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Künstliche Codes unter der Lupe

Schriftsteller und Hobby-Linguist: Der Österreicher Clemens J. Setz. Foto: Gert Eggenberger/APA/dpa
Schriftsteller und Hobby-Linguist: Der Österreicher Clemens J. Setz. Foto: Gert Eggenberger/APA/dpa
Clemens J. Setz diskutiert im virtuellen Raum des DLA mit Petra S. McGillen über Plansprachen

Marbach. Allein die Regale sprechen Bände. Wohlsortiert reiht sich Rücken an Rücken in der Bibliothek von Petra S. McGillen, einheitliche Blöcke in Reih und Glied bilden monochrome Farbfelder, während hinter Clemens J. Setz Türme aufragen, in deren Gefachen Bücher unterschiedlichster Formate sich drängen wie Passagiere der Tokioter U-Bahn in der Rushhour.

Zum letzten Termin des Begleitprogramms zur Ausstellung „#LiteraturBewegt: punktpunktkommastrich. Zeichensysteme im Literaturarchiv“ hat das Deutsche Literaturarchiv den österreichischen Schriftsteller und die am Dartmouth College in Hanover im nordöstlichen Teil der USA lehrende Literaturwissenschaftlerin eingeladen, um sich zum Thema „Zeichen faken“ auszutauschen.

Setz, 1982 in Graz geboren und mit Romanen wie „Indigo“ oder „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ mehrfach für den Deutschen Buchpreis nominiert, hat sich in seinem 2020 erschienen Buch „Die Bienen und das Unsichtbare“ mit Plansprachen wie Volapük, Klingonisch oder Lojban und der Geschichte ihrer Urheber auseinandergesetzt. Einige davon habe er als „Hobby-Linguist“ auch erlernt, so Setz.

Etwa Blissymbolics, eine Art piktografisches Zeichensystem, das Karl Kasiel Blitz als lautlose Sprache entwickelt hat – durchaus auch eine tragische Geschichte, wie Setz anmerkt: Als Überlebender mehrerer KZs (interniert in Dachau, Buchenwald und Shanghai) habe Blitz, der sich in späteren Jahren Charles K. Bliss nannte, ein Misstrauen gegenüber der „Stimmsprache“ entwickelt, die er als Sprachrohr im Zweifel tödlicher Propaganda identifizierte. Als eine Behindertenorganisation seine Semantographie für die Kommunikation spastisch gelähmter Kinder einzusetzen plante, gab Bliss zwar seine Zustimmung, zeigte sich mit deren Verwendung dann aber ausgesprochen unzufrieden.

Der Vorteil bei der Untersuchung von Plansprachen im Vergleich zu natürlichen Sprachen sei, dass der Entstehungsvorgang zeitlich komprimiert und in einer Person vorliege, erklärte Setz. Hinsichtlich der Überlebensfähigkeit einer Plansprache komme der Persönlichkeitsstruktur des Gründers eine entscheidende Bedeutung zu. So habe Tolkin seine elbischen Kunstsprachen nicht zu Ende erfunden – eine Situation, die heutige Fans durch komplexe Konflikte hindere, daran weiterzuarbeiten. „Das ist ein perfektes Rezept, damit eine Sprache sofort stirbt.“

Das Gegenbeispiel dazu sei Esperanto: Zamenhof habe seine internationale Sprache ausdrücklich „open source“ angelegt, sich als Person zurückgezogen: „Die Zauberzutat ist die Demut der Erfinder.“ Den in der Kunstsprache Piktisch verfassten Gedichten von H.C. Artmann ist Setz mit Übersetzungsprogrammen auf den Leib gerückt – mit erstaunlichen Ergebnissen und der Erkenntnis, dass der Algorithmus Tage später wieder andere Ergebnisse liefert.

In jedem Fall unterstelle Google Translate radikal Sinn. An der Arbeit mit digitalen Werkzeugen wie neuronalen Netzwerken interessieren Setz gerade die Störungen: „Neueren Versionen fehlt oft der Charme der Glitches“. Manches dort erzeugte erinnere auch an die Cut-up-Methode von William S. Burroughs. McGillens Begriff der „Fehler-Poesie“ wollte Setz jedenfalls nicht widersprechen: „Ein poetischer Text ist immer ein Text, mit dem irgendetwas nicht stimmt.“