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Inklusion auch in Zeiten von Corona

Jan und die stellvertretende Schulleiterin Diana Hoffmann verstehen sich trotz Maske sehr gut. Foto: Ramona Theiss
Jan und die stellvertretende Schulleiterin Diana Hoffmann verstehen sich trotz Maske sehr gut. Foto: Ramona Theiss
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Corona hat den Alltag in den Schulen grundlegend verändert. Doch wie läuft der Unterricht unter Pandemiebedingungen? In unserer Serie „Schule in Corona-Zeiten“ berichten wir in regelmäßigen Abständen, wie die Oscar-Paret-Schule in Freiberg mit der „neuen Normalität“ umgeht. Heute geht es um das Thema Inklusion.

Freiberg. Jan ist ein ganz normaler Zehntklässler, der in die Oscar-Paret-Schule (OPS) geht. Lediglich ein Merkmal unterscheidet den 17-Jährigen von seinen Mitschülern: Er ist seit seiner Geburt hochgradig schwerhörig. Laut seiner Lehrerin Diana Hoffmann bekommt er aufgrund der Behinderung in seiner Klasse keine Sonderbehandlung. „Er ist einer von 22 Schülern und erfährt nur da Rücksicht, wo es angebracht ist“, sagt die stellvertretende Schulleiterin. So hängen sich seine Lehrer einen Funksender um, damit er auch hundertprozentig versteht, was sie sagen. Denn: Umgebungsgeräusche lenken ihn ab. Deshalb sind in der Klasse zudem sechs Mikrofone verteilt, in welche die Mitschüler sprechen, wenn sie dazu aufgerufen werden. Jan kann auf diese Weise völlig normal am Unterricht teilnehmen und war bislang auch bei allen Ausflügen, Theaterbesuchen und sogar beim Schüleraustausch mit Rumänien beteiligt.

Die Coronapandemie hat für Jan gegenüber seinen Klassenkameraden glücklicherweise keine besonderen negativen Auswirkungen. Lediglich die Maskenpflicht erschwert ihm die Kommunikation. Das hat zwei Gründe, wie er sagt. So kommen die Worte durch die Maske oft nicht deutlich genug an. Zum anderen liest Jan viel von den Lippen ab, was unmöglich ist, wenn sein Gegenüber eine Maske trägt. Das erschwert vor allem in den Pausen die Kommunikation. Am besten versteht Jan seine Lehrer und Mitschüler beim Online-Unterricht, weil er dann von den Lippen ablesen und die Lautstärke des Kopfhörers variieren kann. Auch das Hintergrundgemurmel fällt dann weg.

Auch an anderen Schulen, in denen Kinder und Jugendliche mit Behinderungen unterrichtet werden, geht die Coronapandemie nicht spurlos vorbei. Dennoch wird dort alles Machbare und Mögliche getan, um Inklusion zu gewährleisten. So wie beispielsweise in der Friedrich-Hölderlin-Schule in Asperg. Dort gibt es fünf Kinder, die in eine dritte Klasse in kooperativer Organisationsform (KOF) gehen. Das unterstützende Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentrum ist die Schule am Favoritepark in Ludwigsburg. Der Förderschwerpunkt der fünf Kinder liegt in der geistigen Entwicklung. Sie gehen in Asperg in eine Regelklasse, welche wie zwei Schulklassen organisiert wird. Sprich: Es gibt zwei Klassenlehrer sowie eine weitere Betreuungskraft für die KOF-Klasse. Der Unterricht erfolgt in aller Regel gemeinsam. „Es gibt aber die Möglichkeit, getrennt zu unterrichten, wenn es Sinn macht“, sagt Sonja Hauss, Schulleiterin der Friedrich-Hölderlin-Schule.

Beim ersten Lockdown im März bekamen die fünf geistig behinderten Kinder einmal wöchentlich Besuch von ihrer Lehrerin, die ihnen ein Materialpaket vorbeigebracht hat. Im Gegensatz zu den anderen Kindern der Klasse, die in digitaler Form schriftliche Aufgaben erhielten, gab es für die KOF-Kinder individuelle praktische Aufgaben. Einmal gab es ein Rezept zu einem Gericht, das sie gemeinsam mit ihren Eltern kochen sollten, ein anderes Mal war ein Jonglierball zum Nachbasteln drin. Einmal pro Woche gab es eine Videokonferenz, in der sich die Kinder in kleineren Gruppen austauschen konnten. „Alle Kinder haben eine starke Bindung zueinander“, sagt Sonja Hauss.

Die Teilöffnung nach dem Lockdown sei vor dem Hintergrund des inklusiven Gedankens schwierig gewesen. Wegen der strengen Vorgaben hinsichtlich des Abstands und der Anzahl von Kindern pro Raum war es laut der Schulleiterin nötig, die Klasse in drei Gruppen aufzuteilen. Die fünf Kinder mit Handicap haben eine Gruppe gebildet. „Ein gemeinschaftliches Lernen gab es da nicht“, sagt Hauss. Seit Beginn des Schuljahrs wird wieder beinahe wie vor der Coronakrise unterrichtet. Jetzt stehen der Klasse allerdings zwei nebeneinanderliegende Zimmer mit Zwischentür zur Verfügung, „um ihnen so viel Normalität wie möglich zu geben“. Außerhalb des Unterrichts benutzen die Kinder wegen der Abstandsregelungen vorgegebene Wege und Pausenhofbereiche.

Kinder benötigen Körperkontakt

Im Klassenzimmer können keine Abstände eingehalten werden. Gerade die Kinder mit Behinderung seien extrem auf körperliches Lernen angewiesen. „Sie brauchen den Körperkontakt zur Lehrkraft und den Helferkindern“, sagt Hauss. Geistig behinderten Kindern sei Kontaktfreiheit nur schwer zu vermitteln. Die Lehrkräfte würden zudem auf das Tragen einer Maske verzichten, weil die Kinder die Gebärdensprache lernen. Dafür werde auch Mimik benötigt. Einen Coronafall habe es in der Klasse bislang nicht gegeben. Sollte die Schule erneut geschlossen werden, werde nach Möglichkeit digital mit der Lernplattform Moodle gearbeitet, die Inklusionskinder würden dann wieder persönlich ihr Materialpaket erhalten.

Laut Schulleiter Peter Krause von der Schule am Favoritepark in Ludwigsburg wird dort in derzeit sechs KOF-Klassen mit insgesamt 34 Schülern zusammengearbeitet: zwei gibt es in der Grundschule Pattonville, eine in Asperg, eine in der Philipp-Matthäus-Hahn-Gemeinschaftsschule Kornwestheim, eine in der Wilhelm-Keil-Schule in Remseck und eine in der Hirschbergschule in Eglosheim.