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Weststadt
Wenn der Turmfalke am Werksdach brütet

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Produktionshallen, Werkshöfe, Parkplätze: Industriegebiete sind hoch versiegelte Flächen. Pflanzen und Tiere haben es schwer. Dass es anders geht, zeigt Werkzeugspezialist Hahn+Kolb in der Weststadt. Zwischen Technologiezentrum und Logistikgebäude fühlen sich der Kurzschwänzige Bläuling und die Schwarze Heidelibelle willkommen.

Ludwigsburg. Der Wind rauscht durch die mächtigen Linden, am Werksdach begrüßt sich mit lautem Schreien das Turmfalkenpaar: Zwischen Margeriten und Nelken könnte man schnell vergessen, wo man sich gerade befindet. Doch das Rauschen der Autos stört die Idylle und ruft in Erinnerung: Diese Bäume stehen mitten im Industriegebiet in der Weststadt.

2013 hat der Werkzeugspezialist Hahn+Kolb seine Firmenzentrale von Feuerbach nach Ludwigsburg verlegt. Vor dem Neubau des Unternehmenssitzes war das Gelände an der Schlieffenstraße, das auch als Waldäcker bekannt ist, verwildertes Brachland mit großen Ahornbäumen, Eichen und alten Linden. „Mit einem großen Bretterzaun wurden die Bäume während der Bauzeit vor den schweren Fahrzeugen geschützt“, erinnert sich Herbert Sausgruber (Hahn+Kolb Hausverwaltung). Heute sind die Bäume zentraler Bestandteil des Biotops, Wildbienen benötigen die Baumpollen, z Nisthilfen für Höhlenbrüter und Fledermäuse hängen in den Kronen.

Den Nistkasten am Dach des Logistikzentrums hat Sausgruber selbst zusammengebaut, auch die Sitzstangen für die Turmfalken nennt er sein „Projekt“. Auf den Nachwuchs des brütenden Paares freut er sich schon.

„Natürlich sind wir nicht hier, um Gärtner zu spielen“, betont Richard Hahn (Leiter der Hahn+Kolb Verwaltung). „Aber die gesellschaftliche Verantwortung stellt ein Firmendogma dar und das soll sich auf dem Außengelände widerspiegeln. Die Idee: Die Mitarbeiter sollen in ihren Pausen im Biotop durchatmen und die Natur genießen – und ganz nebenbei den Nachhaltigkeitsgedanken im Arbeitsalltag erleben.

Das Thema Nachhaltigkeit liegt im Trend – das ruft natürlich Trittbrettfahrer auf den Plan. „Da geht es um ein grünes Mäntelchen“, dachte Roman Lenz zunächst skeptisch, als die Anfrage von Hahn+Kolb bei ihm landete. Ziemlich schnell habe er jedoch gemerkt: „Es handelt sich nicht um ein ,green washing‘ – die meinen es tatsächlich ernst.“

Lenz ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen und kam nach Ludwigsburg, als die Freiraumplanung schon fast abgeschlossen war. Er hat das Unternehmen beraten, wie die bestehende Freiflächenplanung noch optimiert werden kann. Möglichst viele unterschiedliche Strukturen schaffen – das war die Devise bei der Gestaltung. Es gibt einen Teich, ein Retentionsbecken, Magerwiesen, Erd- und Steinhaufen für Reptilien und eine Streuobstwiese mit fast 40 Apfelbäumen. „Wird sich die Artenvielfalt erhöhen?“ Diese Frage steht im Zentrum der auf fünf Jahre angelegten Arbeit von Lenz und seinem Mitarbeiter Alexander Koch. „Es geht nicht darum, hier einen Urwald zu schaffen, sondern in einem beeinträchtigten Raum die optimale Situation zu machen.“ Alexander Koch sucht mit GPS und einem Metallsuchgerät nach Stahlnägeln im Boden. Auf dem insgesamt 48 000 Quadratmeter großen Gelände sind 20 Dauerbeobachtungsflächen auf diese Weise markiert. In regelmäßigen Abständen erfasst Alexander Koch die Pflanzen auf den vier mal vier Meter großen Quadraten. Diese Arbeit ist wesentlicher Bestandteil des auf fünf Jahre ausgelegten Monitorings.

Erst kamen die sogenannten Pionierbesiedler wie Mohn und Kornblumen, so Koch. Auf diese folgen dann mehrjährige Pflanzen, wie Margeriten. Der Wissenschaftler kann jetzt prächtig blühende Saat-Esparsetten und Kathäusernelken notieren. Bachstelze, Buchfink und Blaumeise haben sich zum Brüten niedergelassen, der gefährdete Gartenrotschwanz wurde zumindest regelmäßig gesichtet.

Insekten und Tagfalter haben das Gelände schon für sich entdeckt. „Die Libellenpopulation war schnell da“, schließlich sind auch die Kleingartenanlage und das Osterholz nicht weit. Vom reichhaltigen Blütenangebot profitiert etwa der gefährdete Kurzschwänzige Bläuling, ein Tagfalter. Als regionale Besonderheit sei die landesweit als gefährdet geltende Schwarze Heidelibelle anzusehen. Nur die Reptilien wie Blindschleiche und Zauneidechse oder Amphibien wie der Bergmolch lassen noch etwas auf sich warten. Sie sollen nicht auf dem Gelände ausgesetzt werden, sondern auf natürlichem Weg ins Biotop finden. „Wenn eine Wildente im Teich landet, bringt sie unter Umständen Froschlaich im Gefieder mit“, so Koch.

„Die Sorgfalt Natur und Mensch gegenüber endet bei uns nicht auf dem Firmengelände“, sagt Richard Hahn. Das Biotop sende Botschaft: „Ein Bild sagt schließlich mehr als tausend Worte.“