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Hinter dem Busch lauert der Täter

Überfall auf Bäckereifahrer aufgeklärt – Angeklagter legt Geständnis ab – Mit Baum auf der Straße Halt erzwungen

Marbach/Kirchberg/Stuttgart. Zwei Jahre nach der Tat steht jetzt ein 35-jähriger Mann vor dem Landgericht Stuttgart, der im August 2019 zwischen Rielingshausen und Kirchberg den Fahrer einer lokalen Bäckereikette zusammengeschlagen und beraubt hat. Dass Gregor H. – kurzrasierte Haare, dunkelblonder Vollbart, gepflegtes Hochdeutsch – überhaupt festgenommen werden konnte, ist der Kombinationsgabe einer Waiblinger Kriminalbeamtin zu verdanken, die zwei räumlich weit entfernte Fälle in einen Zusammenhang gebracht hat.

Denn zunächst war die Polizei in Niedersachsen vor einem Rätsel gestanden: Ein schwarz maskierter Mann hatte im März 2019 ein Juweliergeschäft überfallen, den Inhaber geknebelt, Ringe und Ketten aus dem Tresor geräumt und Bargeld aus der Kasse genommen. Wert etwa 2700 Euro. „Dawei! Dawei!“ hatte der Mann geschrien,  „los! Los!“ auf Russisch, dann war er mit dem Auto des Juweliers geflüchtet. In diesem Auto fanden sich weibliche DNA-Spuren, obwohl der Überfallene eindeutig einen Mann als Täter beschrieben hatte. Die Polizei in Niedersachsen kam nicht weiter, auch die Fernsehsendung „Aktenzeichen XY ungelöst“  brachte kein Licht ins Dunkel. Dann passierte fünf Monate später der Überfall auf den Bäckereifahrer zwischen Rielingshausen und Kirchberg.

Es war gegen 4.45 Uhr am Dienstag, 6. August, als der Fahrer auf seiner Tour nach Kirchberg einen Baumstamm auf der Straße bemerkte. In den Tagen davor hatte es gestürmt, bereits am Montag hatte ein Ast ihm an dieser Stelle den Weg versperrt. Er hatte aussteigen müssen und das Hindernis zur Seite räumen. Was der Fahrer nicht wusste: Ein Mann war ihm gefolgt und hatte seine Strecke ausgekundschaftet; der Ast hatte ihn auf eine Idee gebracht.

„Ich habe hinter Büschen auf den Fahrer gewartet, den Baum hatte ich zehn Minuten vorher mit einem Multitool gefällt und auf die Straße gezerrt“, sagte der Angeklagte, der ein umfassendes Geständnis ablegte und auch den Überfall auf das Juweliergeschäft im niedersächsischen Emsland ausführlich schilderte.

Allerdings war es ihm trotz eines Faustschlags auf den Kopf und trotz Pfefferspray nicht gelungen, den Bäckereifahrer zu fesseln. Die beiden Männer hatten auf dem Boden miteinander gerungen, „dawei dawei!“ hatte der Maskierte gerufen, den Kopf des Überfallenen auf den Boden geschlagen und eine Plastiktüte mit den Tageseinnahmen – Inhalt: rund 3000 Euro – aus dem Fahrzeug gezogen. Dann war er durch den Wald geflüchtet.

Aus dem ähnlichen Tathergang, der Täterbeschreibung, aus Fingerabdrücken, die einem in Drogengeschichten verwickelten Mann zugeordnet werden konnten und aus DNA-Abgleichen schloss zwei Jahre später eine Waiblinger Kriminalkommissarin auf Gregor H., der seither in Untersuchungshaft sitzt. Wie aber war der Mann aus Niedersachsen an den Bäckereifahrer in Rielingshausen geraten? Warum hatte er sich ein Juweliergeschäft im 7000-Seelen-Ort Sögel ausgesucht? Und warum hatte er bei beiden Überfällen „dawei, dawei!“ geschrien?

Diese letzte Frage erklärte als Zeuge ein niedersächsischer Polizist so: „Er wollte eine andere, osteuropäische Nationalität vortäuschen.“ Geglaubt habe man ihm das aber nie, dazu sei er viel zu unprofessionell und mit zuviel Ortskenntnis vorgegangen. Die zweite Frage enthüllte familiäre Abgründe: Zur Zeit des Überfalls in Rielingshausen hatte Gregor H. mit seiner Freundin in Asperg gewohnt; deren Mutter war Mitarbeiterin der Bäckereikette, er hatte sie ausgefragt, wie das denn so laufe mit den Tageseinnahmen.

Das Juweliergeschäft in Sögel hatte er schon als Jugendlicher gekannt: Seine Mutter hatte dort gearbeitet, bis sie aufhören musste: Eines Nachmittags war sie überfallen worden und hatte das psychisch ebenso wenig verkraftet wie ihr ehemaliger Chef heute; er hat sein Geschäft inzwischen aufgegeben. „Es tut mir leid, Sie waren immer nett zu meiner Mutter“, sagte der Angeklagte zu dem vor Aufregung bebenden Mann, dem eine Zeugenaussage erspart blieb. Auch der Bäckereifahrer kann nicht mehr in seinem Beruf arbeiten. Und warum das alles? „Es war ziemlich viel los in meinem Leben“, sagte der Angeklagte, „Ich habe jeden Tag Drogen genommen und hatte kein Geld mehr.“ 

Als Strafe könnten sich Staatsanwältin, Richter und Verteidiger nach einer Absprache etwas um acht Jahre herum vorstellen. Der Prozess wird fortgesetzt.