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Tierschutz
„Wir müssen lernen, mit den Tauben zu leben“

Sarah
Ratten der Lüfte, lästige Viecher: Tauben haben kein gutes Image. Für einen besseren Umgang mit den Wildvögeln kämpft die Ludwigsburgerin Sarah Böhmler. Deshalb will sie sich für betreute Taubenschläge in der Stadt einsetzen. „Wir müssen lernen, mit den Tauben zu leben“, sagt die 34-Jährige.

Ludwigsburg. „Die Hungersnot treibt die Tauben so nah an den Menschen. Sie verlieren ihre Scheu auf der Suche nach Pommesresten zwischen den Pflastersteinen“, sagt Sarah Böhmler. Die Ludwigsburgerin hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Wildvögeln zu helfen. Sie will Stadtbewohner dafür sensibilisieren, warum es überhaupt das Problem mit den vermeintlichen Viechern gibt. „Der Mensch ist schuld daran.“


Nach Hochzeiten zurückgelassen


Nicht immer seien es Wildtiere, die einem über den Weg laufen. „Wir haben auch viele Brieftauben“, sagt Böhmler. Die erkenne man an der bunten Fußberingung. „Sie rasten und suchen zur Stärkung nach Essensresten.“ Oder ihnen gefalle die Geselligkeit anderer Tauben so sehr, dass sie sich einer Gruppe anschließen. Und wer denkt, Tauben gebe es nur in der Innenstadt, der täuscht sich. Vor allem im Sommer tauchen immer wieder am Monrepos oder am Schloss welche auf, erzählt die 34-Jährige. Jene weißen Exemplare mit kitschigen, hochgestellten Schwänzen. Der Grund: Hochzeiten. „Paare zahlen vielleicht 60 Euro pro Taubenpaar und die Anbieter lassen die dann in die Luft.“ Nach dem Event wieder eingesammelt werden die Tiere nicht immer. Das sei einigen Züchtern zu aufwendig. „Dabei sind das Tauben, die gewöhnt sind, gefüttert zu werden mit Körnern.“ Das Schicksal dieser Tiere endet jämmerlich.


Wildvögelfreunde im Austausch


Sarah Böhmler versucht, solche Tauben einzufangen. Auch wenn es manchmal tagelang dauert. „Die kommen dann in einen betreuten Schlag, die kann man nicht auswildern.“ Über das Internet tauscht sie sich mit anderen Wildvögelfreunden aus und sucht so eine neue Heimat für die Tauben. Bei sich zu Hause hat sie selbst auch gefiederte Tiere. Derzeit sind es sechs Wellensittiche und zwei Amazonen. „Es ist eine Patchwork-Familie aus schlechter Tierhaltung und halb tot aufgefundenen Vögeln“, erzählt sie. Immer mal wieder hütet sie auch Tauben daheim. „Ich habe schon oft Tauben gefunden, denen es nicht gut geht, und nahm sie mit.“ Schon als Jugendliche kümmerte sie sich um gefiederte Tiere, sie ist mit Hühnern aufgewachsen. „Ich bin einfach sehr vogellieb.“ Mit dem Führerschein hat sich ihr Einsatz verstärkt. „Ich fahre jetzt oft mit verletzten Tauben zum Tierarzt.“
Damit ist sie nicht alleine. Im Internet gibt es zum Beispiel viele Gruppen auf Facebook, die sich für Wildvögel einsetzen. „Es gibt sehr viele engagierte Leute. Deutschlandweit ist einiges los.“ So hat die 34-Jährige auch Kontakt zu dem Verein Stadttauben Stuttgart hergestellt. In der Landeshauptstadt gibt es betreute Taubenschläge und sogar zwei Taubenwarte. Das wünscht sich Sarah Böhmler auch für Ludwigsburg. Deshalb versucht sie derzeit, eine Gruppe engagierter Taubenfreunde um sich zu scharen, um das Projekt anzugehen.
Einen Schritt in Richtung erster betreuter Taubenschlag in Ludwigsburg hat Sarah Böhmler schon getan. Sie steht in Kontakt mit Ikea. Die Ludwigsburgerin arbeitet als Prozess- und Qualitätsmanagerin in der Nähe des Einrichtungshauses und nutzte jede Mittagspause, um die vielen Tauben, die bei Ikea leben, zu füttern. „Bewusst weit weg vom Kundenparkplatz“, wie sie betont. „Die Tauben haben jedes Mal schon auf mich gewartet.“ Bis sie von Ikea ein Hausverbot erteilt bekam. „Das konnte ich nicht auf mir sitzenlassen und suchte das Gespräch.“ So kam der Austausch zustande. Denn wie sich herausstellte, sucht das Möbelhaus seit langem nach einer Lösung für das Taubenproblem. Um die 60 Paare und Jungvögel leben dort. Die Idee eines betreuten Taubenschlags sei dort gut aufgenommen worden und man denke darüber nach, erzählt die 34-Jährige.
Die Vorteile solcher Orte liegen auf der Hand, sagt sie. Die Tauben wüssten, dass sie dort Futter bekämen und würden somit nicht auf Futtersuche gehen. Zudem tausche man deren Eier gegen unechte aus, so dass sich die Population reguliere. Für die Ludwigsburgerin steht fest: Gewaltsam kommt man gegen das Taubenproblem nicht an. Ein Problem, durch den Menschen verursacht. „Früher hielten sich viele Leute Tauben als Nahrung. Als dies überflüssig wurde, gaben viele ihren Schlag auf. Hinzu kamen nicht mehr benötigte Brieftauben.“ Auf der Straße vermehrten sich die Wildvögel. Sie bevölkern belebte Plätze und suchen nach Essen. Der Durchfallkot komme schließlich von Essensresten, die sie finden, erklärt Böhmler.
„Viele finden Tauben einfach nur hässlich.“ Dabei würden die Vögel – anders als viele denken – nicht mehr Bakterien als Hund oder Katze übertragen, sagt die junge Frau. „Sie werden nicht mehr offiziell als Schädlinge aufgelistet. Trotzdem gelten in Städten noch immer Fütterungsverbote.“ Wer besonders gut an der Verdrängung der Taube verdiene, sei die Industrie. „Jede Menge Spikes und Gitter werden verkauft. Dabei sind die auch für andere Vögel gefährlich“, sagt Böhmler. Sie appelliert, nicht blind an die Sache heranzugehen. „Wir müssen lernen, mit den Tauben zu leben.“

 

Fast nirgends im Kreis haben Tauben ein Zuhause

Auch in Ludwigsburg stellen verwilderte Haustauben ein Problem dar. Schwerpunkt ist der Marktplatz, teilt die Stadt auf Nachfrage mit. Aber auch Bewohner des Marstalls haben laut eigener Aussage mit Taubenkot zu kämpfen.

  • In der Vergangenheit gab es immer wieder Ärger mit Tauben. So sollten große Netze bei der Bahnunterführung an der August-Bebel-Straße in Eglosheim und am Schillerdurchlass am Bahnhof verhindern, dass dort Tauben nisten. 2012 hatte ein defektes Netz zum Tod von Vögeln geführt, die sich darin verhedderten. Einen weiteren Aufreger gab es 2013, als eine Reinigungsfirma im Auftrag der Bahn die Unterführung in Eglosheim säuberte. Durch die Hochdruckreiniger wurden Taubenküken getötet, die in den Beton-Nischen waren.
  • Füttern verboten: In Ludwigsburg ist Taubenfüttern verboten. Sofern Leute dabei erwischt werden, werden sie zunächst belehrt, so die Stadtverwaltung. Die Stadt hat bisher kein Bußgeld wegen Taubenfütterung verhängt. Dieses würde in Anlehnung an die Verfahrensweise der Stadt Stuttgart 50  Euro betragen. Das Füttern ist laut Verwaltung verboten, weil die Verknappung des Nahrungsangebotes die einzige Möglichkeit ist, den Bestand in Grenzen zu halten.
  • Kein Taubenschlag: Taubenschläge wurden in Ludwigsburg zwar einmal vor Jahrzehnten eingerichtet, aber für wenig tauglich befunden, erklärt die Stadtverwaltung weiter. Grundsätzlich sei jedes systematische Eingreifen in den Taubenbestand mit erheblichem Aufwand verbunden. Nicht unbeachtet bleiben darf laut Verwaltung auch die Gesundheitsgefahr der Menschen, die die Taubenschläge regelmäßig vom Taubenkot befreien. Es ist auch laut Verwaltung erfahrungsgemäß häufig unmöglich, Alttauben umzusiedeln. Es müsste von vornherein mit einer Umstellungsperiode von mehreren Jahren gerechnet werden. Zudem würden Tauben die Schläge kaum annehmen, wenn es nicht gelinge, das unkontrollierte Nahrungsangebot einzuschränken. „Wir haben uns eingehend mit der Problematik befasst und sind der Auffassung, dass die Errichtung von Taubenschlägen keine geeignete Lösung ist“, heißt es aus dem Rathaus. Zudem läge eine der größten Schwierigkeiten darin, geeignete Standorte zu finden. Die Akzeptanz der Anwohner wäre gering, weil mit Verunreinigungen durch Kot und mit lauten Geräuschen zu rechnen sei.
  • Taubenhäuser im Kreis: Im Kreis Ludwigsburg gibt es wenige kontrollierte Taubenschläge. Ditzingen hat 2014 einen Taubenschlag am Fuchsbau errichtet. 2017 wurde eine zweite Heimat in Form eines Taubenturms an der Hirschlander Straße geschaffen. Friedrich Link, Ortsvorsteher von Winzerhausen, hat 2015 ein Taubenhaus in einem Privatgarten organisiert. In Kornwestheim wurde 2003 im Haldenrain ein Taubenhaus aufgestellt. Konkret ging es darum, die Tauben von der Gumpenbachbrücke wegzulocken. Das funktionierte, so dass das Haus 2010 abgebaut wurde. Auch Bönnigheim hatte mal ein Taubenhaus aufgestellt, jedoch nie in Betrieb genommen. Für den Bauhof sei es zu aufwendig gewesen. In Stuttgart gibt es bereits zehn betreute Taubenschläge.