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Omikron in London: „Man hat das Gefühl, es gibt mehr Infizierte als Gesunde“

Seit fast fünf Jahren lebt die aus Erdmannhausen stammende Vera Lützelschwab in London und erlebt dort mit zeitlichem Versatz die unterschiedlichen Phasen der Pandemie. Archivfoto: privat
Seit fast fünf Jahren lebt die aus Erdmannhausen stammende Vera Lützelschwab in London und erlebt dort mit zeitlichem Versatz die unterschiedlichen Phasen der Pandemie. Foto: privat
Vor einem Jahr schaffte es die aus Erdmannhausen stammende Vera Lützelschwab, vor Weihnachten mit dem letzten Flieger aus London zum Familienbesuch nach Hause zu kommen. Damals bestimmte die Delta-Variante des Coronavirus das Geschehen. Jetzt regiert Omikron und trifft die britische Hauptstadt mit voller Wucht.

London/Erdmannhausen. Nach jüngsten Angaben der Statistikbehörde ONS (Office for National Statistics) ist in London jeder Zehnte mit der Omikronvariante infiziert. Eine Angabe, die sich mit den Eindrücken von Vera Lützelschwab deckt: „Jeder, den ich hier kenne, hatte Corona“, beschreibt die 32-Jährige die Situation in ihrem Umfeld. Auch die junge Frau hat Omikron erwischt – trotz zweifacher Impfung und Booster. Der Verlauf war mild, „ich hatte eine verstopfte Nase und war drei Tage etwas schlapp“, erzählt die Marketingexpertin im Gespräch mit unserer Zeitung. Und macht an der irrsinnigen Geschwindigkeit, mit der sich Omikron verbreitet, auch den entscheidenden Unterschied zu der Pandemiephase vor Jahresfrist fest: „Als Delta aufkam und auch davor, kannten nur wenige persönlich einen Menschen, der sich infiziert hatte. Jetzt mit der Omikron-Variante hat jeder in seinem Freundes- und Familienkreis meistens mehrere Fälle. Man hat fast das Gefühl, es gibt mehr Infizierte als Gesunde.“

Ein weiterer wesentlicher Unterschied sei der überwiegend milde Verlauf bei Geimpften, „deshalb habe ich selbst, aber auch meine Freunde hier eher gelassen reagiert. Klar, man beobachtet sich, schaut, wie sich die Symptome entwickeln, aber nicht panisch.“

Wer in England positiv getestet wird, muss sich wie Infizierte hierzulande auch in eine zehntägige Isolation begeben, kann sich aber inzwischen nach sechs oder sieben Tagen und bei Symptomfreiheit freitesten. Die Verkürzung der Quarantäne, die nun auch in Deutschland kommen wird, hat denselben Hintergrund: Die kritische Infrastruktur schützen, Vorsorge treffen, dass das Gesundheitssystem, die Müllentsorgung, Rettungsdienste und Polizei einsatz- und handlungsfähig bleiben.

Freilich: Die Auswirkungen der hohen Infektionsraten waren und sind trotzdem zu spüren, erzählt Vera Lützelschwab. „Viele Krankenhäuser haben den Notstand ausgerufen, extrem viele Züge fallen aus, weil zu wenig Personal da ist.“ Das führe auf den ohnehin chronisch verstopften Straßen der Millionenmetropole zu einem Verkehrschaos. Und: Normalerweise sei London in der Vorweihnachtszeit noch voller als üblich, „das war jetzt anders, die Stadt war ruhiger. Obwohl Pubs, Restaurants, Clubs uneingeschränkt offen waren, es keine Maskenpflicht gab“, so die 32-Jährige. Man habe gespürt, dass bei Weitem nicht alles so läuft wie sonst.

Vera Lützelschwab lebt seit fast fünf Jahren in London, arbeitet für das Technologieunternehmen Connexity. Homeoffice ist für viele Berufstätige in der Pandemie der Normalfall geworden. „Ich war tatsächlich erst im Oktober wieder an ein oder zwei Tagen in der Woche im Büro, vor allem, um die sozialen Kontakte zu halten“, erzählt die junge Frau. Allerdings mussten sich die Mitarbeiter testen, bevor sie an ihren regulären Arbeitsplatz gingen, auch eine Maskenpflicht wurde eingeführt. Erst seit dem Überhandnehmen der Omikron-Variante arbeitet sie wieder ausschließlich zu Hause.

3,7 Millionen Infizierte gab es laut der nationalen Statistikbehörde in der letzten Woche des Jahres 2021 in ganz Großbritannien; das entspricht einer Inzidenz von 1600. Wenn die Entwicklungen jenseits des Ärmelkanals und hierzulande so ähnlich verlaufen wie in der Vergangenheit, steckt Großbritannien in einer Situation, die hier erst noch kommen wird. Eine weitere Parallele sieht Vera Lützelschwab übrigens in den Protesten: Auch in der britischen Hauptstadt gehen teilweise Zehntausende auf die Straße, um gegen die Coronamaßnahmen zu demonstrieren. „Dabei sind die Einschränkungen hier kaum spürbar und man fragt sich, was die Leute wirklich antreibt.“