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Liebesgeschichte ohne erhobenen Zeigefinger

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Immer ein Lied auf den Lippen: Fabian Egli.Foto: Ramona Theiss
Mit der Uraufführung seines szenischen Vaudeville-Chansonabends lässt Fabian Egli in Marbach die Zwanziger wiederaufleben

Ludwigsburg. Marbach. Hans Pfeiffer hat einen Plan. Heute Abend wird er mit Ruth über den Ku’damm flanieren. Der Haken an der Sache: Ruth weiß noch nichts davon. Weil sie ihn gar nicht kennt. Heute wird er sich ein Herz fassen und sie fragen, ob sie mit ihm ausgehen möchte. So schwer kann das doch nicht sein, ein Mädchen anzusprechen. „Ich mach das jetzt“, spricht er sich Mut zu. Aus dem holzverschalten Radioempfänger ertönt zwischen Brutzeln und Schlager-Melodiefetzen der Ruf der Großstadt: „Laut lockt das Vergnügen.“ Aber erst muss Hans, noch in weißer Unterwäsche, den zweiten Sockenhalter anlegen. Ein Lied auf den Lippen, wählt er die passende Krawatte zu seinem Tweedanzug (Ausstattung und Kostüme: Esther Bätschmann): „Ich brauche keine Millionen / mir fehlt kein Pfennig zum Glück / Ich brauche weiter nichts als nur Musik, Musik, Musik.“ Wobei im Marika-Rökk-Schlager von Peter Kreuder und Hans Fritz Beckmann postwendend eingeräumt wird, dass die Aussage nicht ganz vollständig ist: „Doch eine ganze Kleinigkeit / die brauch’ ich noch dazu, / und diese große Kleinigkeit / bist du, nur du, nur du du du du.“

 

Hans ist die Erfindung des Schweizer Schauspielers und Sängers Fabian Egli. Für „Heut geh’n wir morgen erst ins Bett“ hat er sich auf die Zeit und Musik der Zwanzigerjahre besonnen, ohne diesen Rahmen allzu streng auszulegen. Zwar tritt Egli damit sein drittes Engagement innerhalb dieser ersten Marbacher Theaterfestspiele an, ist der 37-Jährige doch bereits in verschiedenen Rollen in „Emilia Galotti“ und „Der Kleine Prinz“ zu sehen. Dennoch handelt es sich bei dieser dritten Premiere des gemeinsam vom jungen Theaterlabel Tacheles und Tarantismus und dem Marbacher Kulturverein Südlich vom Ochsen organisierten Festivals nicht nur um eine Uraufführung, sondern auch um ein Fachdebüt: Das zweistündige Programm ist Eglis erste Regiearbeit. Zwei Jahre habe er daran gearbeitet, erzählt der ausgebildete Opernsänger im Gespräch mit unserer Zeitung. Gespielt wird der „szenische Vaudeville-Chansonabend“ in intimer Atmosphäre im Gewölbe des Marbacher Schlosskellers, der am Donnerstagabend mit 60 Besuchern gut gefüllt ist.

 

Evergreens wie „Bel Ami“ oder „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein“ sind vor allem der älteren Generation ins Hörgedächtnis gebrannt, aber so wie Egli sie singt – mit unbeirrbar wirkender Intonation in tragendem Bariton – auch heute noch ein Hochgenuss. Dennoch liegt die große Stärke des ungemein vergnüglichen und unterhaltsamen Abends insbesondere darin, seltener gehörtes Repertoire zum Leben zu erwecken: Urkomisch etwa „Mein Hund beißt jede hübsche Frau ins Bein“ von Leopold Krauss-Elka und Kurt Schwabach oder Max Hansens „Sag’ ich blau, sagt sie grün“, von Egli ungeheuer pointiert performt. Neun der zwölf Komponisten, deren Songs zu hören sind, seien jüdischer Abstammung, sieben haben die NS-Zeit nicht überlebt, weiß Egli. Ohne erhobenen Zeigefinger wird so auch Geschichte vor dem Vergessen bewahrt. Mit „La Vie en Rose“, Irving Berlins „Maybe it’s because I love you too much“ und Ray Nobles „Goodnight Sweetheart“ fließen auch internationale Standards ein. Wie Egli mit Hut und Regenschirm die Fermate in „The Boulevard of Broken Dreams“ auskostet, verrät den versierten Musicaldarsteller. Famos auch die Klavierbegleitung von Christoph-Johannes Eichhorn wie die kleinen Trickfilme von Sarah Vignon. Der eigentliche Clou des Abends ist jedoch, dass zwar keine einzige Frau auftritt, aber im Grunde von nichts anderem die Rede ist. Leichte Muse, mit sicherer Hand präsentiert.

 

Info: Die nächsten Vorstellungen sind am kommenden Freitag, 13. Juli, und Samstag, 14. Juli, jeweils um 20 Uhr. Die 1. Marbacher Theaterfestspiele gehen noch bis zum 22. Juli. Weitere Infos zum Programm gibt es unter www.marbacher-theaterfestspiele.de.