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Wer schreiben will, muss viel lesen

Die Jugendlichen können kreativ an eigenen Texten arbeiten und sich mit den anderen sowie mit Experten austauschen. Foto: Holm Wolschendorf
Die Jugendlichen können kreativ an eigenen Texten arbeiten und sich mit den anderen sowie mit Experten austauschen. Foto: Holm Wolschendorf
Im Deutschen Literaturarchiv sind 18 Jugendliche aus ganz Baden-Württemberg zu Gast, die in einem Auswahlverfahren ihr Schreibtalent unter Beweis gestellt haben. Die Lyrikerin Nadja Küchenmeister und der Romancier Franz Friedrich helfen ihnen diese Woche dabei, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

Marbach. „Schreiben ist das halbe Leben. Lesen ist das ganze Leben“, hatte die kürzlich verstorbene österreichische Schriftstellerin Friederike Mayröcker einmal gesagt. Dieses Zitat führt die Lyrikerin Nadja Küchenmeister vor den Schülerinnen und Schülern an, um ihr Anliegen zu verdeutlichen: „Ich möchte euch nicht die Illusion machen, man könne auf lange Sicht schreiben, ohne zu lesen.“ Denn damit schule man sein Verständnis für Literatur.

Erfahrene und Neueinsteiger

Am Morgen des zweiten Tages sollen die Teilnehmer erzählen, wie sie zum Schreiben gekommen sind. Unter ihnen sind sowohl solche, die schon im Kindergartenalter gern Geschichten erzählt oder in der Grundschule mit Freundinnen einen Gedichte-Club gegründet haben, als auch solche, die eher nicht so gern lesen und selbst überrascht sind, wie viel Spaß ihnen das Schreiben nun macht. Einige können sich auch gar nicht so richtig erklären, warum ihre Lehrer sie ausgewählt haben.

Einer der Schüler ist Mats Leiprant aus Stuttgart. In seiner Freizeit schreibe er nicht viel, aber offenbar im Unterricht gute Texte. „Ich hatte Lust darauf und habe das gemacht“, erinnert er sich an das Angebot, sich für die Schreibwerkstatt zu bewerben. Sie ist Teil der Kulturakademie der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg, die es für Literatur, Musik, Bildende Kunst sowie MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) gibt.

Nachdem die Schüler von ihren Lehrern nominiert wurden, können sie eine Talentprobe, in diesem Fall eine Schreibprobe, abgeben. Am Deutschen Literaturarchiv, das bereits zum elften Mal Kooperationspartner der Kulturakademie ist, gehen laut Mitarbeiterin Julia Schneider jedes Jahr rund 120 Bewerbungen ein, vor allem mit Kurzgeschichten und Gedichten, aus denen sie rund 20 auswählen. Diesmal musste wegen der Coronapandemie auch hier einiges umgeplant werden. Die erste der beiden Wochen, die eigentlich für die vergangenen Sommerferien angesetzt war, fand im Februar virtuell statt. Für die zweite Woche können die Jugendlichen nun persönlich zusammenkommen.

Mit dabei ist auch Melissa Shamir aus Pforzheim. „Deutsch war eines meiner Lieblingsfächer“, überlegt sie, warum sie nominiert wurde. In der Freizeit komme sie auch wegen des Schulstresses nicht oft zum Schreiben: „Ich habe da so kurze Phasen.“ Von der Schreibwerkstatt erhofft sie sich mehr Übung und Motivation. Neben kleineren Texten standen am ersten Tag auch der Besuch von Friedrich Schillers Geburtshaus und eine Abendwanderung im Programm.

Von den Notizen hin zum ganzen Text

Ob es Bücher sein müssen oder ob auch Filme und Videospiele beim Schreiben helfen können, will ein Teilnehmer wissen. „Diese Sehnsucht nach anderen Welten ist auch ein Teil davon“, sagt der Schriftsteller Franz Friedrich, betont aber, dass Lesen noch einmal ein ganz anderer Vorgang ist. Einer Teilnehmerin fällt es schwer, direkt nach dem Lesen selbst zu schreiben, es komme da zu einer Beeinflussung. Nadja Küchenmeister kann sie beruhigen. Zunächst sei es auch in Ordnung, andere nachzuahmen: „Keiner von uns hat einen absolut individuellen Stil.“

Bei der Einführung ins literarische Schreiben gehen die beiden Autoren von der kleinen Form zur großen – von Notizen, die sich die Jugendlichen auf dem Weg machen und dann zu einem Text verarbeiten, über das Entwickeln von Figuren bis hin zu Dialogen und Gedichten. Nadja Küchenmeister unterrichtet schon mehrere Jahre in der Schreibwerkstatt und hat dabei zu ihrem Bedauern einen Rückgang der Literaturaffinität beobachtet. „Aber die Teilnehmer sind trotzdem echt gut“, so die Lyrikerin. „Ich habe das Gefühl, sie wissen gar nicht, welche Talente sie in sich stärken könnten.“ Für Franz Friedrich, der erstmals dabei ist, steht schon jetzt fest: „Als junger Mensch hätte ich mir selbst so etwas gewünscht.“