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Gastronomie
Kompromiss bei den Sperrzeiten

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Es ist die goldene Mitte: Die Außenbewirtung in der Besigheimer Innenstadt soll von Anfang April bis Ende Oktober bis 22.30 Uhr erlaubt sein. Das zumindest empfiehlt der Verwaltungsausschuss dem Gemeinderat – und schließt sich damit dem Vorschlag der Stadtverwaltung an, die Zeiten der letztjährigen Probephase dauerhaft zu übernehmen.

Besigheim. Die Sperrzeiten haben im vergangenen Sommer für reichlich Zündstoff gesorgt. Wie mehrfach berichtet, hatte sich der Gemeinderat damals auf die 22.30 Uhr-Grenze testweise festgelegt. Hintergrund war ein Antrag von 20 Gastronomen, während der Sommersaison bis 23 Uhr draußen bewirtschaften zu dürfen. Etwa 40 Anwohner wiederum plädierten in einer Stellungnahme dafür, die Außenbewirtschaftung sonntags bis donnerstags auf 21.30 Uhr zu beschränken, freitags und samstags sollte die Sperrzeit wie gehabt von 22 Uhr an gelten. Einige Wirte starteten während der Probephase eine Umfrageaktion unter ihren Gästen. Das kam bei manchen Besigheimern nicht gut an.

Die Emotionen schaukelten sich hoch, der Ruf nach einem runden Tisch wurde laut. Doch das lehnte Bürgermeister Steffen Bühler ab: Wer sollte an der Runde teilnehmen? Alle Altstadtbewohner? Nur die, die sich beschweren? Allerdings machte die Stadtverwaltung nach der Freiluftsaison eine Umfrage bei den Innenstadtbewohnern. Sie sollten sich zu den Sperrzeiten äußern, beispielsweise ob sie verkürzt oder verlängert werden sollen. Insgesamt 364 Briefe wurden verschickt, 109 Besigheimer haben darauf reagiert. In der Sitzung des Verwaltungsausschusses wurde am Dienstagabend das Ergebnis präsentiert: 47 Prozent wünschen sich, dass abends länger draußen bewirtet werden kann (51 Besigheimer), 34 Prozent wollen es bei den Sperrzeiten 2019 belassen (37 Bürger) und 19 Prozent möchten, dass die Bewirtung eher endet (21 Besigheimer). Darüber hinaus gaben 71 Prozent an, die Atmosphäre in der Innenstadt zu genießen, 29 hingegen fühlten sich durch die Öffnungszeiten der Gastronomen belastet.

An der Postkartenaktion, die von den Wirten gestartet wurde, haben sich 734 Personen beteiligt. Hier wurde unterschieden zwischen Altstadtbewohner, Einwohner, Gast oder Tourist. In allen vier Gruppen waren diejenigen, die die 23-Uhr-Regel befürworteten, deutlich in der Überzahl. Die Stadtverwaltung hat zudem Gespräche mit den Gastronomen und den unmittelbaren Marktplatz-Anwohnern geführt. Außerdem bat sie die Polizei und das Landratsamt – unter anderem als Untere Immissionsschutzbehörde – um Stellungnahmen. Diese sind zwar eingetroffen und lagen den Stadträten bei der Sitzung vor, allerdings baten beide Behörden um eine vertrauliche Behandlung. „Wir können diese Stellungnahmen also nicht öffentlich behandeln“, sagte Bühler, der sichtlich irritiert darüber war. Aus all den Rückläufen und Meinungen hat sich die Verwaltung entschlossen, dem Gremium folgenden Beschlussvorschlag zu präsentieren: Die Sperrzeit der Außenbewirtschaftung beginnt von 1. April bis 31. Oktober jeweils um 22.30 Uhr, an allen anderen Monaten um 22 Uhr; die Gastwirte werden darauf hingewiesen, dass sie die Lärm-Grenzwerte einhalten müssen; die Sondernutzungserlaubnis kann bei Verstößen gegen Sperrzeit und Lärm widerrufen werden.

Die WIR-Fraktion, der auch Stadtrat Frank Land angehört (siehe zweiter Text), hatte einen anderen Vorschlag und stellte einen Antrag: Die allgemeine Sperrzeit sollte von April bis Ende Oktober auf 23 Uhr festgesetzt werden; bei besonderen Außenveranstaltungen mit Livemusik beginnt die Sperrzeit bereits um 22 Uhr – für jeden Gastronomiebetrieb sind pro Sommersaison maximal zwei solcher Veranstaltungen genehmigungsfähig; die Kontrolle und Ahndung bei Überschreitungen werden befürwortet. Der Antrag wurde bei drei Enthaltungen abgelehnt.

Der Verwaltungsvorschlag hingegen kam gut an. Man sei froh, dass man eine gut funktionierende Gastronomie habe, sagte Helmut Fischer (BMU), „die Rahmenbedingungen wollen wir, so weit es geht, erhalten“. Doch davon seien die Interessen der Anwohner zwangsläufig berührt. Vom Beschlussvorschlag der Stadt sei er positiv überrascht. Die CDU sprach sich ebenfalls für die Sperrzeit um 22.30 Uhr aus. „Für uns ist das Entscheidende, dass es ein vernünftiges Miteinander gibt. Dass sich Gäste und Anwohner wohlfühlen“, sagte Fraktionsvorsitzender Achim Schober. Christian Herbst (SPD) konnte mit dem Kompromissvorschlag ebenfalls gut leben. Er hielt allerdings den jährlichen Zeitraum bis Ende Oktober für zu lange. Für Dr. Anne Posthoff (BMU) war es ein „ziemlicher Spagat, den wir hier machen müssen“: „Ich sitze im Sommer auch gerne draußen, aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht zum Disneyland mutieren.“ Man müsse den Bedürfnissen der Bürger Rechnung tragen – „letztendlich sind wir von ihnen gewählt worden und nicht von den Touristen“. Doch sie könne den Beschluss der Stadt mittragen. Dem schloss sich Walter Zeyhle (FWV) an; angesichts der Rückmeldungen sei der für 2019 beschlossene Kompromiss ja im Großen und Ganzen gelungen. „Ich plädiere für eine Fortsetzung.“

Ulrich Gerstetter (CDU) meinte, die Regelung müsse für das ganze Stadtgebiet einschließlich der Stadtteile gelten: „Nicht, dass die Leute auf der einen Seite der Enz heimgeschickt werden, und dann in der Innenstadt weiter Lärm machen dürfen.“ Zuvor hatte Christian Herbst gefragt, ob die Zeiten auch für „Radlertreff“ und „Weinfluss“ gelten, die in den Sommermonaten an der Enz auf der Westseite stattfinden. Hier ist bislang um 22 Uhr Schluss. Bühler sagte, die jetzige Regelung betreffe die Gastronomie, die beiden Angebote seien keine gastronomischen Betriebe in diesem Sinne. Mit dem Thema wird man sich aber später noch befassen.

Stadtrat Frank Land für befangen erklärt

Bevor sich der Verwaltungsausschuss des Gemeinderats mit der Sperrstundenregelung befasste, stand etwas an, das Bürgermeister Steffen Bühler in seinen 28 Dienstjahren noch nie machen musste: Das Gremium sollte darüber entscheiden, ob ein Stadtrat in der Sache befangen ist. Es ging um WIR-Stadtrat Frank Land.
Er ist Gastronom, betreibt die Marktwirtschaft am Marktplatz und ist einer der Altstadt-Wirte, die im Sommer plakativ und mit Postkarten dafür warben, dass von April bis Oktober bis 23 Uhr draußen bewirtet werden soll. Gerade die Gastronomie in der historischen Altstadt kann angesichts der Touristen und Ausflügler besonders davon profitieren, wenn die Gäste länger draußen sitzen dürfen. Ist Land deswegen bei der Gemeinderatsentscheidung befangen? Bürgermeister Bühler zitierte aus der Gemeindeordnung, die besagt, dass ein Stadtrat weder beraten noch entscheiden darf, wenn die Entscheidung ihm selbst einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringen kann. Allerdings gibt es eine Ausnahme: „Diese Vorschriften gelten nicht, wenn die Entscheidung nur die gemeinsamen Interessen einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe berührt“, steht im dritten Absatz des Paragrafen.18. Die Frage sei nun, ob bei Frank Land ein individuelles Sonderinteresse vorliege oder ob es hier um die allgemeine Berufs- und Bevölkerungsgruppe gehe. Die vorherige Nachfrage Bühlers bei der zuständigen Kommunalaufsicht brachte wenig Klarheit – „es komme drauf an“, gab es von dort als Antwort. Im Zweifelsfall müsse darüber der jeweilige Ausschuss oder Gemeinderat entscheiden.
Dass dieser Punkt vor der Beratung geklärt wird, ist wichtig, um Rechtssicherheit zu schaffen.
Also bat der Bürgermeister die Stadträte um Stellung. Frank Land musste zuvor seinen Platz am Ratstisch verlassen und verfolgte die Diskussion von den Zuschauerplätzen aus. Wobei es eigentlich keine Diskussion war, denn im Gremium bestand Einigkeit: Ja, Land sollte als befangen erklärt werden. Konsens herrschte auch darin, dass diese Gremiumsentscheidung hätte umgangen werden können, wenn sich der Stadtrat von vorneherein selbst für befangen erklärt hätte. Das hätten oder haben in der Vergangenheit zumindest die meisten Stadträte nach eigener Aussage gemacht – und zwar bereits dann, wenn nur der kleinste Verdacht aufkomme, man selbst könnte bei einem Thema befangen sein.
In zwei Wochen beschließt der Gemeinderat über die Sperrzeiten. Falls Frank Land auch hier mitberaten und -entscheiden möchte, muss sich der Gemeinderat ebenfalls mit der Befangenheitsfrage befassen. (kau)