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Künstliche Intelligenz jetzt am Zug

Blick in die S-Bahn-Leitstelle für die Region Stuttgart: Die Deutsche Bahn setzt hier seit einem Jahr zur Unterstützung der Disponenten auch auf künstliche Intelligenz, um Verspätungen zu minimieren. Eine erste Bilanz des Unternehmens fällt positiv a
Blick in die S-Bahn-Leitstelle für die Region Stuttgart: Die Deutsche Bahn setzt hier seit einem Jahr zur Unterstützung der Disponenten auch auf künstliche Intelligenz, um Verspätungen zu minimieren. Eine erste Bilanz des Unternehmens fällt positiv aus. Foto: Bernd Weißbrod/dpa
Die S-Bahn in der Region Stuttgart setzt seit einem Jahr auf eine selbst entwickelte Software, um die Züge pünktlicher zu machen. Das Ergebnis: Die durchschnittliche Verspätungszeit ist um bis zu drei Minuten reduziert worden.

Kreis Ludwigsburg. Das Herz der S-Bahnen in der Region schlägt im Plochinger Hafen. In einem kleinen Raum mit Blick auf den Neckar sitzen den Tag über verteilt rund 30 Disponenten, um die Züge auf den Bahnstrecken zu koordinieren. 950 Fahrten kommen nach Angaben des S-Bahn-Chefs Dirk Rothenstein jeden Tag zusammen – zum Beispiel nach Bietigheim, Marbach, Korntal, Ditzingen oder durch den Stuttgarter Tunnel.

Auf den Bildschirmen der Disponenten leuchten die Züge in unterschiedlichen Farben auf: blau, grün oder pink, je nachdem, wie pünktlich sie unterwegs sind. „Unsere Disponenten sorgen dafür, dass alles möglichst reibungslos vonstattengeht“, sagt Rothenstein, „was leider nicht immer der Fall ist.“ In den vergangenen Wochen bremste die Sanierung der unterirdischen Stammstrecke die Züge aus. Dazu kamen Oberleitungsschäden, Signalstörungen und malträtierte Räder.

Seit einem Jahr steht den Disponenten in der Plochinger Leitstelle auch künstliche Intelligenz (KI) zur Seite. Ein Softwaretool, das die Bahn selbst entwickelt hat, soll das S-Bahn-System in der Region stabilisieren. Es simuliert laufend den Livebetrieb der Züge und empfiehlt dann, in welcher Reihenfolge sie fahren sollen. Das Tool verarbeitet laut der Bahn etwa 500 Datenpunkte pro Minute. Rund 60 Prozent der daraus resultierenden Vorschläge setzen die Disponenten um.

Es ist ein Pilotprojekt, das die S-Bahn in der Region gestartet hat – und offenbar ein erfolgreiches. „Allein im ersten Halbjahr 2022 haben wir gut 4000 Verspätungsminuten vermieden“, sagt die DB-Technikvorständin Daniela Gerd tom Markotten bei einem Besuch der Leitstelle zu Wochenbeginn. Die durchschnittliche Verspätungszeit sei um bis zu drei Minuten reduziert worden, in der morgendlichen Rushhour gar um bis zu acht Minuten. Gerd tom Markotten: „Rein rechnerisch sind durch den Einsatz künstlicher Intelligenz 17 Züge mehr pro Tag auf der Stammstrecke möglich.“

Auch die S-Bahn-Netze in München und Frankfurt nutzen die neue Technik bereits – weitere Metropolen sollen folgen. „Wir sind mit der KI in der Lage, vorausschauend einzugreifen, wenn wir sehen, dass sich Verzögerungen im Betriebsablauf anbahnen“, so die DB-Vorständin.

Einem Eindruck will Gerd tom Markotten allerdings entgegentreten: Dass künstliche Intelligenz die Probleme der chronisch unpünktlichen S-Bahn in der Region alleine lösen kann. „Es geht nur Hand in Hand“, sagt sie in Plochingen. „Wir brauchen auch den Ausbau der Infrastruktur und die Modernisierung der Fahrzeugflotte.“

Mittlerweile lässt die Stuttgarter S-Bahn fast 200 Fahrzeuge in ihrem Netz fahren. Mit dem Regionalverband hat sie den ganztägigen 15-Minuten-Takt eingeführt und auf den Samstag ausgeweitet. Dazu ist die neue S-Bahn-Linie 62 aufs Gleis gesetzt worden, die von Weil der Stadt über Korntal und Ditzingen nach Zuffenhausen fährt – oder fahren soll. Der Krankenstand beim S-Bahn-Personal ist aktuell so hoch, dass das Unternehmen die Verbindung bis zum 6. November streicht und Fahrgästen empfiehlt, auf die S6 auszuweichen.

Der Einsatz künstlicher Intelligenz war dafür nicht nötig. Doch das nächste Digitalisierungsprojekt der Bahn ist längst aufs Gleis gesetzt: Die neue europäische Leit- und Sicherungstechnik ETCS, mit der der S21-Tiefbahnhof und der S-Bahn-Tunnel bis 2025 ausgestattet werden sollen. Der digitale Lotse macht es künftig möglich, Züge enger zu takten. Der S-Bahn-Chef Rothenstein sagt: „Damit erhöhen wir die Kapazität auf der Stammstrecke um mindestens 20 Prozent.“