1. Startseite
Logo

Vom Leben mit Licht und Schatten

Sigrid Artmann: Volle Konzentration auf den Pinsel. Foto: Evelin Buhmann/privat
Sigrid Artmann: Volle Konzentration auf den Pinsel. Foto: Evelin Buhmann/privat
Kalligraphiekünstlerin Sigrid Artmann dreht Video zur Wintersonnenwende

Ludwigsburg/Gerlingen. Düster wabert die Klangkulisse, diffus flackert die Beleuchtung. Mittendrin wird plötzlich eine menschliche Silhouette erkennbar, lockige Haare, die Kamera fährt näher heran: Es ist Sigrid Artmann. Die Ludwigsburger Kalligraphiekünstlerin hebt beide Arme in einer runden Bewegung nach oben, bis die Handflächen sich berühren, wie in einem stillen Gebet, einer tiefen Meditation lässt sie die Hände so nach unten sinken, sie sammelt sich und holt schließlich aus: Artmann greift nach zwei Pinseln, die am Boden liegen, und beginnt, Kreise um sich herum zu ziehen. Grafische Linien, die sich brechen und überlagern, immer wilder, intuitiver, finsterer.

Sigrid Artmann hat eine Leidenschaft für archaische Rituale, die trotz eines gewissen Pathos immer auch von einer gewissen Leichtigkeit geprägt sind. So auch ihr Video „Mutternacht“, das sie am Dienstagabend auf Youtube hochgeladen hat – pünktlich zur Wintersonnenwende, jenem Moment kurz vor Weihnachten, in dem die längste Nacht auf die kürzesten Tage trifft. Danach geht es wieder aufwärts. Wichtig sei ihr die positive Botschaft ihres etwas über vier Minuten langen Videos, betont Artmann. „Es geht nicht nur um Helligkeit und Dunkelheit, sondern auch um das Leben, das immer aus Hochs und Tiefs besteht – und das gehört auch beides dazu.“ Es gehe dabei um „Aufbruch und den Mut, die Zukunft aktiv zu gestalten.“ Mit Corona, so der vielleicht naheliegende Gedanke, habe das Ganze eigentlich gar nichts zu tun, betont die Künstlerin.

Rund ein Jahr lang hat das durch ein Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes geförderte Performance-Projekt gedauert. Dafür hat sie sich mit der Klangbastlerin Mirijam Streibl und dem auf Visualisierungen spezialisierten Stuttgarter Tillit-Kollektiv zusammengetan. Gedreht wurde erst kürzlich, an fünf Tagen Mitte Dezember, im Atelier der Freien Kunstakademie Gerlingen. Nach den Vorbereitungen mit der Einstellung des Lichts und der Kameras, der Positionierung der Leinwände, Pinsel und Farben dauerte die reine, später auf ebenjene vier Minuten zusammengeschnittene Performance rund fünf Stunden. „Das war nach einer Weile ganz schön kalt auf dem Betonboden“, sagt Artmann, die die ganze Zeit barfuß im Atelier stand, und lacht. Die mystische Performance ist dabei teils vorgeplant gewesen, teils erst im Moment selbst improvisiert worden. „Ich wusste ungefähr, wo ich mit der Linie hin wollte“, sagt die Kalligraphiekünstlerin. „Alles andere kam von selber.“

Im zweiten Teil des Videos wird dann klar, wohin die ganze Aktion schlussendlich führt: Plötzlich wird die so vermeintlich fragile Beleuchtung hochgefahren, es wird hell, und mit einem riesigen Pinsel (Artmann: „Den habe ich extra dafür anfertigen lassen!“) zieht sie die ganz großen Striche und Linien, bis schließlich auf der Leinwand, noch etwas kryptisch, steht: „Da ist es.“ Was? Aus der anfangs dumpfen Soundwand schälen sich indes ätherische, neoklassisch angehauchte Klavierklänge, Sigrid Artmann bearbeitet die Leinwand mit staubigem Material, bis schließlich der Satz „Da ist Licht“ zu lesen ist.

Die Performances von Sigrid Artmann haben häufig mit besonderen Tagen zu tun – vor der Wintersonnenwende gab es bereits Aktionen zur Sommersonnenwende (2019) und zu Erntedank (2020). Was als Nächstes kommt? Man darf gespannt sein.

Info: Die Video-Performance „Mutternacht“ ist bei Youtube zu sehen. Einen Link dazu gibt es auf der Homepage von Sigrid Artmann: www.schrift-kunst-werkstatt.de.