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Seitwärts in den Heiligen Abend

Wegen der Corona-Pandemie verhängen die Kliniken im Kreis einen Besucherstopp. Foto: Holm Wolschendorf
Wegen der Corona-Pandemie verhängen die Kliniken im Kreis einen Besucherstopp. Foto: Holm Wolschendorf
In den Kreiskrankenhäusern wird es enger, doch noch können auf den Intensivstationen alle Patienten behandelt werden

Kreis Ludwigsburg. Als vor anderthalb Wochen ein harter Lockdown im Land verhängt wird, hält der Ludwigsburger Kliniken-Chef Jörg Martin im Kreistag eine Brandrede: „Wir stehen kurz vor dem Kollaps“, ruft er den Kreisräten im Oberstenfelder Ortsteil Gronau zu. Kurz vor Heiligabend sieht der habilitierte Anästhesist seine Häuser in den drei Kreisen Ludwigsburg, Enz und Karlsruhe nun „an der absoluten Kapazitätsgrenze angelangt“.

Wie ist die Situation in den Krankenhäusern in Ludwigsburg und Bietigheim?

In Ludwigsburg behandelten Martins Kollegen am Dienstag fast 100 Covid-19-Patienten, in Bietigheim-Bissingen waren es mehr als 50. „Seit einer Woche beobachten wir allerdings eine Seitwärtsbewegung“, sagte der Kliniken-Chef auf einer Online-Pressekonferenz.

Er rechnet damit, dass die zweite Coronawelle Ende des Monats oder Anfang Januar ihren Höhepunkt erreicht. Die leichten Öffnungen über die Feiertage könnten jedoch dazu führen, dass die Kurve danach wieder ansteigt.

Wann ist mit einer Entspannung zu rechnen?

Laut Martin vielleicht im März oder April, wenn die Temperaturen ansteigen und die Menschen sich wieder mehr im Freien aufhalten. „Bis dahin müssen wir lernen, in einer Art Corona-Normalität zu leben.“

Wann könnten Impfstoffe für Entlastung in den Krankenhäusern sorgen?

Der Krankenhausmanager geht momentan davon aus, dass ein Effekt erst in der zweiten Jahreshälfte zu spüren sein wird. Dass die Impfungen nach den Feiertagen starten können, bewertet Martin positiv.

Gibt es genug Betten auf den Intensivstationen in Ludwigsburg und Bietigheim?

„Unsere Stationen sind relativ voll“, sagt der Ludwigsburger Intensivmediziner Götz Geldner. Covid-19-Patienten würden gut 30 Prozent auf den Intensivstationen ausmachen. In Ludwigsburg mussten am Dienstag 17 Menschen intensivmedizinisch behandelt werden, in Bietigheim fünf. „Wir sind hoffnungsfroh, dass wir die derzeitige Situation ohne Verlegungen in andere Häuser bewältigen können“, sagt Geldner. Ob das auch für die Weihnachtsfeiertage gelte, müsse sich aber noch zeigen. „Die Patientenzahlen zeigen sich sehr schwankend.“ Die Krankenhausmanager haben längst zusätzliches Pflegepersonal auf die Intensivstationen verlegen lassen.

Gibt es überhaupt ausreichend Pflegepersonal?

Hier ist die Lage besonders angespannt. Ende Oktober fällt in Ludwigsburg die Wäscherei von einem Tag auf den anderen komplett aus – insgesamt 30 Beschäftigte gehen in Quarantäne. Zehn Tonnen Wäsche täglich müssen bis zum 9. November anderweitig untergebracht werden. „Das haben wir geschafft“, sagt Martin.

Derzeit befinden sich in Ludwigsburg 27 Prozent des Personals im Krankenstand – in allen Häusern der Regionalen Kliniken-Holding sind es laut Geldner ebenfalls mehr als 20 Prozent. „Die Mitarbeiterausfälle sind ein riesiges Problem“, sagt Martin. Er hat angeordnet, dass seine Kollegen durch die Bank mit FFP2-Masken ausgestattet werden. Personal, das direkt am Bett arbeitet, wird zweimal in der Woche auf das Virus getestet. Nach einem Dreivierteljahr Krise hat Martin Ermüdungserscheinungen bei den Mitarbeitern ausgemacht. „Sie leisten aber weiterhin einen tollen Job.“

Wie schätzen die Experten die Mutation ein, die in Großbritannien grassiert?

Nach Angaben der Mikrobiologin Sabine Gfrörer gebe es zwar noch wenig Daten und auch keine positiv bestätigten Fälle im Kreis Ludwigsburg. „Wir müssen bei diesem ausgeprägten Infektionsgeschehen aber davon ausgehen, dass die Mutation schon da ist.“

Wie bewertet der Krisenstab das Geschehen?

Eines ist für den Katastrophenschutzkoordinator und Leiter Stefan Weiß sicher: „Wir werden nicht in die Feiertage gehen.“ Das Außergewöhnliche an der Coronakrise ist in seinen Augen die Länge und Ausdehnung. „Es sind praktisch alle Häuser in Deutschland betroffen.“

Wie schätzen die Fachleute die Lockerungen über Weihnachten ein?

„Ich halte die Öffnung für falsch“, sagt der Kliniken-Chef Martin. Der Bruchsaler Intensivmediziner Martin Schuster hat beobachtet, dass die Menschen sorgloser miteinander umgehen als zu Beginn der Pandemie. Schuster findet das „sehr traurig“ und stellt fest: „Das fliegt uns gerade um die Ohren.“ Die beiden Experten betonen aber auch, dass „bei uns jeder die Behandlung bekommt, die für ihn notwendig ist“.