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Von Klimaschutz bis Wohnungsbau

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Der Wahlkampf um das Amt des Marbacher Bürgermeisters geht in die entscheidende Phase. Als aussichtsreichster Herausforderervon Amtsinhaber Jan Trost (45) gilt Timo Jung (31). Wir stellen beide Kandidaten und ihre zentralen Ziele vor.

Marbach. Für Marbachs amtierenden Bürgermeister wird der Weg in eine zweite Amtszeit kein Spaziergang. Mit sechs Gegenkandidaten hat es Jan Trost zu tun, eine Zahl, die auch den 45-Jährigen überrascht hat. Doch mit Gegenwind war zu rechnen, seit im Sommer eine Allianz aus CDU und Grünen im Gemeinderat ihr Missfallen an Trosts Amtsführung öffentlich gemacht hat.

Entsprechend ernsthaft ist Trost in den Wahlkampf eingestiegen, ließ schon früh im Dezember eine aufwendige Broschüre gestalten und verteilen, in der er alle wesentlichen kommunalpolitischen Themenfelder unter den Überschriften „Das haben wir bisher erreicht“ und „Meine Ziele für die nächsten Jahre“ abarbeitet.

Freilich – diese Einschränkung muss man angesichts der umfangreichen Aufzählung machen – ist längst nicht alles, was in der Broschüre als Erfolg oder erreichtes Ziel genannt wird, das alleinige Verdienst des Bürgermeisters. Nur ein paar Beispiele: Die bereits abgeschlossenen oder noch laufenden Schulsanierungen darf man als Geschäft der laufenden Verwaltung einordnen, die Spielplatzkonzeption, deren Umsetzung der Bürgermeister als Ziel nennt, basiert auf einem Antrag der Grünen, das Pflegeheim in Rielingshausen baut ein privater Betreiber.

Nicht ganz neu ist auch die Idee eines Stadtentwicklungskonzepts. Das gab es im Jahr 2000 schon einmal für Marbach, Jan Trost will dieses Instrument im Fall seiner Wiederwahl aufgreifen und als „Zukunftswerkstatt mit den Bürgern“ aufziehen. Dabei hat der Amtsinhaber vor allem die Gartenschau im Blick, die Marbach zusammen mit Benningen im Jahr 2033 ausrichten wird. „Das ist eine große Herausforderung“, sagt Trost im Gespräch mit unserer Zeitung, „da müssen wir die Bürger mit ins Boot nehmen.“

Bei der Schaffung von Wohnraum, in Marbach als Stadt mit S-Bahnschluss ein besonders drängendes Thema, setzt der 45-Jährige zum einen auf die Innenentwicklung, zum anderen darauf, dass doch ein Abschnitt des bislang auf Eis liegenden Neubaugebiets Kreuzäcker östlich der Affalterbacher Straße realisiert werden kann. Er wertet zwischenzeitlich geführte Gespräche über ein Schlüsselgrundstück als positiv, sagt: „Das muss noch dieses Jahr laufen.“ Im besten Fall könnten in einem ersten Abschnitt rund 300 Wohneinheiten entstehen. Auf dem Grundstück der Volksbank am König-Wilhelm-Platz sieht Trost die Chance für ein „gemeinsames Konzept“, weil sich die Bank räumlich verkleinern will. Nach dem Abriss des bestehenden Gebäudes könnten auf dem zentrumsnahen Areal auch neue Wohnungen entstehen.

Marbach ist Schulstandort – da darf das Thema Bildung auf der Agenda eines Bürgermeisters kaum fehlen. Kurz- bis mittelfristig, darin besteht Einigkeit mit Gemeinde- und Ortschaftsrat, wird wohl die Frage zu klären sein, ob die Grundschule in Rielingshausen erweitert werden muss und wo ein dritter Kindergartenstandort gefunden werden kann. Eine Entwicklung, die auch den Verwaltungschef überrascht, stand die Grundschule im Teilort zu Beginn seiner Amtszeit wegen rückläufiger Geburtenzahlen doch fast auf der Kippe. Baulich steht zudem die energetische Sanierung der Marbacher Grundschule an, inhaltlich steht Trost zu dem nicht unumstrittenen Konzept des freiwilligen Ganztagsangebots. Es wieder abzuschaffen, wie es die Lehrer im Sommer gefordert hatten, sei „keine Alternative“. Die Wahlfreiheit sei „das richtige Modell“ und „mittlerweile haben wir einige Leitplanken festgelegt, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.“

Auf dem Dach der Grundschule soll eine Photovoltaikanlage installiert werden, das hat der Gemeinderat bereits beschlossen. Trost will diese Möglichkeit der Stromerzeugung aus regenerativen Quellen auf städtischen Immobilien noch weiter ausdehnen, den städtischen Fuhrpark umweltfreundlicher machen.

Seine Ziele im Bereich Klimaschutz verschärft der amtierende Rathauschef im Gespräch sogar. Während in seiner Broschüre davon die Rede ist, die selbstgesteckten Klimaschutzziele der Stadt bis 2040 umzusetzen, spricht er inzwischen davon, sie schon 2030 erreichen zu wollen. Zu diesen Zielen gehört unter anderem die Reduzierung der Kohlendioxidemissionen städtischer Liegenschaften.

Auf den sich teilweise überlappenden Feldern Ökologie und Mobilität bezeichnet sich Trost als einen „Verfechter“ der Bottwartalbahn, große Lösungen für die Verkehrsprobleme in der Innenstadt seien „schwierig“. Tempo30 auf mehr innerörtlichen Straßen seien im Zuge der Fortschreibung des Lärmaktionsplans anzustreben. Aber das entscheidet das Landratsamt.

s ist der erste Wahlkampf, den Timo Jung in seinem Leben führt, und der 31-Jährige bekommt gleich die ganze Härte des Stimmenfangs zu spüren. Der aussichtsreichste Herausforderer von Bürgermeister Jan Trost unter den sechs Gegenkandidaten muss sich nicht nur in Marbach bekannt machen, er muss auch mit den coronabedingten Einschränkungen klarkommen. Heißt: Große Veranstaltungen gibt es nicht, also musste der Leiter der Zentralen Dienste beim Städtetag Baden-Württemberg neue Formate der Begegnung entwickeln.

Was laut Jung gut ankommt, sind seine Stadtspaziergänge, Runden, die er immer mit einem Bürger dreht. „An meinem bisherigen Rekordtag sind 30000 Schritte zusammengekommen“, erzählt der Kandidat mit SPD-Parteibuch. Immerhin bleibe man dabei warm, während er nach den Tagen auf dem Wochenmarkt eine heiße Wanne braucht.

„Ich hätte gerne an jeder Haustür geklingelt, aber das geht nun mal nicht. Andererseits honorieren die Menschen den Mut, in dieser schwierigen Ausgangslage zu kandidieren, und sie honorieren meine kreativen Ideen. Kreativität ist ja auch für einen Bürgermeister wichtig“, gibt sich Jung selbstbewusst.

Im Gegensatz zum Amtsinhaber hat der Stuttgarter erst vergangene Woche die Broschüre mit seinem Wahlprogramm an die Haushalte verteilen lassen. Das habe er strategisch bewusst so entschieden, um seinem Auftritt vor der Wahl am 24. Januar nochmal Schwung zu geben „und das funktioniert bislang prima.“

Jung geht mit einer ähnlich professionell gestalteten Broschüre wie Jan Trost ins Rennen, sagt aber: „Mein Programm ist nicht abgeschlossen. Ich will an einigen wenigen Punkten aufzeigen, wo ich Potenzial sehe. Ich will bewusst kein Spiegelstrich-Programm vorlegen, sondern darstellen, wie ein integriertes Konzept für Marbach aussehen könnte.“

Auf der Suche nach Potenzialen ist der Kandidat in vielen Bereichen fündig geworden, wie sich im Gespräch mit unserer Zeitung zeigt. Natürlich kommt auch Jung nicht am Thema Wohnungsbau vorbei, stellt sich aber bei künftigen Projekten „innovative Formen“ vor wie Baugenossenschaften oder Baugruppen. An solche Zusammenschlüsse würde seiner Lesart nach die Stadt Grundstücke verkaufen, „nicht an den Höchstbietenden“. So ließen sich soziale und ökologische Kriterien verbinden. Dass die Stadt erst einmal in den Besitz von Grundstücken kommen muss, das sei „die Herausforderung“. Zudem redet Jung einem „aktiven Leerstandsmanagement“ das Wort; mit den Besitzern von unbebauten Grundstücke oder nicht vermieteten Wohnungen „würde ich aktiv Gespräche führen. Da ist eine gute Kommunikation wichtig.“

Beim Stichwort Klimaschutz unterscheiden sich die Vorstellungen des Herausforderers in zwei wesentlichen Punkten von denen des Amtsinhabers: Jung will die Stelle eines Klimamanagers schaffen, dem aus seiner Sicht eine wichtige koordinative Rolle zukäme bei allen Themen, die Auswirkungen auf Klima und Umwelt haben. Zudem sei es wichtig, als Kommune Pilotprojekte zu schaffen und „zu zeigen, was möglich ist“. Deshalb hält der 31-Jährige auch eine „Wärmeplanung“ für unverzichtbar, die das Ziel einer großräumigen, dezentralen Versorgung mit Heizenergie verfolgt.

Die Jugendbeteiligung nennt Jung als einen aus seiner Sicht weiteren zentralen Punkt. Er will einen Jugendgemeinderat etablieren und macht damit einen Gegenentwurf zu dem bislang praktizierten Marbacher Modell des Jugendtopfs. Der stellt den Jugendlichen jährlich eine Summe von 5000 Euro zur Verfügung, über deren Verwendung sie selbst entscheiden können. Ein Jugendgemeinderat wäre aus Jungs Sicht eine „dauerhafte Institution“, die Heranwachsenden ein Podium biete, mit dessen Hilfe sie ihre Ideen verwirklichen könnten.

Für vordringlich hält der Diplom-Verwaltungswirt zudem eine „zukunftsfähige Stadtverwaltung“, im Rathaus müsse ein professionelles Projektmanagement Fuß fassen. Dass dieses in Marbach fehlt, bemängeln Grüne und CDU im Gemeinderat, die Jungs Kandidatur unterstützen. Er kann sich auch vorstellen, ämterübergreifende Teams zu bilden, wenn es die Aufgabenstellung erfordere – zum Beispiel für die Gartenschau. Er wolle einen Führungsstil pflegen, der die Mitarbeiter mitnehme, der motivierend und wertschätzend und klar in der Kommunikation sei, erklärt Jung. Den „Wunsch nach mehr Kommunikation“ habe er in seinem Wahlkampf gespürt.

Aktive Kommunikation, die müsse es auch mit den Bürgern geben. Er wolle das bereits vorhandene große bürgerschaftliche Engagement weiter unterstützen, die Vereinsarbeit stärken. „Der Bürgermeister muss dafür immer Ansprechpartner sein.“