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Individualität in der Schwebe

Menschliche Gesellschaften im Fokus: Grete Werner-Wesner. Foto: Andreas Becker
Menschliche Gesellschaften im Fokus: Grete Werner-Wesner. Foto: Andreas Becker
Die Künstlerin Grete Werner-Wesner stellt in der Galerie Wendelinskapelle aus

Marbach. Zwar noch ohne Vernissage, aber mit einer höchst bemerkenswerten Schau meldet sich die Wendelinskapelle aus dem Lockdown zurück. Erstmals präsentiert Monika Schreiber in ihrer Marbacher Galerie die Kunst von Grete Werner-Wesner, die 1952 als Siebzehnjährige eine der jüngsten und letzten Schülerinnen von Willi Baumeister an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste gewesen ist. Auch im Landkreis ist die 1935 in Stuttgart geborene Künstlerin keine Unbekannte: Jahrzehnte wohnte sie in Oberriexingen, wo sie noch bis 2017, lange nach ihrem Umzug nach Heidelberg, ihr Atelier betrieb. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie hauptsächlich mit Kunst am Bau. Insbesondere Wandgestaltungen waren ein großes Thema: Im Großen Sitzungssaal des Ludwigsburger Landratsamts ist ein 14 Meter langer Fries von Werner-Wesner zu bewundern, mit zehn anderen Künstlern war sie im Jahr 2000 für die Gestaltung der Schleusenmauern an der Neckarschleuse Poppenweiler unter dem Titel „Das große Blau“ verantwortlich. Auch an der Planung und Ausführung des Kunstobjekts „Abakus“ am Forum zum 50-jährigen Bestehen der deutsch-französischen Städtepartnerschaft Ludwigsburg-Montbéliard war sie maßgeblich beteiligt.

Auch wenn ihre Marbacher Ausstellung mit 39 Arbeiten, überwiegend Farb- und Bleistiftzeichnungen auf Papier, den Zeitraum von 1972 bis 2020 beleuchtet und damit einen gewissen Querschnittscharakter besitzt, liegt das Hauptaugenmerk auf der Entwicklung dessen, was Werner-Wesner als „menschliche Gesellschaften“ bezeichnet. „Ich sehe das immer als Gruppen, als Ausschnitt aus der Gesellschaft, aus zwischenmenschlichen Beziehungen – oder auch völliger Gleichgültigkeit einer dem anderen gegenüber“, erklärt die Künstlerin im Gespräch. Wie in „Menschengruppe zu Lukrez“, dem jüngsten Bild der Schau, handelt es sich bei vielen ihrer Kompositionen um Ensembles, deren Figuren mehr oder weniger schemenhaft bleiben und nicht selten nahezu komplett auf ihre Silhouette reduziert sind. Hier aber lösen sie sich, je weiter der Blick nach unten schweift, zunehmend auf in ein labyrinthisches Alphabet amorpher Strukturen, eine Formenwelt, in der Mikro- und Makrokosmos miteinander verschmolzen sind. Tatsächlich sind das Elemente, mit denen Werner-Wesner sich in anderen Werkgruppen intensiv auseinandergesetzt hat: Auch aus ihren Serien „Siedlungsspuren – Stadtstrukturen“ und „Blattwerk“ sind in Marbach einige Arbeiten ausgestellt.

Spezifisch an Werner-Wesners Menschen indes ist eine in der Schwebe gehaltene Individualität: Stets bleiben die Gesichter Leerstellen, häufig wirkt die Gestik neutral und vage; auch einem Geschlecht sind die Figuren nicht immer zuzuordnen. „Vieles soll für den Betrachter offen bleiben – ob jemand darin nun eine konkrete Person erkennen möchte oder etwas im Entstehen, bleibt jedem selbst überlassen. Ich möchte das nicht vorwegnehmen“, sagt Grete Werner-Wesner über die Intention ihrer Wesen. Ambivalente Archetypen, wenn man so will.

Info: Die Bilder von Grete Werner-Wesner sind bis 8. August in der Wendelinskapelle zu sehen.