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Von Bilderwelten, Boxen und Bergführern

Im Hörbuchbereich kommen immer mehr Kindertitel auf den Markt. Archivfoto: Waltraud Grubitzsch/dpa
Im Hörbuchbereich kommen immer mehr Kindertitel auf den Markt. Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa
Die Cover der Hörbücher, die bei der heutigen Preisverleihung in der Kategorie „Bestes Kinderhörbuch“ in der Endrunde stehen (von links): „Familie von Stibitz – Der Riesenlolli-Raub“ (sauerländer audio), „Die Chroniken von Narnia. Teil 1: Das Wunder
Die Cover der Hörbücher, die bei der heutigen Preisverleihung in der Kategorie „Bestes Kinderhörbuch“ in der Endrunde stehen (von links): „Familie von Stibitz – Der Riesenlolli-Raub“ (sauerländer audio), „Die Chroniken von Narnia. Teil 1: Das Wunder von Narnia“ (Der Audio Verlag/SWR) und „Der Junge aus der letzten Reihe“ (Hörcompany). Foto: privat
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Vor der Verleihung des Deutschen Hörbuchpreises am Mittwoch zeichnet sich deutschlandweit und auch in der Region Ludwigsburg ein Trend ab: Hörbücher für Kinder haben während der Pandemie an Beliebtheit gewonnen.

Kreis Ludwigsburg. „Kaum zu glauben, aber wahr: Ich freue mich aufs Spülen“, sagt Heike Völker-Sieber und lächelt. Sie ist Mitglied im Sprecherkreis der Interessengemeinschaft Hörbuch im Börsenverein des Deutschen Buchhandels – und eigentlich nicht wirklich scharf auf Abwasch. Cool, so sagt sie, sei natürlich nicht die Arbeit an sich. Vielmehr begeistere sie die Tatsache, dass es mit Hörbüchern gelinge, diese eher lästige Aufgabe erträglicher und spannend zu machen. Völker-Sieber: „Denn dann kann ich endlich meinen Thriller weiterhören.“

Seit den 1980er Jahren wächst der Hörbuchmarkt stetig, und Hörbücher sind mittlerweile quer durch alle Generationen beliebt. Zu beobachten ist dabei, dass der Verkauf von physischen Hörbüchern abnimmt und sich das Geschäft zunehmend in Richtung der Download- und Streaming-Portale verlagert. „Das Digitalpublikum wird größer“, urteilt Heike Völker-Sieber.

Diese Einschätzung teilt sie mit Kennern der Branche. „Vor rund zehn Jahren habe ich mehr Hörbücher verkauft“, so Barbara Löhnert, Inhaberin der Buchhandlung am Markt in Markgröningen. Sie ergänzt, dass das klassische Hörbuch auf CD nicht mehr so gefragt sei. „Gehört wird auf allen Kanälen“, so die 63-Jährige, die während der Pandemie zwar ein leichtes Umsatzplus bei Kinder-Hörbüchern verzeichnen konnte. „Aber einen wirklichen Satz nach oben gab es nicht.“

Jutta Schultz, Mitinhaberin des Bücherlurchs in Kornwestheim, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Viele Nutzer seien auf digitale Angebote umgestiegen – auch im Bereich der Kinderhörbücher. Als Beispiel nennt Schultz die sogenannte Toniebox, ein einfach zu bedienendes Abspielgerät, über das sich aus dem Netz gezogene Kindergeschichten überall abspielen lassen. Trotzdem hat auch bei ihr das Bestellaufkommen von Kinderhörbuch-CDs während der Pandemie leicht zugenommen. Gleiches gilt für die Mörike-Buchhandlung in Ludwigsburg. Dort gibt es zwar nur ein kleines Sortiment an „hörbaren Titeln“. Buchhändler Andreas Keinath aber bestätigt, dass es bei Kinderhörbüchern pandemiebedingt „ein bisschen mehr Nachfrage“ gegeben habe.

Diese lokale Entwicklung spiegelt wider, was deutschlandweit offenbar enorm zu sehen ist, nämlich ein Plus bei Kindertiteln im Hörbuchbereich. Offizielle Branchenzahlen liegen zwar noch nicht vor. „Aber plötzlich gab es Ausschläge wie im Weihnachtsgeschäft“, berichtet Kilian Kissling vom Sprecherkreis der Interessengruppe Hörbuch im Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Seiner Meinung nach liegt das unter anderem daran, dass die reale Welt unter Pandemiebedingungen nur wenig Abwechslung und Anregung bietet. Mit Hörbüchern könnten Kinder in eine völlig andere Welt abtauchen, eigene Bilderwelten im Kopf kreieren und unmittelbar Spaß erleben. Wie er sagt, sei Hören weniger fordernd als Lesen und wirke sehr entspannend. Er beobachte das aktuell an seiner zehnjährigen Tochter. Kissling: „Sie malt nebenbei und ist beim Hörbuchhören völlig weg und in die Geschichte versunken.“

Sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen gilt beim Hörbuchhören das Stichwort „double your time“, sprich: das Verdoppeln der Zeit, indem zwei Dinge auf einmal gemacht werden. Während der Pandemie ist für viele Eltern zwar die mobile Situation, also das Hören während der Fahrt zur Arbeit, entfallen. Gehört haben sie laut Kissling aber weiterhin – unter anderem während der „Familienzeit“ im gemeinsamen Wohn- oder Essbereich. Sei ein Kinderhörbuch nämlich gut, „haben auch Erwachsene Spaß und fühlen sich auf einer anderen Ebene gut unterhalten“.

Die Grundvoraussetzung für ein gelungenes Hörbuch ist dabei nicht nur eine gute Geschichte, sondern auch das Können derjenigen, die den Inhalt transportieren: der Sprecherin oder des Sprechers. „Die sind das A und O. Wenn die Interpreten nicht stimmen, wird der tollste Text zu einer langweiligen Gutenachtgeschichte“, so die Kornwestheimer Buchhändlerin Jutta Schultz. Die 52-Jährige ist bekennender Hörbuchfan und liebt es, wenn ihr etwa Ulrich Noethen, Christoph Maria Herbst, Anna Thalbach oder Hansi Jochmann Geschichten vorlesen. Ein „absolutes Hörerlebnis“ findet sie außerdem die Eberhofer-Krimis von Rita Falk mit dem Sprecher Christian Tramitz. Schultz: „Der bringt in die Geschichte noch mal einen ganz eigenen Charme rein, das ist echt klasse!“

Tatsächlich ist auch Heike Völker-Sieber davon überzeugt, dass Texte durch begabte Sprecher eine ganz neue Intensität bekommen können. Daran anknüpfend verweist sie auf einen weiteren Trend während der Pandemie: die verstärkte Nachfrage nach Hörbuchklassikern. Durch die „erzwungene Entschleunigung“ sei den Leuten eine gewisse freie Zeit beschert worden. Diese habe dazu animiert, sich insbesondere auch im Hörbuchbereich an schwerere Stoffe heranzuwagen – etwa an Marcel Prousts Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“.

Völker-Sieber zufolge ist Peter Matic, der den siebenteiligen Roman über viele Jahre hinweg eingelesen hat, zu der Rolle von Sprechern im Hörbuch ein guter Gedanke gekommen. Sich selbst nämlich habe er als Bergführer bezeichnet, der die Eisen in das unwegsame Gebirge schlägt, das Seil verankert und vorangeht. An seinem Seil, so Matic, könnten die Hörer dann den Gipfel besteigen. Völker-Sieber: „Ich finde, das ist ein schönes und sehr passendes Bild.“

Info: Heute wird der „Deutsche Hörbuchpreis“ verliehen. Im Finale stehen 15 Nominierte in fünf Kategorien, nämlich „Bestes Hörspiel“, „Bestes Kinderhörbuch“, „Beste Unterhaltung“ sowie „Beste Interpretin“ und „Bester Interpret“. Die Preisverleihung wird live auf WDR 5 übertragen. Weitere Infos im Netz: www.deutscher-hoerbuchpreis.de. (lide)