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„Keine Musik im Weißen Haus“

Jennifer Lopez während der Halbzeit-Show des American-Football-Spiels Super Bowl zwischen den Kansas City Chiefs und den San Francisco 49ers. Lopez trat mit Joe Biden in einem Video auf – mit dem Ziel, dem Kandidaten für die US-Präsidentschaft viele
Jennifer Lopez während der Halbzeit-Show des American-Football-Spiels Super Bowl zwischen den Kansas City Chiefs und den San Francisco 49ers. Lopez trat mit Joe Biden in einem Video auf – mit dem Ziel, dem Kandidaten für die US-Präsidentschaft viele Stimmen der Latino-Wählerschaft zu sichern. Foto: Al Diaz/TNS via ZUMA Wire/dpa
„Nicht mein Präsident“ – das sagen die allermeisten Popmusiker über Trump. Herausforderer Biden kann sich freuen: Zahlreiche Stars machen kurz vor der Wahl gegen den Mann im Weißen Haus mobil. Besonders eindringlich: der Mann, den sie „Boss“ nennen.

Berlin. Die Botschaft kommt ohne Holzhammer aus. Zu leiser Hintergrundmusik zitiert Bruce Springsteen mit gedämpfter Stimme aus einem Gedicht und macht klar, was er von Donald Trump hält: „Es gibt keine Kunst in diesem Weißen Haus. Es gibt da keine Literatur, keine Poesie, keine Musik. Nie legt dieser Präsident seine Uniform aus blauem Anzug und roter Krawatte ab, um mal menschlich zu werden.“

Der Rock-Superstar („Born In The U.S.A.“) klagt mit den wohlgesetzten Worten der Poetin Elayne Griffin Baker über einen Staatschef, „der nicht tröstet, sondern spaltet“. Dann fragt er sich und seine Zuhörer, die ihn gern „Boss“ nennen: „Wohin ist dieses Land bloß gekommen? Wir haben so viel verloren in so kurzer Zeit.“ Springsteens Empfehlung an eine Millionen-Gefolgschaft auf Twitter und Instagram: „Wählt sie raus.“ Der Wunsch, dass die auch kulturell so triste Trump-Präsidentschaft bald enden und der demokratische Herausforderer Joe Biden siegen möge, eint viele Popstars. Manche greifen den Amtsinhaber und seine Republikaner wütender an als Springsteen. Insgesamt war die Ablehnung eines Präsidenten durch die US-Musikschaffenden nie so lautstark. Zwar hat Trump einige Fans, etwa Rap-Rüpel Kid Rock. Für viele Beobachter eher unerwartet kam die Unterstützung von Punk-Pionier John Lydon alias Johnny Rotten (The Sex Pistols). „Er ist die einzige vernünftige Wahl, jetzt, da Biden im Rennen ist“, sagte der Brite mit US-Pass. Der Rapper 50 Cent bekannte sich zum Präsidenten, weil ihm Bidens Steuer-Programm nicht passt, und Lil Wayne lobte Trumps Versprechen für Schwarze.

Bei Rock-Veteranen wie Neil Young und Michael Stipe und John Fogerty, afroamerikanischen Soul-Stars wie Stevie Wonder und Alicia Keys oder jungen Popidolen wie Taylor Swift, Billie Eilish und Cardi B bekommt der blonde Mann im Weißen Haus indes keinen Stich. Viele sind in ihren sozialen Netzwerken aktiv, vom noch halbwegs neutralen, de facto jedoch prodemokratischen „Vote!“-Aufruf bis zur glasklaren Biden-Unterstützung.

Stars spielen auf Youtube Lieder im „Team Joe Sings“, etwa Kesha, die Latin-Rock-Band Los Lobos oder Indie-Popper Matt Berninger (The National). Kanäle wie Twitter und Instagram oder auch Interviews nutzen Jeff Tweedy von der Folkrock-Vorzeigeband Wilco, Cher oder Ariana Grande, um als Trump-Gegner Flagge zu zeigen. Soul-Sängerin Alicia Keys feuerte mit ihrem Hit „Girl On Fire“ Bidens Vize-Kandidatin Kamala Harris an.

Ein Problem politisch engagierter Musiker wegen der Coronapandemie: Im Gegensatz zu früheren US-Wahlen sind Konzerte zugunsten der Demokraten unmöglich. Also kein Staraufgebot wie 2004, als Springsteen, Pearl Jam, R.E.M. und Dixie Chicks für John Kerry auf der Bühne standen. Stattdessen eine ins Netz verlagerte Mobilisierung für Biden und Harris. So präsentierte Superstar Taylor Swift auf Twitter ein Foto von sich mit Keksen, deren Zuckergussaufschrift „Biden/Harris/2020“ keine Zweifel ließ. „Ich glaube, dass Amerika unter ihrer Führung eine Chance hat, den Heilungsprozess in Gang zu setzen, den es so dringend braucht“, sagte sie. Biden weiß, was solche Wahlhilfe einer jungen Frau mit 140 Millionen Instagram-Abonnenten wert ist – er bedankte sich umgehend.

Neben Sängerin Jennifer „J.Lo“ Lopez trat das Ehepaar Biden Mitte Oktober in einem heimeligen Video auf – mit dem Ziel, Trumps Gegner möglichst viele Stimmen der wichtigen Latino-Wählerschaft zu sichern. Sängerin Demi Lovato kritisierte Trump im Song „Commander In Chief“: Wie es sich anfühle, noch atmen zu können, während das Land in einer Krise versinke und Menschen sterben, hieß es in Anspielung auf Pandemie und Polizei-Rassismus. Grammy-Gewinnerin Eilish, die schon früh für die US-Demokraten getrommelt hatte, begründete dies erneut im Onlinemagazin Pitchfork: „Es steht gerade so viel auf dem Spiel. Nach vier Jahren Donald Trump werden die Dinge immer schlechter und derzeit gruselig.“ Klimawandel, Rassismus in der US-Gesellschaft („Trump stützt die Rassisten“) und der Umgang mit Covid-19 seien Beispiele.

Ohne Trumps Namen zu nennen, positionierte sich Soul-Ikone Stevie Wonder. Seine beiden Comeback-Lieder unterstützten den Protest der Bewegung Black Lives Matter gegen Ungerechtigkeit und Rassismus in den USA, sagte er. Ein anderes Idol der afroamerikanischen Community, Rapper Chuck D (Public Enemy), ermahnte schwarze Biden-Skeptiker: „Es ist nicht an der Zeit, minimale Unterschiede zu pflegen, wenn man dem Faschismus direkt ins Gesicht blickt.“

Auch wegen der Nutzung von Songs für ihren Wahlkampf haben die Republikaner viel Ärger. So klagte Neil Young gegen Trump nach der unerlaubten Vereinnahmung von „Rockin’ In The Free World“. Proteste kamen zuletzt von CCR-Gründer John Fogerty („Prodigal Son“) und dem Briten Phil Collins. „Verwenden Sie weder unsere Musik noch meine Stimme für Ihr schwachsinniges Affentheater von Wahlkampagne“, schimpfte Ex-R.E.M.-Sänger Stipe.

Traditionell haben die Konservativen in der geprägten US-Musikszene kaum Gefolgschaft. Trump erfährt dies nun intensiv. Schon für die Nationalhymne bei seiner Amtseinführung 2017 fand Trump nur ein drittklassiges Popsternchen namens Jackie Evancho. Acht Jahre davor, zum Antritt von US-Präsident Barack Obama, hatte noch die wohl größte Soul-Künstlerin gesungen: Aretha Franklin.