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„Mama, irgendetwas stimmt mit dir nicht“

Manuela Henriques muss sich regelmäßig in der Praxis ihres Hausarztes in Marbach krankschreiben lassen. Foto: Holm Wolschendorf
Manuela Henriques muss sich regelmäßig in der Praxis ihres Hausarztes in Marbach krankschreiben lassen. Foto: Holm Wolschendorf
Als Manuela Henriques im Januar an Covid-19 erkrankte, ahnte sie nicht, dass sie lange mit Post Covid zu kämpfen haben würde. Bis heute ist sie nicht arbeitsfähig. Neben den eigentlichen Symptomen macht ihr noch etwas zu schaffen: Sie fühlt sich damit nicht ernst genommen – gar vergessen.

Kreis Ludwigsburg. „Für mich war das ein harmloses Corona“, beschreibt Manuela Henriques den Verlauf ihrer Erkrankung zum Jahreswechsel. Erst als sie nach den grippeähnlichen Symptomen und der 14-tägigen Quarantäne wieder zur Arbeit gehen wollte, merkte sie, dass nichts mehr war wie vorher. „Ich hatte das Gefühl, von einem Lkw überrollt worden zu sein“, so die 46-jährige Steinheimerin. „Wie wenn man einen Stecker zieht.“ Gegen die Erschöpfung und geringe Belastbarkeit halfen weder frische Luft noch viel Ruhe. Davor arbeitete die verheiratete Mutter zweier Kinder in der Logistik eines großen Einzelhändlers und an den Wochenenden in einem Pflegeheim, denn sie ist ursprünglich gelernte Krankenschwester. Aktuell ist nichts davon möglich.

„Ich habe nicht viele solche Fälle“, sagt ihr Hausarzt Dr. Dieter Böhm aus Marbach – und klopft sogleich auf das nächstbeste Holz. Das Long- beziehungsweise Post-Covid-Syndrom kann sich anhand von über 200 verschiedenen Symptomen äußern. Laut der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin haben zehn bis 15 Prozent aller Menschen, die an Covid-19 erkrankt waren, darüber hinaus anhaltende Beschwerden.

Bei Manuela Henriques wurde auch das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen. „Am Anfang ist mir das gar nicht aufgefallen“, sagt sie und erinnert sich, wie ihr Sohn sagte: „Mama, irgendetwas stimmt mit dir nicht.“ Dass sie etwa nach fünf Minuten schon wieder vergaß, was sie gefragt hatte, habe wie Alzheimer gewirkt. Beim Einkauf fielen ihr an der Kasse die nötigen Sätze nicht ein. Auch Bücherlesen, eigentlich eines ihrer Hobbys, ist gerade nicht möglich. Bei der fünfwöchigen stationären Reha, die ihr bewilligt wurde, stand täglich Sport auf dem Programm. Zudem gab es Ergo- und Physiotherapie sowie Atmungstechniken. „Was das Gehirn angeht, ist da aber so gut wie nichts passiert“, so Manuela Henriques. Diese Beschwerden hätten sich in der Reha sogar noch verschlechtert.

Für Patienten, die weiterhin Probleme haben, gibt es die Intensivierte Rehabilitationsnachsorge, kurz Irena. Auch dafür bekam Manuela Henriques im Sommer eine Zusage, stand dann bei einem lokalen ambulanten Therapiezentrum aber erst einmal drei Monate auf der Warteliste. „Als Patient weiß man nicht, wo man hingehen kann“, so ihr Fazit. „Es kann einem quasi keiner helfen.“ Bei der Long-/Post-Covid-Ambulanz in Ludwigsburg bekam sie keinen zeitnahen Termin. Die nächstgelegenen Selbsthilfegruppen fand sie in Schwäbisch Hall und Stuttgart.

„Man hat das Gefühl, die Leute nehmen einen nicht ernst“, so ihre Wahrnehmung. Wobei man ihr eben auch nicht direkt ansehe, dass sie krank und nicht arbeitsfähig ist. Doch auch Menschen wie etwa Ärzte, die das Krankheitsbild ernst nehmen, können ihr nur bedingt helfen: „Man weiß gar nicht so richtig, was man mit uns anstellen soll.“ Dass man eineinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie noch nicht weiter ist, wundert und ärgert Manuela Henriques zugleich. Sie hätte gern eine Anlaufstelle, etwa eine Hotline, bei der jemand Bescheid weiß, zuhört und weitere Schritte empfiehlt.

„Es ist ziemlich klar, dass nichts klar ist“, fasst ihr Hausarzt Dieter Böhm die Lage zusammen. Bei dem noch recht neuen Krankheitsbild müsse man erst lernen, was man dagegen tun kann. Dafür würde sich der Mediziner ein koordinierteres Vorgehen wünschen, etwa ein Gremium aller relevanten Akteure auf Kreisebene: „Denn das können die Hausärzte nicht auch noch stemmen.“ Zum einen verweist er auf die derzeit ohnehin schon große Aufgabenfülle, zum anderen auf die bei Long- und Post-Covid erforderlichen Spezialisierungen etwa auf Nerven oder Lunge. „Doch auch die Fachärzte haben wir nicht in der Menge, die wir bräuchten“, so der Hausarzt.

Die Vorsitzende der Kreisärzteschaft, Dr. Carola Maitra, sieht in Long- und Post-Covid-Patienten hingegen „ein klassisches Feld der hausärztlichen Betreuung“. Bei Bedarf könne fachärztliche Expertise eingeholt werden. Einen Vorteil sieht sie im oft langjährigen Bezug der Hausärzte zu ihren Patienten: „Sie sind am besten in der Lage, die oftmals vielschichtige Therapie auch über längere Zeiträume zu koordinieren.“ Denn es stehe bereits fest, dass eine ganzheitliche Therapie erforderlich ist, die Körper und Psyche berücksichtigt. „Zentrale Anlaufstellen sind nach jetzigem Kenntnisstand nicht zwingend erforderlich und sollten allenfalls speziellen Fragestellungen vorbehalten bleiben“, so die Ärztin. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen des Kreises bewertet sie als ausreichend gut und kündigt zudem an, dass die Ärzteschaft für den Herbst eine Fortbildung zum Long- und Post-Covid-Syndrom für alle niedergelassenen Ärzte und Klinikärzte plant.

Manuela Henriques hat inzwischen Termine für eine ambulante Therapie bekommen – 36 Stunden verteilt auf 36 Wochen. „Das ist, wie wenn jemand nach einer Hüftoperation in der Reha nur einmal die Woche Hüfttraining macht“, so ihr Hausarzt. Auch wenn Dieter Böhm seiner Patientin nur eine weitere Krankschreibung mitgeben kann, fühlt sie sich bei ihm zumindest ernst genommen.