1. Startseite
Logo

Jazzrock mit post-punkiger Energie

350_0900_16018_COKU29_03_17Buerkle_29.jpg
In der Sound-Wolke: Yosai bei ihrem Konzert in Ludwigsburg.
Ludwigsburg. Gar nicht leicht zu beschreiben ist die Musik des Leipziger Quartetts Yosai, das am Mittwochabend im Hohenecker Kronekeller auftrat. Das ist umso erstaunlicher, als sie meistenteils ganz selbstverständlich daherkommt. Viele ihrer Eigenkompositionen operieren mit den klassischen Bausteinen eines Popsongs, etwa den Kontrasten zwischen vorwärts drängenden und ruhigeren Passagen. Allerdings spielen sie diese in einer Besetzung, die einer Jazz-Combo entspricht: Mit dem Tenorsaxofonisten Simon Schorndanner, der auch immer wieder zur Klarinette greift, und der Gitarristin Steffi Narr stehen zwei Solisten vor der aus Noah Punkt (E-Bass) und Clemens Litschko (Schlagzeug) bestehenden Rhythmusachse. Gleichzeitig wirken sie auch wie eine Rockband: Sowohl Narr als auch Punkt bedienen elektrifizierte Instrumente. Schorndanner wäre in diesem Zusammenhang als Frontmann der Sänger, vor Narr ist der Boden bedeckt von kleinen Fußeffektpedalen, der die Leadgitarristin allerlei skurrile Sounds entlockt, mit denen sie die nebenstehende Loopstation füttert.
Ludwigsburg. Verteilt auf zwei Sets, stellte das Quartett in eineinhalb Stunden alle neun Stücke seines jüngsten, kurz vor der Veröffentlichung stehenden Albums „Alma Ata“ vor, dazu kamen einige Titel der ersten CD. Nach verrauchter Jazz-Bar klingt „Rasputin“, Schorndanner entlockt seinem Tenorhorn einen vollen, gesättigten Ton mit viel Luftrauschen, während Narr gesenkten Hauptes ein Ostinato gestaltet, um im folgenden geräuschhafteren Teil vehement in die Saiten zu greifen. Punkt und Litschko liefern den souverän swingenden Groove dazu, den der Drummer einfallsreich variiert.

„Hym“ wird getragen von einer wavigen Bassfigur und entwickelt eine nervöse, post-rockige Punk-Jazz-Energie. Mit einer an diesem Abend „1.4.0. Radio Moskau“ genannten Kollektivimprovisation gestatten sie einen überraschenden Blick auf ihren Background: Obwohl die Musik von Yosai zumindest in groben Zügen durch Elemente des Pop und Rock organisiert wird, liegt ihr frühster gemeinsamer Nenner im Feld der improvisierten Musik, was mit dieser Collage aus Geräuschen im Sinne der Musique concrète offenkundig wird: Aus Kratzen, Schaben, Rauschen, Klingeln modellieren sie ein Szenario anschwellender Intensität, Schorndanner spielt mit Doppler-Effekten, vorbeihuschenden Fliegen oder Automobilen gleich.

Vielfach grundiert Americana Narrs Stilistik, manchmal ist ihre Phrasierung ganz nah an Country und Western dran, etwa in „Gedankenwanderung“, das sie wie das Solo-Stück „Fargo“ selbst geschrieben hat. Durchweg erweist sie sich als so experimentelle wie kreative Gitarristin, setzt neben ihren Pedaleffekten auch Bogen, E-Bow und andere Hilfsmittel ein, um gespenstische Luftzugklänge und sinistre Feedback-Drones zu erzeugen. Ein Drumsolo mit gestrichenen Becken und Trommelrändern zeigt, dass Litschko ihr in keiner Weise nachsteht. Jazzrock, noch einmal anders.

Wie eine Sound-Wolke verdichten sie die melancholisch-pastorale Stimmung von „AWG“. Von Rainald Goetz’ erstem Roman „Irre“ inspiriert „Dr. Raspe“, dem Rapper Textor, einst Mastermind der so famosen wie unterschätzten Ulmer Hip-Hop-Formation Kinderzimmer Productions, gewidmet das balladeske „SKUN“. Ein sehr gelungener Auftritt, dem etwas mehr Publikum zu wünschen gewesen wäre. Wer aber den Weg zu Yosai auf sich genommen hat, ahnt: Von dieser Band wird noch einiges zu hören sein.