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Wie der Festivalsommer zerbröselt

Ungewohnte Bilder: Viele Musikfans tummeln sich im Schlosshof, um Musikern wie den Scorpions (links) oder Dieter Thomas Kuhn zu lauschen.Fotos: Oliver Bürkle (2), RamonaTheiss
Ungewohnte Bilder: Viele Musikfans tummeln sich im Schlosshof, um Musikern wie den Scorpions (links) oder Dieter Thomas Kuhn zu lauschen. Foto: Oliver Bürkle (2), RamonaTheiss
Ungewohnte Bilder: Viele Musikfans tummeln sich im Schlosshof, um Musikern wie den Scorpions (links) oder Dieter Thomas Kuhn zu lauschen.Fotos: Oliver Bürkle (2), RamonaTheiss
Ungewohnte Bilder: Viele Musikfans tummeln sich im Schlosshof, um Musikern wie den Scorpions (links) oder Dieter Thomas Kuhn zu lauschen. Foto: Oliver Bürkle (2), RamonaTheiss
Dieter Thomas Kuhn. Foto: Ramona Theiss
Dieter Thomas Kuhn. Foto: Ramona Theiss
Wegen der Coronapandemie dürfte es 2021 wieder kaum Großkonzerte unter freiem Himmel geben. Auch die KSK Music Open schrumpfen nach und nach zusammen. Die Branche steht erneut vor dem Dilemma, nicht zu früh absagen zu wollen – aber auch nicht zu spät.

Ludwigsburg. Sommerlich gekleidete Menschen, dicht an dicht unter freiem Himmel, ein Lied auf den Lippen, die Hände in der Luft: Kaum etwas wirkt derzeit so seltsam vertraut und doch so fern wie solche Bilder aus früheren Jahren, als Corona nicht mehr als eines von vielen Erfrischungsgetränken war. Nun aber ist ein Ende der kulturellen Durststrecke, so hoffen Künstler und Fans, in Sicht, Impfkampagne sei Dank. Allein: Der Festivalsommer 2021 ist wohl nicht mehr zu retten. „Natürlich haben wir lange noch Hoffnungen gehabt“, sagt Daniel Niedrich vom Veranstalter Eventstifter, der unter anderem die KSK Music Open im Hof des Ludwigsburger Schlosses sowie Live am Viadukt in Bietigheim-Bissingen, teils in Zusammenarbeit mit Musiccircus aus Stuttgart, verantwortet. „Aber die Perspektiven in diesem Jahr sind einfach nicht klar – jetzt ist es eben so, wie es ist.“

Niedrich und seine Kollegen beim Ludwigsburger Veranstalter sind bereits seit Wochen mittendrin in den komplexen programmatischen Umbauarbeiten, zwischen Verlegungen, Absagen und generell den Planungen für das nächste Jahr. Zuletzt wurden Fakten geschaffen: So wird das Konzert von Lionel Richie auf den 2.August 2022 verschoben, Revolverheld sollen vier Tage später spielen. Dieter Thomas Kuhn (30. Juli) und Alligatoah (31. Juli) wurden ersatzlos abgesagt. Bei den Konzerten von Avantasia und Sarah Connor gibt es noch keine offizielle Info – es braucht aber wenig Fantasie, um zu vermuten, dass auch aus diesen Konzerten nichts werden dürfte. Beim Bietigheimer Open-Air ein ähnliches Bild. Die Veranstaltung mit Wincent Weiss (24. Juni) ist abgesagt, die Tickets behalten aber ihre Gültigkeit für das Stuttgarter Konzert im Mai 2022. Der Hip-Hop-Abend mit den Lokalmatadoren Rin und Bausa wurde hingegen um ein Jahr verschoben.

Für dieses Jahr waren für die KSK Music Open rund 30000 Tickets im Verkauf, für Live am Viadukt über 13000, viele waren bereits an den Fan gebracht. Nun beginnt bei Eventstifter mit Blick auf die verschobenen Termine das große Bangen: „Wir hoffen, dass die Leute ihre Karten noch behalten, das wäre für uns extrem wichtig“, so Niedrich. Denn, auch wenn am Ende der Künstler entscheidet: Für den Veranstalter ist es immer besser, wenn ein Konzert eben nicht abgesagt, sondern verschoben wird – schließlich entfällt so in der Regel die aufwendige Rückabwicklung des gesamten Ticketverkaufs. Auch die Tausende Euro an Werbung, die in der Regel bereits geflossen sind, waren nicht umsonst. Außerdem bleibt das Geld erstmal im Topf. „Wir haben ja häufig bereits anderen Firmen einen Vorschuss für ihre Arbeit gezahlt, die wiederum Ausgaben hatten“, erklärt Daniel Niedrich. So gibt es einen wirtschaftlichen Dominoeffekt.

Hinzu kommt für die Veranstalter das alte Problem, ja Dilemma: Zu früh abzusagen wäre leichtfertig, weil man nicht weiß, was kommt – zu spät wird es möglicherweise erst recht teuer, weil die Dienstleister rund um das Event dann bereits mit ihrer Arbeit begonnen haben. Zudem ist man vertraglich gebunden, weshalb die Entscheidung bei Festivals wie den KSK Music Open oder Live am Viadukt, an denen tageweise Konzerte stattfinden, in der Regel nie für alle Künstler gleichzeitig getroffen werden kann. So kommen die Terminänderungen nach und nach, weil einzelne Gespräche geführt werden müssen. „Es ist entscheidend, dass sich die Vertragsparteien einig sind“, betont Niedrich. Denn bei einseitiger Kündigung drohten Schadensersatzforderungen. Mal abgesehen davon, dass die Künstler meist bereits eine mitunter stattliche Anzahlung erhalten haben. Bei einer Verschiebung behalten sie diese wiederum erstmal.

Seitens der Politik gebe es keine klaren Ansagen, scheibchenweise und oft kurzfristig würden neue Entscheidungen getroffen, so der Veranstalter mit Blick auf die derzeitigen Perspektiven. „Wir können nicht bis Juli warten und dann doch noch absagen.“ Zumal die Wirtschaftlichkeit gegeben sein muss. Mit nur 500 Zuschauern statt bis zu 10000 würde sich keines der Konzerte im Schlosshof auch nur annähernd rechnen. Aber wo liegt die kritische Grenze für Eventstifter? Das könne man so einfach nicht sagen, erklärt Daniel Niedrich, das komme immer auf den betriebenen Aufwand etwa bei Bühne und Personal an. Zwischen 50 und 90 Prozent Auslastung brauche es aber. Alternativprogramme mit weniger Zuschauern seien lieb und nett, aber: „Für die freie Veranstaltungswirtschaft müssen Normalbedingungen her, damit es sich rechnet.“

Die Jazz Open Stuttgart haben derweil Mitte April die Flucht nach vorne angetreten, um mit möglichst wenig Umplanungen auszukommen. Das Sommerprogramm 2021 wurde fast vollständig um ein Jahr verschoben – gleichzeitig zog man eine zusätzliche Herbstausgabe mit neuem Line-up als Trumpf aus dem Ärmel. „Wir haben umfangreich recherchiert“, erklärte Jürgen Schlensog vom Veranstalter Opus Schlensog, „und alle Informationen, die wir von der Politik und aus der Wissenschaft bekommen konnten, in unsere Überlegungen miteinbezogen.“ Ein Festival im September sei realistisch, zumal sich die vielen Tausend Zuschauer auf verschiedene Bühnen und zehn Tage verteilten. „Wir wollten nicht einfach absagen, sondern einen Weg finden zu spielen.“ Ob das Festival dann so stattfinden kann, steht noch in den Sternen, denn derzeit ist nur eines klar: je später, desto besser.

Für die Eventstifter ist das keine Option. Der Veranstalter baut auf 2022. „Ich gehe nächstes Jahr von einer normalen Saison aus“, sagt Daniel Niedrich. Auch mit Vorrechten für Geimpfte und Getestete habe man sich nicht ernsthaft beschäftigt. „Das würde zu einer Zweiklassengesellschaft führen“, erklärt er. Außerdem seien großflächiges Tests logistisch und wirtschaftlich schwierig – mal abgesehen von der Frage, ob die Ergebnisse immer richtig sind. Zu viele unbekannte Faktoren, um die Saison 2021 doch durchzuziehen. „Das hätte man frühzeitig planen müssen, und die Künstler hätten mitmachen müssen.“

Für die Zeit nach Corona fordert Daniel Niedrich auch eine gute Portion Solidarität von der Gesellschaft gegenüber jenen, die den Kopf hinhalten mussten, wie er sagt. „Künstler und Veranstalter müssen ihre Einbußen kompensieren, um bestehen zu können – da kann es auch mal etwas lauter werden.“ Will auch heißen: Nicht gleich das Ordnungsamt anrufen, wenn abends im Schlosshof vor lauter Freude die Musik mal etwas länger spielt.