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Gemeinsam gegen Diskriminierung

Die deutsch-israelische Gruppe des Projekts hat im Zoom-Meeting viele Fragen an den Pädagogen Burak Yilmaz (obere Reihe, 2.v.r.).Foto: privat
Die deutsch-israelische Gruppe des Projekts hat im Zoom-Meeting viele Fragen an den Pädagogen Burak Yilmaz (obere Reihe, 2.v.r.). Foto: privat
Vorurteile aufarbeiten, Diskriminierung erkennen: Der Pädagoge Burak Yilmaz möchte mit seinem Projekt „Muslime in Auschwitz“ genau das erreichen. In einem Internet-Meeting der Pädagogischen Hochschule mit israelischen Studenten erzählt er, wie er antisemitisches Denken bekämpft und warum es wichtig ist, dass auch Jugendliche mit Migrationshintergrund die deutsche Geschichte kennen.

Ludwigsburg. Wie lässt sich eine lebendige Erinnerungskultur schaffen, die historisches Geschehen für Jugendliche greifbar macht und gleichzeitig Antisemitismus bekämpft? Die Frage stellte sich der türkischstämmige Pädagoge Burak Yilmaz aus Duisburg. Während seiner offenen Jugendarbeit stieß er oft auf Jugendliche, die in ihrer Familie antisemitische Rollenbilder gelehrt bekommen hatten. „Sie beschimpften sich mit dem Begriff ‚Jude‘, ohne den Hintergrund zu kennen.“ Er erfuhr, dass manche wegen ihres Migrationshintergrunds nicht bei einer schulischen Exkursion nach Auschwitz teilnehmen durften. Daraus entstand 2012 das Projekt „Muslime in Auschwitz“. Darin bildet er junge Multiplikatoren zu den Themen Antisemitismus, Erinnerungskultur und Rassismus aus.

Jetzt hat Burak Yilmaz sein Projekt an der Pädagogischen Hochschule (PH) vorgestellt. Seit 2019 gibt es dort das Projekt „Shared Heritage“, eine Kooperation vom Institut Kulturmanagement der PH und der Kunstfakultät der Partnerhochschule Beit Berl in Kfar Saba in Israel. Normalerweise treffen sich die 20 deutschen und israelischen Studierenden in einer Art virtuellem Forschungslabor und bearbeiten in Tandems auf Englisch Fallbeispiele zum Kulturerbe ihrer Länder. Finanziert wird das Ganze zwei Jahre über die Baden-Württemberg-Stiftung.

Mit zehn Männern zwischen 16 und 21 Jahren türkischer, kurdischer und arabischer Herkunft begann Yilmaz, ihre Vorurteile aufzuarbeiten. Zuerst sprach er mit ihnen über ihre eigene Identität. Einfluss darauf hat laut Yilmaz nicht nur das familiäre Umfeld, sondern auch die unterschiedlichen Erwartungen an Männer und Frauen. Für sein Projekt wählte er bewusst Männer, die in ihrem Rollenverständnis Mitgefühl oft als Schwäche interpretieren. Im zweiten Schritt ging es darum, welche negativen Bilder über Juden existieren und woher sie kommen.

„Die Jugendlichen müssen einen direkten Bezug zu ihrem eigenen Leben herstellen, um sich für die Geschichte zu öffnen und Empathie zu empfinden“, betont er. Er fand mit den Jugendlichen heraus, wie die Nationalsozialisten in ihrer eigenen Stadt organisiert waren. „Lokale Geschichte bedeutet zu erkennen, es passierte auf meiner Straße“, sagt der Pädagoge. So bekämen diese Straßen eine andere Bedeutung. „Ein Junge beschrieb mir, dass für ihn all die Nummern der Opfer das erste Mal Gesichter bekamen.“

Nach sechs Monaten Vorbereitung begab er sich mit den Jugendlichen auf die Reise nach Auschwitz zur KZ-Gedenkstätte. Während seines Vortrags mit den Studenten sagte er: „So ein Besuch darf kein Zwang sein, denn das war es für die Menschen, die dorthin gebracht wurden. Wenn man sich davor nicht ausreichend mit der Geschichte auseinandergesetzt hat, kann es genau den gegenteiligen Effekt haben, den man erreichen möchte.“

In Auschwitz erlebte er sehr unterschiedliche Emotionen der Jugendlichen, die sie zurück in Deutschland in einem Theaterstück ausdrücken sollten. Ihm sei es wichtig gewesen, dass die Jugendlichen ihre Rollen sowie die Geschichte selbst erfanden und sich einen eigenen Weg schafften, ihre inneren Konflikte darzustellen. Yilmaz leitet die Theatergruppe „Die Blickwandler“, die seit 2018 mit ihrem Stück „Benjamin und Muhammed“ durch Schulen und Theater tourt.

„Viele Jugendlichen behaupteten vor dem Projekt, es gäbe keinen Antisemitismus, danach sagten sie, ständig auf antisemitisches Denken, gerade in sozialen Netzwerken, zu stoßen.“ Yilmaz ist es wichtig, genau diese Art von Bewusstsein anzuregen. Die Jugendlichen sollten erkennen, dass sie jederzeit ihre eigene Stimme in die Gesellschaft einbringen und sich von Ansichten ihrer Eltern distanzieren könnten.

Das Projekt soll nächstes Jahr voraussichtlich wieder stattfinden, dieses Jahr musste es, der Coronakrise wegen, allerdings ausfallen. Mittlerweile ist die Gruppe auch für Frauen geöffnet, viele Anfragen hätten ihn auch von Leuten erreicht, die über Instagram auf sein Projekt aufmerksam geworden wären. Für ihn ist das ein Erfolg: Rassismus und Antisemitismus im Alltag sichtbar zu machen. Viele Jugendlichen hinterfragten ihre eigenen Sichtweisen. Yilmaz: „Sonst wird der Hass von einer Generation zur nächsten transportiert.“