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Wie Hegel nach Großbottwar kam

Erhard Korn.Foto: Alfred Denzinger
Erhard Korn. Foto: Alfred Denzinger
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Kaum ein lokalpatriotischer Schwabe kennt diesen Spruch nicht: „Der Schiller und der Hegel,/der Uhland und der Hauff, /das ist bei uns die Regel, /das fällt hier gar nicht auf.“ Erhard Korn, Steinheimer Rektor im Ruhestand, ist doch etwas aufgefallen: Hegels Wurzeln reichen nämlich nach Großbottwar und die Vorfahren des großen Philosophen waren Zugewanderte.

Großbottwar/Steinheim. Den Spruch, der ein bisschen klingt wie der Vorgänger von „Wir können alles außer Hochdeutsch“, reimte 1897 der Stuttgarter Kunsthistoriker Eduard Paulus und er lautet ursprünglich „Der Schelling und der Hegel...“, wird seither aber immer wieder ein bisschen variiert. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der in Stuttgart geborene Philosoph und Vertreter des deutschen Idealismus, fehlt allerdings nie, schon damit es sich auf „Regel“ reimt.

Im vergangenen Jahr hat die (philosophische) Welt Hegels 250. Geburtstag gefeiert, „mit vielen tiefgründigen Vorträgen“, erinnert sich Erhard Korn. Der langjährige Rektor der Steineimer Blankensteinschule, der jetzt im Ruhestand Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg ist, hat nicht nur einige davon gehört, sondern bei der Gelegenheit auch in Hegel-Biografien geblättert.

Dabei ist ihm zweierlei aufgefallen: Die Wurzeln der Pfarrers- und Beamtendynastie Hegel reichen nach Großbottwar. Und: Der Stammvater der Familie, Georg Hegel, war ins Bottwartal geflüchtet, um der religiösen Verfolgung durch die Gegenreformation der erz- katholischen österreichischen Kaiser zu entgehen.

„Hegel war gar kein originärer Schwabe, er hatte Migrationshintergrund und seine Vorfahren waren religiös Verfolgte“, sagt Korn, und wenn er das sagt, meint man, ein feines Schmunzeln herauszuhören. Auf diese Tatsache gelegentlich hinzuweisen, sei im konservativen Schwaben und im pietistischen Großbottwar vielleicht gar nicht so verkehrt, meint Korn.

Jedenfalls hat er ein wenig zur Familiengeschichte der Hegels recherchiert, seine unterhaltsamen Erkenntnisse aufgeschrieben und unserer Zeitung zur Verfügung gestellt. Eine Fundgrube war dabei auch ein Marbacher Magazin über Hegel aus dem Jahr 1991.

„Zum Abschluss des Hegeljahrs soll noch an die regionalen Wurzeln des großen Philosophen erinnert werden, der vor 250 Jahren in Stuttgart geboren wurde“, schreibt Korn. Nicht nur hängt das Epitaph – eine Grabinschrift – des Urgroßvaters in der Stadtkirche Winnenden, der dort von 1684 bis 1712 Stadtpfarrer war, nein, es gibt noch eine Verbindung: Schiller ist von einem Pfarrer Hegel getauft worden.

Hegels Vorfahr, jener Georg, der etwa von 1550 bis 1608 gelebt hat, kam „aus Kärndten nach Grossen Bottwar“ als ein „Exilunt“ steht in der Familienchronik: „Er wollte „Haab und Gut viel lieber missen, als in dem Pabsttum sich hinführo wissen.“ In Großbottwar zeugte er mit seiner Frau Anna sechs Kinder.

Erhard Korn ist bei seiner Recherche noch auf andere Details gestoßen. Er schreibt: Die digitale evangelische Kirchenchronik nennt ihn (Georg Hegel) Kannengießer und Bürgermeister von Großbottwar. Sein Sohn Johannes Hegel (oder Högel) wird am 9.2.1576 in Großbottwar geboren, studiert in Tübingen Theologie, wird Pfarrer in Großbottwar und stirbt am 5.12.1641 in Eningen unter Achalm.

Auch der große Philosoph sollte auf Wunsch seiner Eltern evangelischer Pfarrer werden, doch stieß ihn das Einpauken von christlichen Dogmen offenbar ab. Er diskutierte mit seinen Freunden die kritischen Ideen Spinozas, Kants und der Französischen Revolution, auf die er am 14. Juli auch im Alter mit einem Glas Wein anstieß.

Da er zudem ein wenig mitreißender Prediger war, wurde er zunächst Hauslehrer in Bern und Frankfurt und beschloss dann, wie er in einem Lebenslauf schreibt, „mich ganz der philosophischen Wissenschaft zu widmen“. Mit seinem berühmten Nachfahr verbindet den Großbottwarer Kannengießer und „Genusstrinker“ Georg auch seine Liebe zum Wein, denn auch der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel fiel schon während seines Studiums in Tübingen weniger durch Genialität als durch seine Trinkfreude auf, was seine Chancen bei den angehimmelten jungen Damen nicht verbesserte. Dafür nahm ihn Hölderlin mit zu Wanderungen zur Wurmlinger Kapelle.

„Man fand an ihm damals nichts besonders Geistreiches heraus. Seine Jugendbekannten in Schwaben waren erstaunt, als er sie später mit seinem Ruhm überraschte. Das hätten wir, hieß es, vom Hegel nimmer gedacht!“ schrieb ein Zeitgenosse.

Als Wunderkinder galten eher Hegels Studienfreunde Schelling und Hölderlin. Auch seine Lehrer an der Tübinger Universität lagen mit ihrer Beurteilung daneben, lobten zwar seine guten Anlagen, kritisierten aber mäßigen Fleiß und nannten ihn einen „Idioten in der Philosophie“.

Unzufrieden waren sie auch mit seiner Sprechweise, was durchaus daran gelegen haben kann, dass Hegel sich nur schwer vom Großbottwarer Dialekt löste, sein Leben lang schwäbelte und sich mit dem Hochdeutschen lange schwertat. Mit dem Wort „ebbes“ konnten die Berliner Studenten nichts anfangen.

Das Anstoßen mit Weingläsern erklärte Hegel übrigens so: „Im Wein ist Wahrheit, und mit der Wahrheit stößt man überall an.“

Und Erhard Korn zieht ein Fazit: „Darüber muss man, wie immer bei Hegel, zweimal nachdenken – es liegt schon viel Hintersinnig-Schwäbisches in seinem Denken.“ Und er schließt: Auf Hegel anstoßen könne man übrigens inzwischen mit einem „Hegel Kabinett“ – der allerdings nicht am Harzberg und nicht am Wunnenstein wächst, sondern im Remstal. Die rote Rebsorte Hegel, eine Kreuzung aus der Heroldrebe und der Helfensteiner Rebe, entstand 1955 an der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt in Weinsberg. Namensgeber war tatsächlich der Philosoph.

Bei einem Hegel Kabinett könnte man auch darüber philosophieren, was zuerst da war: Hegels Satz „Alle Dinge sind an sich selbst widersprechend“ oder die schwäbische Art der Dialektik des „So isch no au wieder“.