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Wertvolle Funde aus der Goldgrube in Gerlingen

Das geplante Neubaugebiet Bruhweg II in Gerlingen ist seit Monaten eine große Ausgrabungsstätte. Fotos: Holm Wolschendorf/privat
Das geplante Neubaugebiet Bruhweg II in Gerlingen ist seit Monaten eine große Ausgrabungsstätte. Foto: Holm Wolschendorf/privat
Der Archäologe Dr. Christian Bollacher ist begeistert von dem, was die Rettungsgrabung aus der Jungsteinzeit im geplanten Neubaugebiet Bruhweg II in Gerlingen alles zutage fördert. Jetzt wird die Maßnahme bis zum Jahresende verlängert und eine erste Ausstellung vorbereitet.

Gerlingen. Dass in der Erde des Areals steinalte Siedlungsspuren schlummern, ist seit 100 Jahren bekannt. Bauern stießen hier immer wieder auf Knochen und Scherben. Als schließlich aus der Ackerfläche Bauland wurde, wollte das Landesdenkmalamt doch genauer hinsehen und sondierte knapp acht des insgesamt zwölf Hektar großen Geländes vor. Die ersten Ergebnisse waren so vielversprechend, dass eine Rettungsgrabung beschlossen wurde.

Diese läuft seit nunmehr sieben Monaten. „Die Befundlage ist außergewöhnlich und einzigartig“, schwärmt Archäologe Bollacher. Obwohl man mit vier Hektar erst bei der Hälfte der Fläche angelangt ist, wurden bereits rund 2000 Profile angelegt. Das bedeutet: Siedlungsspuren wurden dokumentiert und zentimetergenau kartiert. So zum Beispiel die Pfostengruben der Gebäude und die Langhäuser. 4000 Keramikfragmente und mehrere hundert Werkzeuge wie Äxte, Messer, Sicheln, Pfeilspitzen aus Stein und dem extrem scharfen Feuerstein wurden geborgen. Außerdem förderten die Ausgrabungen jede Menge Tierknochen und sogar ein weiteres komplett erhaltenes menschliches Skelett zutage. Es ist nunmehr das dritte in den vergangenen 50 Jahren.

Funde in herausragendem Zustand

„Wir stehen auf einer wissenschaftlichen Goldgrube, mit der niemand gerechnet hat“, erklärt Bollacher. Denn neben der außerordentlich großen Fläche sei der Erhaltungszustand der Funde in nur einem halben Meter Tiefe über die Jahrtausende hinweg herausragend erhalten. Ähnliches gebe es allenfalls noch bei Heilbronn-Kochendorf. Sonst sei ihm in Baden-Württemberg nichts Vergleichbares bekannt.

Es ist davon auszugehen, dass hier schon im 6. Jahrtausend vor Christus Menschen der mittleren Jungsteinzeit Ackerbau und Viehzucht betrieben. Zur Blütezeit könnten es zeitgleich fünf größere Gehöfte mit mehreren unterschiedlich genutzten Gebäuden gewesen sein, die von Großfamilien bewirtschaftet wurden, schätzt Bollacher. Das wären etwa 150 Menschen. Die Siedlungsdauer taxiert er über Generationen auf mehrere hundert Jahre. Der fruchtbare Lössboden ließ sie hier siedeln. Ursprünglich kamen sie aus dem vorderasiatischen und südosteuropäischen Raum.

Die Gerlinger Spezialfirma ArchaeoBW legte die Fundstellen sorgfältig frei, vermaß und fotografierte sie aus unterschiedlichen Perspektiven. Aus den Aufnahmen kann später ein dreidimensionales Modell rekonstruiert werden. „Wir begleiten die Arbeiten regelmäßig“, so Bollacher. Das Landesdenkmalamt versteht sich dabei als Mittler: Die Fremdfirma soll so gründlich wie nötig, für die Kommune aber so schnell und günstig wie möglich arbeiten.

Die Fundstücke werden vorsichtig gereinigt, getrocknet und katalogisiert, bevor sie im archäologischen Zentralarchiv Rastatt ausgewertet werden. Das wird Jahre dauern und ein ganzes interdisziplinäres Team mehrerer Universitäten beschäftigen. Mit der Auswertung wird das Tor in die Frühgeschichte etwas weiter aufgestoßen. „Wir können rekonstruieren, wie Arbeit und Zusammenleben organisiert und strukturiert waren, wie sich die Gruppe ernährte und wie sie wohnte, ob sie autark war oder ob sie kooperierte, welche Handelsnetze bestanden und noch vieles mehr“, hofft Bollacher, dass es damit der bedeutsamen Jungsteinzeit gelingt, etwas aus dem Schatten der Kelten im geschichtlichen Bewusstsein zu treten.

Ausstellung im Stadtmuseum

„Wir wollen die Ergebnisse der Öffentlichkeit aber zeitnah präsentieren und zugänglich machen“, betont der gebürtige Ludwigsburger und Fachgebietsleiter für archäologische Inventarisation beim Landesamt für Denkmalpfleger. Einen kleinen Vorgeschmack wird es ab Sonntag, 3. April, mit einer ersten grabungsbegleitenden Ausstellung im Gerlinger Stadtmuseum geben.

Dass die Rettungsgrabung in die Verlängerung geht, kostet, die Stadt auf dem Weg zur Großen Kreisstadt Geld. Denn sie muss die ganze Aktion ohne Zuschüsse bezahlen. Weitere 1,5 Millionen Euro sind nötig, so dass die Endsumme bei 2,2 Millionen Euro liegen dürfte. Auf die Erschließung des Baugebiets Bruhweg II soll sich die Verlängerung der Grabungsdauer allerdings nicht negativ auswirken. Bauleitplanverfahren und Umlegungsverfahren laufen parallel weiter. In den nächsten Jahren soll „Bruhweg II“ erneut aufgesiedelt werden. 700 Gerlinger sollen dort einmal wohnen, dazu wird Platz für Gewerbe geschaffen. Es ist das letzte große zusammenhängende Baugebiet in der Stadt zwischen der Ditzinger, der Siemens- und der Dieselstraße. Seit Jahren wird daran geplant.

Info: Von Sonntag, 3. April, bis 22. Januar zeigt das Stadtmuseum die Ausstellung „Leben in Gerlingen. 5000 Jahre vor Christus“ ab 11.15 Uhr in Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart. Am Dienstag, 19. April, ist ein Ferienworkshop für Kinder angesetzt. Anmeldung erforderlich unter Telefon (07156) 205-366 .