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Spontane Demo von Corona-Leugnern hat ein Nachspiel

Nach Polizeiangaben haben sich etwa 900 Demonstranten an dem „Spaziergang“ beteiligt. Foto: 7aktuell
Nach Polizeiangaben haben sich etwa 900 Demonstranten an dem „Spaziergang“ beteiligt. Foto: 7aktuell
Gut 900 Demonstranten ziehen am Freitag ohne Masken durch die Innenstadt – Polizei und Ordnungsamt können nur zuschauen – Einsatzpläne werden jetzt überarbeitet

Ludwigsburg. „Corona ist vorbei, wir sind frei“, rufen die Demonstranten auf den verwackelten Bildern einer Handykamera. Oder: „Frieden, Freiheit, keine Diktatur.“ Aufgenommen wurden diese bizarren Szenen, die in mehreren Varianten im Internet kursieren, am vergangenen Freitag zwischen 19 und 20 Uhr vor dem Forum.

Angekündigt hatte sich an diesem Abend der Arzt und Corona-Leugner Dr. Bodo Schiffmann aus Sinsheim mit seiner Corona-Info-Tour. Der Mann, der behauptet, Maskentragen hätte schon zu Todesfällen bei Kindern geführt, tourt derzeit mit einem Bus durch die Republik und versammelt an seinen Auftrittsorten eine wachsende Anhängerschar. Laut Polizeiangaben trafen sich am Freitag vor dem Forum gut 500 Demonstranten – ohne Masken wohlgemerkt.

Die Aufnahmen, die von der Veranstaltung existieren, zeigen dann eine offenbar einstudierte Choreographie der Zuspitzung und Provokation, die ähnlich auch in anderen Städten abgelaufen ist. Zunächst wird am Mikrofon das Ordnungsamt lächerlich gemacht. Dessen Mitarbeiter werden aufgefordert, zum Veranstalter zu kommen. Als niemand erscheint, ist das Gelächter groß. Dann werden die Coronaauflagen der Stadt Ludwigsburg vorgelesen. Wieder Gelächter. Denn natürlich gelten das Abstandsgebot und eine Maskenpflicht. Danach heißt es, unter diesen Umständen sei Schiffmann nicht bereit, die Kundgebung zu starten. Wie andernorts startet die Menge dann scheinbar spontan zu einem Spaziergang durch die Innenstadt, an dem sich laut Polizei bis zu 900 Menschen beteiligt haben.

Dieser Akt, von dem ebenfalls mehrere Mitschnitte im Netz kursieren, soll eine Machtdemonstration sein. Denn obwohl in der Innenstadt eine Maskenpflicht gilt, trägt praktisch keiner der Demonstranten eine im Gesicht. Polizei und städtischer Ordnungsdienst sind zum Zuschauen verdammt, da an dem Abend viel zu wenige Einsatzkräfte zur Verfügung stehen. Die Aufnahmen zeigen, wie der Demonstrationszug über die B27, die dafür teilweise gesperrt werden muss, und dann durch die Innenstadt zieht.

Zu Ausschreitungen kommt es nicht. Das liegt nach Einschätzung der Polizei vor allem daran, dass sich die Beamten zurückgehalten haben. „Ein Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zur Durchsetzung der Maskentragepflicht bei der Versammlung oder eine Auflösung der Versammlung unter freiem Himmel war mit den vorhandenen Kräften nicht möglich, weil dies nach Einschätzung vor Ort voraussichtlich mit körperlichen Auseinandersetzungen verbunden gewesen wäre. Deshalb konnten auch keine Personalien von teilnehmenden Personen erhoben werden“, heißt es auf Anfrage bei der Polizei. Das heißt: Obwohl Hunderte Teilnehmer gegen die Auflagen verstoßen haben, muss keiner von ihnen mit einem Bußgeld rechnen.

Die Polizei will ihren Einsatz daher dezidiert nachbereiten und die Ergebnisse für die Planung künftiger Kundgebungen verwenden. Die erste Erkenntnis steht für Polizeipräsident Burkhard Metzger aber schon fest: „Mit einer derart ausgeprägten Unvernunft hatten wir in Ludwigsburg nicht gerechnet!“

Auf der Facebook-Seite unserer Zeitung wird der Vorfall kontrovers diskutiert. Viele Menschen haben überhaupt kein Verständnis für die Aktion. „Corona ist vermeidbar – Dummheit nicht.“ Oder: „Meiner Meinung nach sollten solche Demonstrationen verboten werden.“ Von einigen Diskutanten gibt es aber auch Unterstützung: „Unsere Politik ist doch schon sauber dabei, uns alle Freiheiten zu nehmen.“

Der Leiter des Fachbereichs für Sicherheit und Ordnung, Heinz Mayer, spricht von einer völlig neuen Qualität von Coronaprotest. „Diese Veranstaltung hat alles auf den Kopf gestellt.“ Alle Absprachen im Vorfeld seien obsolet gewesen, weil Bodo Schiffmann plötzlich nicht mehr anwesend war und eine aufgebrachte Menge zurückgelassen habe. Erlaubt sind solche Spontandemonstrationen. Für die Stadt und die Polizei sind sie eine riesige Herausforderung, da es weder eine festgelegte Route noch Ansprechpartner gibt. „Jetzt müssen wir schauen, wie wir uns in Zukunft auf solche Situationen einstellen“, sagt Mayer. Er kann jedenfalls jeden Bürger verstehen, der sich darüber ärgert, dass hier kein einziges Bußgeld wegen der vielen Verstöße ausgesprochen wurde. Am Freitag hätten sich aber alle Ordnungskräfte darauf konzentrieren müssen, dass die Situation nicht eskaliert.