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Und immer wieder fließen die Tränen

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350_0900_34198_23_07_21Wolschendorf_1.jpg Foto: Holm Wolschendorf
Acht Transporter mit Anhängern und 23 Helfer ins Hochwassergebiet gestartet – Tina Sieber und Stephanie Nafzger organisieren Spendenaktion

Steinheim. Kurz vor der Abfahrt gestern Nachmittag kommen die Erst- und Zweitklässler der Grundschule noch vor die Kelter in Höpfigheim und bringen nicht nur Spielzeug, sondern auch selbst gemalte Bilder und Briefe vorbei. Bei Tina Sieber und Stephanie Nafzger fließen die Tränen. Sie sind überwältigt von der Spendenbereitschaft für die Hochwasseropfer. Tina Sieber stammt aus Sinzig, wo die Ahr in den Rhein fließt, und hat innerhalb kurzer Zeit mit ihren Helfern in Höpfigheim eine große Spendenaktion organisiert. Die Höpfigheimer Kelter ist voll, gestern Abend sind acht Transporter mit Anhängern und zwei Busse mit 23 Helfern nach Sinzig und Ahrweiler gestartet.

Tina Sieber arbeitet in der Grundschule Höpfigheim als Integrationskraft und Lernzeitbetreuung, in der Pause erfuhr sie von der Katastrophe, versuchte ihre Mutter und ihren Vater anzurufen, die beide noch in Sinzig wohnen. Ohne Erfolg. Irgendwann erreichte die 43-Jährige ihre Mutter und entschied, ins Ahrtal hoch zu fahren. Mit ihrem Mann und ihrem Kind packte sie in einer Blitzaktion alles ein, was sie in der kurzen Zeit auftreiben konnte. Eine Bekannte lieh der Familie sogar ihr Auto, weil es größer war. In Bad Bodendorf war der erste Halt. „Dort ist es eher flach, aber auch hier war alles voller Schlamm, Autos waren auf Steinen gekentert, Stromkasten schwammen auf der Straße, mir liefen nur die Tränen“, erzählt sie noch immer mit stockender Stimme. Die Leute seien wahnsinnig dankbar für die Hilfe gewesen, als Geschenk bekam sie eine komplett verdreckte Prosecco-Flasche. Am Samstag fuhr die Familie nach Dernau, ein schmucker Weinort, der auf der Anhöhe auch noch hübsch aussah, im Ortskern aber ein Bild des Schreckens bot: Überall Schlamm, Sirenen heulten, Hubschrauber kreisten, Ölgeruch waberte über allem. „So stelle ich mir Krieg vor“, sagt Sieber. Die Siebers halfen zunächst bei einer Familie mit, die vor drei Monaten gerade erst alles saniert hatte. Jetzt ist alles kaputt, von den vielen zerstörten Erinnerungsstücken ganz zu schweigen. Nach einem Tag im Schlamm waren nicht nur die Schuhe kaputt.

Am Sonntagabend kam die Familie wieder zu Hause an und Tina Sieber brachte das Hilfsprojekt „Flutopferhilfe aus’m Ländle“ mit Stephanie Nafzger, die spontan ihre Hilfe anbot, ins Rollen. Seitdem sind die beiden Tag und Nacht in der Kelter, die ihnen von der Stadt und dem GSV Höpfigheim zur Verfügung gestellt wurde, und koordinieren Spenden und Helfer – eine Biertischgarnitur und zwei Stühle dienen als Büro. Jeden Tag bekommt jede der beiden Frauen 250 Anrufe, teilweise stehen die Leute mit ihren Spenden Schlange.

Die Leute bringen alles, kommen teilweise auch von weiter weg. Die Helfer nehmen die Kartons entgegen und sortieren sie dann um: Shampoo zu Shampoo, Kinderwagen zu Kinderwagen, Schaufel zu Schaufel – manchmal leider auch Sperrmüll und Mist wie Taucherbrillen. „Viele gehen aber auch extra zur Drogerie und kaufen ein“, so Nafzger. Sogar drei Autos wurden schon gespendet. Auch Geld wird den Frauen teilweise gebracht. Und sie werden fürstlich verpflegt, mit Brezeln vom Freiberger Bäcker, Pizza oder Fleischkäsweckle.

Die Helfer kommen spontan und in Scharen. Am zweiten Tag stieß Bernd Kühne vom Liederkranz Affalterbach zum Team und schafft seitdem unermüdlich mit. Am Dienstag kam auch Lars mit seiner Mutter vorbei, seitdem kommt der Junge, den Nafzger auf elf Jahre schätzt, jeden Tag mit dem Bus von der Schule aus Steinheim und hilft.

„Wir könnten inzwischen beide bei einer Spedition anfangen“, sagt Stephanie Nafzger scherzend, auch wenn ihr nicht immer nach Lachen zumute ist. Sie hat einen eineinhalb Jahre alten Sohn, der gerade sprechen lernt. „Ich sehe ihn derzeit nur schlafend, das fällt mir furchtbar schwer, aber jetzt ist helfen einfach wichtiger“, sagt die 34-Jährige. Beide Frauen haben freibekommen oder arbeiten in aller Früh im Homeoffice und gehen dann in die Kelter. Bis abends um halb zehn Uhr sind sie dort. „Irgendwann funktioniert das Hirn dann nicht mehr“, sagt Stephanie Nafzger.

Garant dafür, dass wirklich alles vor Ort ankommt und nicht erst in irgendwelchen Sammelstellen landet, ist Sascha. Ihn hat Tina Sieber bei ihrem Einsatz vergangene Woche kennengelernt. Er hat ebenfalls eine Woche Urlaub genommen und teilt den Frauen mit, was dringend benötigt wird. Gefragt seien derzeit Pavillons, Einkaufstrolleys, Sonnen- und Mückenschutz, Taschenlampen, Stirnlampen, Bautrockner und Rattenköder, aber auch große Geräte wie Bautrockner oder Hochdruckreiniger. Weiteres erfahren die beiden, wenn sie vor Ort sind.

Als sie erzählen, wo sie übernachten, kommen ihnen erneut die Tränen. Die Jugendherberge samt Verpflegung wird von einer Frau bezahlt, die selbst drei Angehörige bei der Flut verloren hat. „Wir sind einfach sprachlos, dass es so viele gute Menschen gibt“, betont Tina Sieber.

Info: Die nächste Spendenannahme ist am Donnerstag, 29. Juli, von 16 bis 18 Uhr in der Höpfigheimer Kelter. Infos gibt es auf der Facebookseite „Flutopferhilfe aus‘m Ländle“.