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Rätsel um Leben und Werk

Paul Celan gilt als der berühmteste, deutschsprachige Lyriker der Nachkriegszeit. Archivfoto: Willi Antonowitz/dpa
Paul Celan gilt als der berühmteste, deutschsprachige Lyriker der Nachkriegszeit. Foto: Willi Antonowitz/dpa
Selbst 100 Jahre nach Paul Celans Geburt und 50 Jahre nach seinem Tod werfen Person und Wirken des Lyrikers noch viele Fragen auf.

Paris. „Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends/ wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts/ wir trinken und trinken“. Es sind die ersten Worte, mit denen Paul Celan das Gedicht „Todesfuge“ beginnt, das seinen Ruhm als der bedeutendste deutschsprachige Lyriker nach 1945 begründet. Der jüdische Autor hat mit seiner eindringlichen und einzigartigen Bildsprache ein Werk geschaffen, dessen Bedeutung noch heute, 50 Jahre nach seinem Tod und 100 Jahre nach seinem Geburtstag am morgigen Montag zahlreiche Fragen aufwirft.

Celans lyrisches Werk, in dem er sich zeitlebens mit dem Holocaust auseinandergesetzt hat, zählt zu den kompliziertesten und meist interpretierten seiner Art. Ein Phänomen hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Dichter deshalb Anfang November anlässlich eines Kulturabends zu Ehren Celans genannt. In seiner Rede sprach er von einem Lyriker, der immer bedeutender werde, „je mehr wir verstehen, was er uns über uns sagt.“

Das Jahr 2020 steht im Zeichen Celans: Er wurde am 23. November 1920 in der Bukowina, heute Ukraine, geboren; gestorben ist er im Alter von 49 Jahren in Paris. Wahrscheinlich hat er sich am 20. April 1970 in die Seine gestürzt. Erst Tage später, am 1. Mai, wurde sein Leichnam geborgen.

Der Nachwelt hat Celan den bekannten Satz „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ hinterlassen – und ein Werk, in dem er das Unmenschliche und Unsagbare in eine Sprache übertrug, die in ähnlicher Weise nur selten Literatur- und Sprachwissenschaftler beschäftigt hat. Mit immer neuen Antworten versuchen sie ein Werk zu verstehen, das Celan selbst als „wirklichkeitswund und Wirklichkeit suchend“ bezeichnet hat.

Zum Doppeljubiläum sind gleich mehrere Werke zu Celans Leben und Werk erschienen, darunter „Todesfuge – Biographie eines Gedichts“ von Thomas Sparr. Darin geht der Literaturwissenschaftler der Geschichte des Gedichts nach, das unter dem Eindruck des Todes seiner Eltern entstand, die 1942 in Konzentrationslager deportiert wurden.

Celan wurde als Paul Antschel in eine deutsch sprechende jüdische Familie hineingeboren. Er überlebte die Judenverfolgung in seiner Geburtsstadt Czernowitz, das bis 1918 habsburgisch war, später rumänisch, sowjetisch und heute ukrainisch ist. Über Bukarest gelangte Celan nach Wien. Dort ging er eine Beziehung mit der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann ein. 1948 ließ er sich in Paris nieder, wenige Jahre später heiratete er die Künstlerin Gisèle Lestrange.

Sparr geht aber nicht nur auf den Entstehungskontext des berühmten Gedichts ein. Er beschreibt auch dessen bewegte Rezeptionsgeschichte. Das Gedicht, das auf Deutsch erstmals 1948 in Celans Gedichtsammlung „Der Sand aus den Urnen“ erschien, begründete nicht nur den Ruhm des Dichters, sondern löste auch Kontroversen aus.

Einer der größten Kritiker war Theodor W. Adorno, der die Auffassung vertrat, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch. Damit stellte der deutsche Philosoph für Generationen von Intellektuellen, Künstlern und Theoretikern die generelle Frage in den Raum, ob das Unsagbare künstlerisch transformiert werden könne. Sparr bringt in seinem Werk aber auch in Erinnerung, dass die „Todesfuge“ vor allem Zeugnis einer geschichtlichen Wirklichkeit namens Holocaust ist.

Mit „Paul Celan. Erinnerungen und Briefe“ gibt Klaus Reichert Einblick in Celans Leben, das nur lückenhaft dokumentiert ist, denn Celan hat nur wenig über sich selbst preisgegeben. Der ehemalige Celan-Lektor bei Suhrkamp hat darin seine dienstlichen als auch privaten Begegnungen mit Celan festgehalten, mit dem er bereits 1958 erste Kontakte hatte. Er beschreibt neben seinen Diskussionen über Klappentexte oder Gedichtgenesen auch sehr persönliche Szenen, die den Lyriker als Mensch greifbarer machen. Von seinen Zeitgenossen wurde Celan als sehr diskret beschrieben. Die meisten Details über ihn wurden posthum zusammengetragen.

Celan war mehrsprachig. Doch in Deutsch schrieb er seine Gedichte. Durch den Tod seiner Eltern im KZ wurde seine Muttersprache jedoch zur Mördersprache, ein Widerspruch, mit dem sich viele Celan-Spezialisten beschäftigen. So geht Wolfgang Emmerich in „Nahe Fremde. Paul Celan und die Deutschen“ auf sein gespaltenes Verhältnis zu Deutschland ein, wohin Celan zu Lesungen und auch privat immer wieder reiste. Einen Blick auf Celans Hassliebe zu Deutschland wirft auch Helmut Böttiger in „Celans Zerrissenheit - Ein jüdischer Dichter und der deutsche Geist“.

Celan hat sich wohl zeitlebens unverstanden gefühlt und zog sich immer mehr zurück. Anfang der 60er Jahre begab er sich erstmals in eine psychiatrische Klinik. Dem kurzen Aufenthalt folgten bis zu seinem Suizid noch viele weitere. Sein Seelenleben hat sein einzigartiges Werk geprägt. Beides wird wohl noch lange ein Rätsel bleiben.