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Folgen Fledermäuse dem Lockruf und verlassen die Schulfassade?

Sanierungsbedürftige Gemeinschaftsschule in Schwieberdingen: Rund 40 Zwergfledermäuse haben die Fassade für sich entdeckt. Foto: Becker
Sanierungsbedürftige Gemeinschaftsschule in Schwieberdingen: Rund 40 Zwergfledermäuse haben die Fassade für sich entdeckt. Foto: Becker
In Schwieberdingen verzögern und verteuern Zwergfledermäuse die Modernisierung der Gemeinschaftsschule. Dass die Tiere geschützt werden müssen, bezweifelt niemand. Aber könnte es vielleicht sein, dass der Artenschutz überreguliert ist?

Schwieberdingen/Hemmingen. Zwergfledermäuse sind possierliche Tiere. Nach Berechnungen des Nabu passen sie mit angelegten Flügeln ohne Probleme in eine Streichholzschachtel. Ihre fast zerbrechlich wirkenden Körper kommen auf eine Länge von maximal 5,1 Zentimetern, und mit einem Gewicht von nur fünf Gramm liegen sie in der Dimension eines Stücks Würfelzucker. Die kleinste einheimische Fledermausart steht unter strengem Artenschutz, was bedeutet, dass viel für sie getan muss – wenn ihnen etwa Großprojekte wie die Sanierung und Erweiterung der Gemeinschaftsschule in Schwieberdingen gefährlich werden.

Fassade einfach schließen? Keine Option

In der vergangenen Woche informierten der Schwieberdinger Rathauschef Nico Lauxmann und sein Hemminger Kollege Thomas Schäfer ihre Gremien, dass Tier- und Landschaftsökologen in der vergangenen Brutperiode rund 40 kleine Fledermäuse in der Fassade der gemeinsamen Gemeinschaftsschule gefunden hatten, was jetzt große Auswirkungen für das XXL-Projekt Schulsanierung mit sich bringt (wir berichteten). Schwieberdingen und Hemmingen kalkulieren mittlerweile mit Mehrkosten in Höhe von rund 1,7 Millionen Euro. Ursprünglich wollten sie mit gut 28 Millionen Euro auskommen.

Außerdem kann die Sanierung des Bestandsgebäudes frühestens im Herbst 2023 erfolgen – etwa 14 Monate später als geplant. „Wir hatten schon mit dem Ausmisten begonnen“, sagt die Schulleiterin Silke Benner süßsauer. „Jetzt können wir uns noch etwas Zeit lassen.“ Immerhin: Der Neubau kann wohl wie geplant durchgezogen werden.

Am Mittwochabend haben Schwieberdingen und Hemmingen im gemeinsamen Verwaltungsverband die weitere Marschroute festgelegt – und ihrem Ärger über die strengen artenschutzrechtlichen Regelungen Luft gemacht. Lauxmann: „Bei uns gibt es keinen, der sich nicht für Klima-, Natur- und Artenschutz einsetzt. Aber der Fall wird die Akzeptanz beim Steuerzahler nicht erhöhen.“ Der Schwieberdinger SPD-Ratsherr und künftige Markgröninger Bürgermeister Jens Hübner: „Mit gesundem Menschenverstand ist das alles nicht mehr nachvollziehbar.“

Was die beiden so erzürnt, sind die Vorgaben der Fachbeamten aus dem Stuttgarter Regierungspräsidium. Sie schreiben vor, dass die Schwieberdinger Zwergfledermäuse umgesiedelt werden – und zwar in die benachbarte Hermann-Butzer-Grundschule, die keine 500 Meter Luftlinie entfernt ist. Dazu werden Ersatzquartiere angefertigt und Lockstoffe zum Einsatz kommen. Der Kostenpunkt: etwa 120000 Euro oder 4000 Euro pro Fledermaus.

Danach müssen Schwieberdingen und Hemmingen im kommenden Herbst oder zu Beginn des Jahres 2023 den Nachweis führen, dass etwa die Hälfte der Tierchen die neue Heimat auch annimmt. Selbstverständlich ist das nicht. Jürgen Deuschle, der von den Kommunen eingesetzte Tier- und Landschaftsökologe, sagt: „Zwergfledermäuse sind traditionsbewusst, was ihre Quartiere angeht.“

Die alten Ritzen am Bestandsgebäude der Gemeinschaftsschule, durch die die Zwergfledermäuse in die Fassade der Immobilie gelangten, dürfen nicht einfach geschlossen werden. So sieht es das Bundesnaturschutzgesetz unter Strafe vor, dass die Standorte der Tiere nicht zerstört werden dürfen.

Gut möglich erscheint, dass das Schwieberdinger Schulbauprojekt ein Beispiel für Murphy’s Law wird: Was schiefgehen kann, geht auch schief. Wenn es den Projektpartnern in diesem Jahr nicht gelingen sollte, die Zwergfledermäuse in ihr neues Quartier zu locken, müssten sie wohl 2023 einen neuen Versuch starten, mit dem Ergebnis, dass das Bestandsgebäude erst in zwei Jahren saniert werden könnte.

Außerdem rechnen Lauxmann und Schäfer mit Zuschüssen der KfW-Bank und Schulbaufördermitteln in Höhe von etwa acht Millionen Euro. Hier müssen die beiden wegen der Verzögerungen Anträge auf Verlängerung des Bewilligungszeitraums stellen. Der Ausgang: ungewiss. Der Schwieberdinger CDU-Fraktionschef Dieter Rommel schimpft: „Die Verhältnismäßigkeit stimmt überhaupt nicht mehr.“ Er stuft das Bedürfnis der rund 500 Gemeinschaftsschüler und 60 Lehrer auf ein modernes Lernumfeld höher ein als die artenschutzrechtlichen Vorgaben aus dem Regierungspräsidium.

Lauxmann und Schäfer bemühen sich bereits um einen Gesprächstermin bei der neuen Regierungspräsidentin Susanne Bay (Grüne). „Wir haben das Maximale vorgeschlagen, was wir für die Zwergfledermäuse tun können“, sagt Lauxmann. Er und Schäfer verlangen, dass die Behörde in den kommenden Monaten auch soziale und finanzielle Aspekte in die Waagschale wirft – und es nicht zu weiteren Verzögerungen kommt.

In Hemmingen hat unterdessen die Suche nach den Schuldigen für die Kostensteigerungen und die Verzögerungen begonnen. „Wer hat verpennt?“, wollte der CDU-Ratsherr Wilfried Gentner am Mittwochabend wissen, dass Zwergfledermäuse in der Schulfassade leben. „Mir fehlen die Worte, dass schon vor dem ersten Spatenstich Millionen verbrannt werden.“

Lauxmann und Schäfer kündigen eine gründliche Untersuchung des Falls an. Der Schwieberdinger Bürgermeister wirbt aber auch dafür, dass „wir jetzt noch keine Wertungen vornehmen sollten“.