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„Leute hatten genug von Korruption“

Sayed Rohani kommt aus Ghazni, lebt jetzt in Steinheim.Foto: Holm Wolschendorf
Sayed Rohani kommt aus Ghazni, lebt jetzt in Steinheim. Foto: Holm Wolschendorf
Sayed Rohani setzt große Hoffnungen in die neue Taliban-Regierung – Als junger Mann aus Ghazni geflüchtet

Steinheim. Seit fünf Jahren lebt Sayed Rohani in Steinheim. Er ist mit einer Schweizerin verheiratet, spricht fast perfekt Deutsch und ist zurzeit Zusteller bei der Post. Demnächst beginnt er eine Umschulung zum Lastwagenfahrer in der Hoffnung, dann mehr Zeit zu haben, um zu studieren, um damit seinem Heimatland Afghanistan helfen zu können. Denn obwohl der 26-Jährige selbst vor den Taliban floh, setzt er jetzt große Hoffnungen in sie. So große Hoffnungen, dass er sogar erwägt, irgendwann nach Afghanistan zurückzukehren.

Sayed Rohani ist 1994 geboren, in Afghanistan herrscht Krieg. Seitdem sich die Sowjetunion 1989 aus Afghanistan zurückgezogen hat, fehlt den Mudjahedin eine gemeinsame Vision für ihr Land. Also kämpfen sie nun gegeneinander weiter und stürzen Afghanistan damit ins Chaos. 1994 entsteht eine neue Bewegung, die Ordnung verspricht: die Taliban. Sie verbreiten Angst und Schrecken, beginnen systematisch Massaker unter der Bevölkerung, so ist zu lesen. „Es verging keine Woche ohne Schießerei“, erzählt der 26-Jährige, der in Ghazni, 180 Kilometer entfernt von Kabul, aufwuchs. „Meine Kindheit ist mir verloren gegangen“, sagt er. Es war eine Kindheit voller Angst, immer wieder habe man sich verstecken müssen. Immerhin: Er ging zur Schule, da sein Vater Wert auf Bildung legte.

Als die Amerikaner kamen, sei es noch schlimmer geworden, so Rohani. Vor den Bombardements sei man in den Keller geflohen, habe geweint und gebetet. Doch dann sei es ruhiger geworden im Land. Die Taliban zogen sich in die Berge zurück, begannen aber Leute für sich zu werben. Sie seien stärker und stärker geworden, rüsteten sich mit Gerätschaften. „Wir hatten aber im Chaos ein normales Leben“, erzählt er. Man habe auch mal schwimmen gehen oder Fußball spielen können, abends sei man aber lieber zu Hause geblieben, Regierung und vereinigte Truppen hätten immer mal wieder auf Leute geschossen, da sie dachten, es handle sich um Taliban. Die Taliban seien vor allem nachts und in den Dörfern auf dem Land aktiv gewesen. Sayed Rohani berichtet von zwei seiner Cousinen, die beim Roten Kreuz gearbeitet hatten und auf dem Heimweg von den Taliban erschossen worden waren.

Sein Cousin sei 2016 ermordet worden, auch seinen Bruder, der Polizist war, hätten sie im Visier gehabt. Sayed studierte Politikwissenschaften und arbeitete nebenher als Englischlehrer in einer Privatschule. Die Taliban hätten ihn verdächtigt, heimlich als Übersetzter zu arbeiten und mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten. „Ich hatte Angst, die haben nur nach einem Grund gesucht, jemanden umzubringen.“ Mit seinem Bruder flüchtete er.

Nachdem er in vergangener Zeit mehrere Interviews mit hochrangigen afghanischen Generälen gelesen hat, hat die Lage jetzt in Afghanistan seiner Meinung nach mehrere Gründe: „Als die Amerikaner nach dem 11. September gekommen sind, hatten sie keine Ahnung, was sie machen. Sie investierten viel Geld, um die Regierung zu unterstützen, aber auch in verschiedene Projekte.“ Aber diese Billionen Euro hätte man genauso gut aus dem Fenster schmeißen können. So seien laut Rohani 30 Millionen Euro in Walduniformen für das Militär investiert worden, obwohl es in Afghanistan keinen Wald gebe. Straßen seien gebaut worden, die nach kurzer Zeit wieder kaputt gewesen seien, da sie auf Sand gebaut worden seien. „Unsere Ingenieure wiesen darauf hin, dass sie nicht fest genug sind, aber man hat ihnen nicht geglaubt“, so Rohani. Der größte Fehler: Es sei eine Regierung gegründet worden, die von Anfang an auf Korruption beruhte. Nur wer Geld gehabt habe, habe sich bewerben können. „In der Regierung saßen Menschen, die nicht schreiben und lesen konnten“, sagt Rohani. Die Polizisten hätten sich von Dieben bestechen lassen.

„Unsere Bevölkerung hatte diese korrupte Regierung satt, war enttäuscht“, glaubt der 26-Jährige. Die internationalen Sicherheitskräfte hätten immer wieder darauf gehofft, dass es besser wird. Doch es habe sich nichts getan. Bei all den Verhandlungen mit und in der Regierung – allein nach den Wahlen habe es zwei Jahre gedauert, bis der Sieger feststand – habe man vergessen, dass es auch noch die Taliban gibt. Die Leute auf der Straße aber nicht. „Die sind zu den Taliban gegangen, um eine Entscheidung zu bekommen, zum Beispiel bei Streitereien. Dort, wo die Taliban das Sagen hatten, war es gerecht“, sagt Rohani. Wer sich an die Regeln gehalten habe, sei sicher gewesen. Aus diesen Gründen habe keiner eingesehen, die Regierung zu verteidigen. Das Militär sei ohnehin bestochen gewesen. Deshalb habe das Militär ungekämpft den Taliban alles überlassen.

Rohani hat jetzt keine Angst um seine Familie: „Die Taliban haben angekündigt, zu verzeihen.“ Man sei froh, dass die Schießereien aufgehört hätten, gegen Korruption und Diebstahl werde konsequent vorgegangen.

Die Taliban versuchten, die Zufriedenheit zu erhalten und die internationale Anerkennung zu bekommen. Die internationalen Länder hätten die Taliban sogar mit Geld unterstützt und ihnen vertraut – auch Deutschland. Die Taliban jetzt seien milder und nicht so aggressiv, hofft er. Die Führungspersonen seien gebildet. Die Befürchtungen der Frauen heute habe es auch schon vorher gegeben. „Die alte Regierung hat sich weder für Frauen- noch für Medienrechte eingesetzt.“

Die Hilfskräfte flöhen jetzt, weil Chaos herrsche, so Rohani, aber 20000 Menschen seien verschwindend wenige bei einer Bevölkerung von 30 Millionen. Er sehe auf Facebook sehr barmherzige Taliban, die aus der Erfahrung gelernt hätten. Er glaube ihnen. „Wenn Amerika ihnen vertraut, dann tue ich das auch“ – und seine Stimme klingt dabei fast trotzig.