbach: OMI Riesterers „Fächerflügel“ (links) und andere Werke sind jetzt in der Schillerstadt zu sehen. Fotos: Holm Wolschendorf
Aus Karlsruhe nach Marbach: OMI Riesterers „Fächerflügel“ (links) und andere Werke sind jetzt in der Schillerstadt zu sehen. Foto: Holm Wolschendorf
Eine Schau in der Wendelinskapelle und der evangelischen Kirche beleuchtet biblische Boten

Marbach. Nach Stationen im Regierungspräsidium Karlsruhe und im Tagungshaus Kloster Obermarchtal wird die Wanderausstellung „Engel – oder kann das weg?“ jetzt in Marbach gezeigt. Dass die von den im Bereich der Bildhauerei tätigen Künstlern Michaela A. Fischer (Ilsfeld) sowie Barbara Jäger und OMI Riesterer (beide Karlsruhe) kuratierte Schau mitten im erneuten Kultur-Lockdown überhaupt stattfinden und damit fast eine Art Alleinstellungsmerkmal für sich verbuchen kann, ist auch dem Status der beiden Orte, an denen sie zu sehen sein wird, zu verdanken: Monika Schreibers Galerie in der Wendelinskapelle unterliegt als Einzelhandel nicht dem Sperrgebot der aktuellen Corona-Landesverordnung, die evangelische Kirche bleibt aufgrund der Regelungen in Bezug auf religiöse Veranstaltungen geöffnet. Mag auch ein Kamel nicht durch ein Nadelöhr zu pressen sein – Engel, so scheint es, finden stets ein Schlupfloch.

Dass es sich um einen sakralen Raum und einen mit ebensolcher Vergangenheit handelt, wirkt im Kontext des Ausstellungsthemas zudem besonders stimmig. Den Ausgangspunkt der Gemeinschaftsschau bildete die Ausstellung „Engelwelten“ im Diözesanmuseum Rottenburg, in der die Geschichte der biblischen Boten aus religions- und kunsthistorischer Sicht beleuchtet wurde. Die Perspektive der Gegenwartskunst habe indes gefehlt. Das habe sie inspiriert, „das Thema Engel nochmals neu aufzugreifen – mit zeitgenössischem Bezug“, so Fischer.

Daraufhin erfolgte eine Ausschreibung an den Kunstverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart und die Gemeinschaft Christlicher Künstler der Erzdiözese Freiburg unter dem Motto, das die Ausstellung nun im Titel trägt. Die provokative Frage darin, angelehnt an eines der beliebtesten – das Wortspiel muss hier erlaubt sein – geflügelten Worte des postmodernen Menschen: „Ist das Kunst – oder kann das weg?“, soll für den erwünschten Gegenwartsbezug stehen, erläutern die Kuratorinnen und berufen sich auf Joseph Beuys. Zwar wird dieses Zitat immer wieder dem Erfinder der „Sozialen Plastik“ entweder direkt zugeschrieben oder darauf verwiesen, dass es im Zusammenhang mit einer irrtümlichen Entsorgung eines seiner Werke durch Reinigungspersonal entstanden sei – Belege dafür gibt es keine.

Ironisches Statement gegen den Kitsch

Zu Mutmaßungen lädt auch Maria Cristina Tangorras Installation „Anprobe“ ein, die in der Marbacher Stadtkirche vor der Kanzel ihren Platz gefunden hat: An einem Garderobenständer hängt ein Kleiderbügel mit einem Paar weißer Flügel, davor steht ein Hocker mit himmelblau bewölktem Sitzpolster, darauf ein Paar weißer Handschuhe. Eine Einladung an den Betrachter, in die Rolle eines Engels zu schlüpfen? Oder verhält es sich genau umgekehrt: Hat sich da ein Engel unter die Sterblichen gemischt? Ist Engel-Sein gar generell eine Teilzeittätigkeit? Zu Recht wurde diese geistreiche Arbeit mit dem ersten Preis der zehnköpfigen Jury bedacht, die aus den über 60 Einreichungen 42Positionen ausgewählt hat, von denen nun 25 in Marbach zu sehen sind. Das Zentrum des Stadtkirchenchors besetzt OMI Riesterers „Fächerflügel“ aus fünf verschraubten Mooreichenholzscheiben, umgeben von Stellwänden, auf denen Schreiber weitere Exponate verteilt hat. Ebenfalls von der Jury ausgezeichnet wurde die auf eine Aluminiumplatte gedruckte Fotocollage „Mariä Verkündigung“ von Sylvia Vandermeer, die das biblische Geschehen an eine Bushaltestelle verlegt.

Zu den in der Wendelinskapelle ausgestellten Werken gehört auch Jörg Failmezgers „Schutzengel“: Dem mit Bauschaum stabilisierten Frontairbag eines Autos hat der Pleidelsheimer Steinbildhauer, der als örtlicher Steinmetz viele Friedhöfe zu Gesicht bekommt und dort eine „wahre Invasion von Engeln“ beobachtet, mit der Spraydose eine silberfarbene Oberfläche gegeben. Mit profanen Mittel setzt er den Wunsch nach Veredelung in Szene – ein wohltuend ironisches Statement „gegen den Kitsch“, dem das Etikett Gegenwartskunst tatsächlich zusteht. Auch die Hemminger Bildhauerin Roswitha Zimmerle-Walentin bürstet das Thema gegen den Strich, wenn auch im Stil der klassischen Moderne: Statt Flügel trägt ihre Bronze „Widerspenstiger Engel“ Widerhaken zur Schau.

Info: Die Ausstellung „Engel – oder kann das weg?“ ist bis 6. Januar 2021 in der evangelischen Kirche und in der Wendelinskapelle zu sehen. Öffnungszeiten: Mittwoch, Samstag und Sonntag von 14 bis 17 Uhr.