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„Sind Sie ein Reichsbürger?“

Der Angeklagte mit seinem Anwalt bei der Verhandlung in Heilbronn. Vor gut einem halben Jahr soll er in Marbach mehrere Brände gelegt haben. Fotos: ann / 7aktuell.de/ Adomat (Archiv)
Der Angeklagte mit seinem Anwalt bei der Verhandlung in Heilbronn. Vor gut einem halben Jahr soll er in Marbach mehrere Brände gelegt haben. Foto: ann / 7aktuell.de/ Adomat (Archiv)
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350_0900_33110_Rettung_20201003_0065099.jpg Foto: 7aktuell/Simon Adomat
Vor dem Landgericht beginnt der Prozess gegen den 42-Jährigen, der seine Wohnung angezündet und Brandsätze gegen Kirche und Polizei geworfen hat.

Marbach/Heilbronn. Am Tag der Deutschen Einheit vergangenen Jahres stand Marbach ein Wochenende lang im Zentrum des deutschen Medieninteresses. Schlagzeilen machten drei Brandanschläge in der Altstadt. Der mutmaßliche Täter war noch in der gleichen Nacht festgenommen worden. Seit Montag steht der 42-jährige Rüdiger P. vor dem Landgericht Heilbronn. Die Frage, die das Gericht in den kommenden Monaten klären muss, formulierte der Richter so: „Ist das Überzeugung, was Sie da sagen, oder stimmt was in Ihrem Kopf nicht?“

Eigentlich wollte Rüdiger P., ein großer, schwerer Mann mit hoher Stirn und dunklem Vollbart gar nichts sagen, weder zu sich, noch zur Tat. Die Worte und Halbsätze, die er schließlich doch gegen den Richtertisch schleuderte, nannte Roland Kleinschroth, der Vorsitzende Richter im großen Schwurgerichtssaal „krude“.

Ein Rückblick: In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober hatte Rüdiger P. – gelernter Kfz-Mechaniker, später Ausfahrer einer Bäckerei und dann arbeitslos – gut zehn Liter Benzin in seiner Erdgeschosswohnung in der Niklastorstraße verschüttet und angezündet. Ausgerüstet mit einem Teleskopschlagstock, zwei Molotowcocktails und einer zum Teil ausgetrunkenen Flasche Korn, machte er sich auf zur Stadtkirche. Dort warf er einen Brandsatz gegen das Kirchenportal. Den zweiten Brandsatz schmetterte er gegen die Glastür des Polizeipostens. Einer Polizistin, die ihm folgte, schleuderte er die Schnapsflasche entgegen. Dann wurde er festgenommen.

Der Polizei erzählte er etwas vom Geist seiner verstorbenen Großmutter und vom „gegenwärtigen System“, das er ablehne. Dass die Mitbewohner des Fachwerkhauses in der eng bebauten Altstadt von Marbach ohne körperliche Verletzungen das Haus verlassen konnten, ist zwei vorbeikommenden Männern zu verdanken, die auf der Straße „Feuer!“ schrien und die Haustür aufbrachen. Auch die Feuerwehr war schnell vor Ort und holte die Dachgeschossbewohner mit der Drehleiter aus ihren Wohnungen. Mit den Worten der Staatsanwältin liest sich die Tat so: versuchter Mord, besonders schwere Brandstiftung, gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung. Der Schaden an den Gebäuden addiert sich auf über 300000 Euro.

Nein, er möchte nichts sagen, sagte der Angeklagte und bohrte die Hände in die Taschen seiner blauen Jogginghose. Damit wollte sich Richter Kleinschroth, ein Strafrichter mit über zwanzigjähriger Erfahrung, nicht abspeisen lassen: „Wir würden uns schon gern ein Bild von Ihnen machen.“ Was folgte waren schräge Wortwechsel, die mit „ich habe 25 Jahre Schutzgeld abgedrückt“ (gemeint waren Steuern) begannen und mit „Sie sind doch Teil des Systems!“ noch lange nicht endeten. Dazwischen war viel von „Nazischeiße“ die Rede und von Mördern (Polizei und Bundeswehr). „Sind Sie ein Reichsbürger?“, fragte der Richter. „Ich finde schlüssig, was die sagen“, antwortete der Angeklagte – einer der wenigen vollständigen Sätze.

„Sie haben Brände gelegt, vier Menschen hätten Ihretwegen sterben können!“ hielt Kleinschroth dem Angeklagten vor. „Die haben doch Rauchmelder!“ Außerdem sei er davon ausgegangen, dass die Feuerwehr kommt. In seiner eigenen Wohnung hatte er die Brandmelder abmontiert; sie waren beim Bratkartoffel rösten immer losgegangen.

Und warum der Brandsatz an der Kirchentür? „Die Kirche hat Millionen Tote zu verantworten“. Wenn denen von der Kirche was passiert – „scheißegal!“ Und das Polizeirevier? „Ein Decksladen und ein Betonbunker!“ Da hätte ja überhaupt nichts abbrennen können. Im übrigen sei er „klipp und klar im Kopf“.

Ein bisschen Persönliches ließ er sich dann doch noch entlocken: Geboren in Rumänien, 1989 in die Bundesrepublik gekommen, kein Kontakt zur Mutter, bei der Oma in der Niklastorstraße zur Untermiete gewohnt und nach dem Tod der Großmutter deren Wohnung übernommen, den letzten Job gekündigt, damit „das System maximal wenig Geld bekommt“.

„Finden Sie immer noch richtig, was Sie gemacht haben“, wollte Kleinschroth wissen. Die Sache mit der Wohnung sei ja nun schlimmer ausgegangen als gedacht, aber alles andere: „Sachlich richtig“. „Ein besonders schlechtes Gewissen haben Sie nicht!“, staunte der Richter.

Vermutlich war es gut, dass die Zeugen – das Hauseigentümer-Ehepaar aus dem ersten Stock und die Mieter im Dachgeschoss den Film nicht sehen mussten, den das Gericht dem Angeklagten, den Sachverständigen und der versammelten Presse vorführte. Die dunklen Rauchsäulen aus den Fenstern, die durchkrachende Zimmerdecke, die lodernden Flammen im Obergeschoss – hätten kaum verheilte Wunden aufgerissen. „Dass er uns das angetan hat, verstehe ich nicht“, sagte die Hauseigentümerin unter Tränen. Das Urteil wird am 11. Juni erwartet.