1. Startseite
Logo

Kahlschlag auf der Streuobstwiese

Nur noch als Kaminholz zu gebrauchen: Gefällte Bäume an der Markgröninger Bahnhofstraße. Das stattliche Exemplar links hinten ist längst auch Opfer der Motorsägen geworden. Foto: Ramona Theiss
Nur noch als Kaminholz zu gebrauchen: Gefällte Bäume an der Markgröninger Bahnhofstraße. Das stattliche Exemplar links hinten ist längst auch Opfer der Motorsägen geworden. Foto: Ramona Theiss
Ein privater Investor lässt in der Markgröninger City eine Streuobstwiese roden, um auf der Fläche rund 40 Altenwohnungen zu bauen – dabei stehen artenschutzrechtliche Untersuchungen noch aus. Die Wut bei den Anwohnern ist groß.

Markgröningen. Christina und Maximilian Pal sitzen zu Wochenbeginn wie immer um 8 Uhr beim Frühstück, als hinter ihrem Haus an der Grabenstraße/Ecke Bahnhofstraße Arbeiter mit Motorsägen anrücken. Ihr Auftrag: Eine Streuobstwiese zu roden, auf der ein privater Investor ein Haus mit 40 seniorengerechten Wohnungen entstehen lassen will – und zwar noch in diesem Jahr.

Kurz darauf kreischen die Sägen bereits, fast zwei Tage lang, bis etwa 16 Uhr. Ein 80 Jahre alter Walnussbaum verschwindet, dazu vier stattliche Birnbäume, eine Reihe von Birken und jede Menge Efeu. Die Anwohner der Grabenstraße haben jetzt einen freien Blick auf die Friedhofsmauer und ein altes Gebäude der Telekom an der Sudetenstraße. „Ich bin entsetzt“, sagt Maximilian Pal unserer Zeitung und zeigt auf den Kahlschlag. „Diese Streuobstwiese hatte einen großen Wert für uns. Sie war die grüne Lunge der Nachbarschaft.“ Und Lebensraum unter anderem für Eidechsen, Siebenschläfer, Fleder- und Feldmäuse sowie Grünspechte.

Offenbar nehmen auch Polizisten und der Stadtbaumeister Klaus Schütze die Aktion hinter dem Markgröninger Cityring unter die Lupe. Das Rathaus ist über ein Bebauungsplanverfahren an dem Projekt Altenwohnungen beteiligt. Schütze gibt sich gegenüber unserer Zeitung zerknirscht. „Die Aktion ist unglücklich verlaufen“, sagt er.

Vieles spricht dafür, dass der Kahlschlag auf der Streuobstwiese am Markgröninger Cityring übereilt über die Bühne gegangen ist. „Es stehen noch artenschutzrechtliche Untersuchungen auf dem Programm“, räumt der Stadtbaumeister ein, die noch nicht abgeschlossen seien und zwischen Februar und Juni erledigt werden sollten. Derzeit sind Eidechsen, Siebenschläfer und Co. wegen der Winterkälte noch nicht wieder richtig aktiv. Für Fachleute sei es deshalb schwierig festzustellen, was tatsächlich auf der Streuobstwiese an der Bahnhofstraße los ist.

Mit dem Investor ist der Markgröninger Stadtbaumeister nach eigenen Angaben in Kontakt. Sie hätten jetzt beschlossen, dass auf dem Grundstück erst einmal nicht weitergearbeitet werde, damit Umweltexperten ihre Arbeiten abschließen können. Das Verhalten des Rodungstrupps bezeichnet Schütze als „ungeschickt“. Verboten seien die Baumfällarbeiten aber nicht gewesen.

„Wir hatten damit gerechnet, dass von der Streuobstwiese noch etwas übrig bleiben und nicht alles zugepflastert werden würde“, sagt der Anwohner Maximilian Pal. „Hier sind jetzt aber Fakten geschaffen worden.“ Ihre Bedenken und ihre Sorgen um einen Wertverlust ihrer Immobilien haben die Anwohner in den vergangenen Jahren immer wieder der Stadt und dem Landratsamt in Ludwigsburg mündlich und schriftlich mitgeteilt.

Das Projekt Altenwohnungen ist nicht das einzige, das ihnen ein Dorn im Auge ist. Flankierend dazu plant die Stadt entlang der Markgröninger Friedhofsmauer auch, einen etwa drei Meter breiten Fuß- und Radweg zwischen Grabenstraße und Sudetenstraße anzulegen – der allerdings über Privatgrundstücke führen würde. „Wir haben dagegen Widerspruch eingelegt“, sagt eine, die direkt betroffen ist. „Bei uns würden etwa 93 Quadratmeter an Fläche wegfallen.“

Schütze versucht zu beschwichtigen. „Die Stadt darf zwar im Rahmen der kommunalen Planungshoheit einen Radweg in einem Bebauungsplan auch auf privaten Flächen festsetzen“, schreibt er den Anwohnern im September 2021. „Das bedeutet aber nicht, dass die Stadt den Weg auch bauen kann. Dazu benötigt sie die erforderlichen Grundstücke.“ Die Trasse könne daher erst realisiert werden, wenn die Eigentümer die dafür erforderlichen Flächen an die Stadt verkaufen.

Gut möglich erscheint jetzt, dass nicht nur Umweltexperten, sondern auch Juristen den Fall untersuchen müssen.