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Tonnenweise Millimeterarbeit

Teils nur millimeterweise geht es für das riesige Baufahrzeug mit einem der Betonteile huckepack vorwärts, bis zu der Stelle, wo in wenigen Tagen wieder Schienen drüberführen. Fotos: Andreas Becker
Teils nur millimeterweise geht es für das riesige Baufahrzeug mit einem der Betonteile huckepack vorwärts, bis zu der Stelle, wo in wenigen Tagen wieder Schienen drüberführen. Foto: Andreas Becker
Direkt beim Gebäude des Türkischen Kulturvereins ist die kniffligste Stelle des Transports für die neuen Brückenteile, hier muss alles um 90 Grad gedreht werden.
Direkt beim Gebäude des Türkischen Kulturvereins ist die kniffligste Stelle des Transports für die neuen Brückenteile, hier muss alles um 90 Grad gedreht werden.
Nur wenige Zentimeter sind es zwischen Hauswand von Atib und dem Tausendfüßler.
Nur wenige Zentimeter sind es zwischen Hauswand von Atib und dem Tausendfüßler.
Zwei große Betonteile, die eine neue Eisenbahnbrücke bilden werden, sind am Freitag am Kornwestheimer Bahnhof an ihre Position geschoben worden. Dabei ging es stellenweise eng zu.

Kornwestheim. Eine riesige Lücke klafft seit wenigen Stunden an der Kreuzung der Kornwestheimer Bahnhofstraße – und doch sind am Ende vielleicht nur noch ein paar Zentimeter Platz. Mit diesem Abstand schieben sich am Freitagmittag mehrere Tonnen Beton am Gebäude des Türkischen Kulturvereins vorbei. Ein Mann steht direkt unter dem Schild, winkt und zeigt immer wieder an, wie viel man noch zurückstoßen kann und um wie viel abgesenkt werden muss. Langsam bewegen sich die 132 Räder des Tausendfüßler genannten Baufahrzeugs der Firma Riga Mainz wenige Zentimeter zurück – und mit ihnen das 2000 Tonnen schwere Betonteil huckepack. Etwa die Hälfte der Strecke ist da geschafft, auf dem Weg zum neuen Standort als Bahnbrücke.

Nun heißt es für Thilo Fischer, mithilfe seines Steuergeräts die Maschine um 90 Grad drehen zu lassen und die paar Meter in Richtung Bahngleise zu fahren. Doch für den kurzen Weg ist noch viel Zeit nötig. Gegen halb zwölf am Freitag begann der Transport des ersten Betonteils, das seit Januar parallel neben der Gleisstrecke gebaut wurde, gut eine Stunde später geht es um die Kurve, für 14 Uhr sieht der Zeitplan vor, dass es genau dort abgelassen wird, wo zuvor die alte, um 1900 errichtete Brücke stand. Die musste erneuert werden, damit auf der Strecke, die durch Kornwestheim führt, auch in Zukunft noch Züge rollen können – auch der neue, schwerere ICE4, wenn etwa die Schnellfahrstrecke zwischen Stuttgart und Mannheim umfahren werden muss, erläutert Frank Nowaczyk, Projektleiter beim Unternehmen Klostermann aus Nordrhein-Westfalen. Rund 13 Millionen Euro investiert die Deutsche Bahn in Kornwestheim.

Im Mai vergangenen Jahres begannen die Vorbereitungen für das Megaprojekt, dazu gab es eine erste Begehung mit der Stadtverwaltung. Im Oktober starteten die Bauarbeiten, bis Ende dieses Jahres sollen sie abgeschlossen sein. Und bis dahin – neben den zwei Betonteilen mit 705 Quadratmetern Größe – rund 1650 Tonnen Gleisschotter sowie 650 Kubikmeter Stahlbeton verbaut werden. Dazu kommt noch die Wiederherstellung der Bahnhofstraße. Denn um deren Gefälle auszugleichen, wurden gewaltige Massen aufgeschüttet, rund ein Meter Höhenversatz so ausgeglichen, damit der Tausendfüßler die riesigen Betonteile ebenerdig an ihre neue Position einschieben kann.

Thilo Fischer hat mit seinem Steuergerät das Baufahrzeug mit einer Traglast von bis zu 3000 Tonnen und den 66 Achsen derweil gedreht. Für ihn ist das aktuelle Projekt, das von unzähligen Zuschauern verfolgt wird, nichts Besonderes. „Nur eben eng“, sagt er. Und spürt das auch jetzt: Der Tross wird gestoppt. Denn im Vorfeld wurde zwar anhand von 3D-Modellen der Arbeitsmaschinen und den mit Lasertechnik ausgemessenen Daten der Umgebung genau berechnet, ob mit den Betonteilen das Spezialverfahren und der Einschub im 90-Grad-Winkel möglich ist. Doch so ganz reicht es dann doch nicht: Ein Bagger muss anrücken, und entfernt Teile des Bahndamms direkt am Durchlass. „Der Teufel steckt im Detail“, kommentiert das Nowaczyk trocken. Nach wenigen Minuten ist der Weg dann frei, der Tausendfüßler setzt sich wieder in Bewegung. „Reißt mir nicht die Kabel durch!“, ruft der Projektleiter, als sich der schwere Tross der Stelle nähert, wo zuvor noch Gleise lagen. „Passt!“, ruft er kurz darauf, während es etliche Meter unterhalb ebenfalls eng wird. Nur noch Zentimeter Platz ist zwischen den Rädern des Tausendfüßlers und den Gruben links und rechts. Das Fundament der alten Brücke ist noch erkennbar, es ist nun ein Punkt für die Orientierung, wo genau das neue Betonteil abgeladen wird. Bevor es aber so weit ist, wird noch einmal genau vermessen. Dann werden die einzelnen Stahlstapelboxen, auf denen die Brückenhälfte liegt, entfernt – und die Arbeiten wiederholen sich ohne Pause für das zweite Betonteil, mit rund 1800 Tonnen etwas leichter und kleiner, mit 21 statt 26 Metern Länge.

Denn die Zeit drängt. Für den spektakulärsten Teil der Baumaßnahme sind nur rund zwei Wochen einkalkuliert, so lange dauert die Sperrpause für die Bahn – würde man nicht das Einschubverfahren wählen, sondern mit Hilfsbrücken arbeiten, müsste dieser Zeitraum weitaus länger dauern. Seit Samstag wurde deshalb rund um die Uhr gearbeitet, nach Ferienende, am Montagfrüh um 4 Uhr, sollen die Züge wieder auf dem üblichen Weg zwischen Ludwigsburg und Kornwestheim rollen. Einige Tage mehr Zeit ist für die Bauunternehmen dann für die Wiederherstellung der Bahnhofstraße, erklärt Nowaczyk, später dann stehen weitere Restarbeiten an, auch die Schrebergärten sollen wieder am alten Platz sein. Aus Nowaczyks Sicht machbar. Denn auch beim Zeitplan scheint am Ende alles zu passen.

Internet: Ein kurzes Video gibt es unter www.facebook.com/ludwigsburger.kreiszeitung