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Glückskäfer als Mutmacher für unheilbar Kranke

Marco Schulz hat den zweiten Roman nur mit den Augen geschrieben. Foto: privat
Marco Schulz hat den zweiten Roman nur mit den Augen geschrieben. Foto: privat
Der Freudentaler Marco Schulz versucht, auf die heimtückische Nervenkrankheit ALS aufmerksam zu machen. Nun ist sein zweites Buch erschienen: Der Kinderroman ist ein Vermächtnis für seine Töchter, aber auch ein Zeichen von Stärke und Zuversicht. Und der Beweis, dass es sich lohnt zu kämpfen.

Freudental. Der kleine Marienkäfer Marie gehört mittlerweile zur Familie von Marco Schulz. Die Geschichten rund um den abenteuerlustigen und vorwitzigen Marienkäfer hat der 39-Jährige seinen beiden Töchtern zunächst abends beim Zubettgehen erzählt. Daraus ist schließlich ein Buch mit Kurzgeschichten entstanden. Nun hat der Freudentaler die Fortsetzung geschrieben: „Marie und ihr großes Abenteuer“ heißt der Kinderroman, der dieser Tage erschienen ist.

In erster Linie habe er das Buch natürlich für seine beiden Töchter geschrieben, berichtet Marco Schulz unserer Zeitung. „Sie haben nach neuen Marie-Geschichten gefragt und diesen Wunsch konnte ich nicht ablehnen.“ Doch der Kinderroman ist viel mehr. Mehr als eine lustige und abenteuerliche Geschichte über einen kleinen Marienkäfer und seine Freunde. Mehr als ein Geschenk, das ein Vater seinen beiden Töchtern macht. Es ist auch ein Buch über Stärke und Zuversicht. Über Hoffnung und Grenzen.

Marco Schulz ist an ALS erkrankt. Im Jahr 2017 erhält er die niederschmetternde Diagnose, denn Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist nicht heilbar. Sie schwächt und lähmt die Muskeln, Betroffene verlieren nach und nach die Kontrolle über ihren Körper. Meist erst über Arme und Beine, schließlich auch über Stimme, Schluckfunktion und Atmung. Einzig der Geist bleibt unberührt. Pro Jahr erkranken weltweit drei von 100000 Menschen an ALS, etwa 8000 Betroffene gibt es in Deutschland. Die mittlere Überlebenszeit beträgt zwischen drei und fünf Jahren. Prominente Fälle sind der 2007 verstorbene Maler Jörg Immendorff und der vor drei Jahren verstorbene Physiker Stephen Hawking.

In der ersten Zeit sind die körperlichen Beschwerden bei Marco Schulz noch beherrschbar, die Arbeit als Ingenieur noch ohne Einschränkungen möglich. Mittlerweile sitzt der 39-Jährige jedoch im Rollstuhl, das Sprechen ist sehr schwierig, Essen eine große Herausforderung. „Die letzten Wochen waren für mich sehr schwer. Ich hatte starke Krämpfe und Spastiken. Aber vor allem psychisch ging es mir nicht gut. Ich hatte meinen Lebensmut verloren, die ganzen Verluste und Schmerzen waren einfach zu viel“, gibt der Freudentaler offen zu. Am schwierigsten ist es für den Familienvater aber, das Leben seiner Töchter nur noch passiv verfolgen zu können – nicht mehr mit ihnen spielen, sie nicht mehr auf Ausflüge begleiten.

Mental geht es Marco Schulz heute wieder etwas besser. Seine Familie hat ihm aus dem tiefen Loch herausgeholfen. Und ein Stück weit auch die Arbeit an seinem neuen Buch: Durch das Schreiben der Geschichte habe er sich seinen Töchtern wieder ein bisschen näher gefühlt. Und er hat eine Aufgabe, die er noch selbstbestimmt ausüben kann. „Mit dieser Krankheit gehen einem die Hobbys aus“, sagt Marco Schulz. Radfahren, Nordic Walking, Acrylmalerei – nichts geht mehr. „Für alles brauche ich Hilfe, und irgendwie sind die Dinge, die man tut, nicht mehr die eigenen. Zumindest fühlt es sich so an. Doch mit dem Schreiben habe ich Beschäftigung, andere Gedanken und kann meiner Fantasie freien Lauf lassen.“

Doch wie schreibt man ein Buch, wenn man Tastatur und Maus nicht mehr bedienen kann, weil die motorischen Fähigkeiten in Armen und Händen gerade noch ausreichen, um den Rollstuhl zu steuern? Mit den Augen!

Das funktioniert mittels Infrarotsensor, der die Augen erfasst und die Bewegungen auf den Monitor überträgt. Die Tastatur habe wie beim Handy eine Worterkennung, beschreibt der Freudentaler. Um einen Buchstaben auszuwählen, müsse man diesen eine kurze Zeit anschauen.

ALS ist in Deutschland nur wenig bekannt, die Krankheit hat keine Lobby. Auch dagegen kämpft Marco Schulz mit seinen Büchern. Der kleine Marienkäfer Marie stehe inzwischen in der ALS-Gemeinschaft bei vielen Patienten, Angehörigen und Pflegenden für ein Zeichen von Stärke und dafür, „niemALS“ aufzugeben. Das hat Marco Schulz auch seiner Familie versprochen.

„Wobei ich zugeben muss, dass ich oft kurz davor bin. Es wäre so einfach, alles loszulassen und hinzuschmeißen“, schreibt er in seinem Vorwort zum aktuellen Roman. Aber der 39-Jährige kämpft weiter, beißt sich durch und beschönigt nichts. Er spricht offen und ehrlich über seine Gefühle und steht zu seinen Schwächen, die die Krankheit zwangsläufig mit sich bringt. „Ich schäme mich nicht dafür. Ich finde, die wahre Stärke liegt darin, seine Gefühle zu leben“, sagt der Freudentaler.

Diese Einstellung und sein Engagement, auf ALS aufmerksam zu machen, bringen ihm viel Respekt ein, manche sehen in ihm ein Vorbild. Als solches fühle er sich zwar nicht, sagt Marco Schulz, aber er sei schon ein bisschen stolz auf die vielen positiven Rückmeldungen und den überwältigenden Erfolg seiner Bücher. „Ich hoffe, dass meine Kinder irgendwann auch so denken und stolz auf ihren Papa sind.“

Dazu trägt ganz sicher auch der kleine Käfer Marie bei – der ja gemeinhin als Glücksbringer gilt. Auch bei Familie Schulz: Marie habe ihnen schon viel Glück gebracht, findet der Freudentaler: „Vor allem in Form von unvergesslichen Momenten beim Erzählen der Geschichte für meine Familie.“ Diese Erinnerung werde niemals verblassen. „Nicht nur für meine Familie, sondern auch nicht für so viele Menschen die bei einem Marienkäfer an mich denken. Zu wissen, ich werde nicht vergessen, das bringt mir auch ein bisschen Frieden.“

Info: Der Kinderroman „Marie und ihr großes Abenteuer“ von Marco Schulz ist erschienen im Verlag Edition Bad Wimpfen und kostet 12,90 Euro. Neben der Geschichte können die kleinen Leser und Zuhörer noch die eine oder andere Aufgabe lösen. Außerdem gibt es im Buch wissenswerte Informationen rund um die Glückskäfer und eine Marie zum Ausmalen. Erhältlich ist das Buch im Handel und im Freudentaler Rathaus.