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„Wir nehmen den Klimawandel sehr ernst“

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Ludwigsburg. Frau Kern, das Grünen-Wahlprogramm fordert die rechtzeitige Umstellung auf alternative Antriebe. Was ist rechtzeitig?

Catherine Kern: Wir haben beschlossen, dass wir bis 2030 die Produktion von Verbrennungsmotoren befürworten und ab 2030 wollen wir das nicht mehr. Wer 2029 einen Verbrennungsmotor anmeldet, kann das Ding noch 21 Jahre fahren. Wenn wir das Pariser Abkommen weiter verfolgen wollen, müssen wir 80 Prozent weniger CO ab 2050 produzieren. Wir nehmen den Klimawandel sehr ernst und sind die letzte Generation, die etwas dagegen unternehmen kann.

 

Wäre es nicht sinnvoll, alle Antriebe zu verbieten, die Schadstoffe produzieren?

Wenn wir über Verbrennungsmotoren sprechen, meinen wir Motoren, die mit fossilen Brennstoffen unterwegs sind. Wir wollen Technologien wie Wasserstoff oder andere abgasfreie Motoren auch unterstützen. Wir möchten auch, dass sich die Elektromobilität vermehrt. Im Moment ist sie aber ein Rohrkrepierer, vor allem das, was Angela Merkel da mit ihrer Großen Koalition beschlossen hat. Die Leute kaufen keine Elektroautos, ich habe seit vier Jahren eines und weiß, warum das nicht funktioniert. Es gibt keine Gewissheit, dass ich überall mein Auto aufladen kann. Wir brauchen flächendeckend Stationen, die schnell laden. Eine 20-minütige Pause ist vertretbar.

 

Ist es wirklich Aufgabe des Staates, umweltfreundliche Autos zu fördern?

Nicht nur. Auch die Autoindustrie muss endlich ihre Verantwortung wahrnehmen. Ein Teil hat mit krimineller Energie gearbeitet und europäisches Recht gebrochen. Die deutsche Autoindustrie ist verantwortlich für abertausende Arbeitsplätze, für Gewerbesteuer und damit Lebensqualität. Selbst die Chinesen haben beschlossen, dass zehn Prozent der Lieferungen in ihr Land Elektro sein muss. Unsere Autoindustrie ist ein Exportschlager, wir wollen, dass sie überlebt, aber mit einer Mobilität, mit der auch unser Klima leben kann.

 

Wie stark soll der Staat den Verbraucher zu einem Verhaltenswechsel bringen?

Der Staat sollte die Infrastruktur für Elektroautos schaffen. Auf europäischer Ebene hat man diesen Monat versucht, ein Förderprogramm für den Bau von Ladestationen aufzulegen. Aber die CDU hat dagegen gestimmt. Die 6000 Euro, die Cem Özdemir in Aussicht gestellt hat für den Kauf eines Elektroautos – mal sehen. 6000 Euro mal eine Million Elektroautos macht sechs Milliarden. Ich glaube, der ÖPNV würde sich auch sehr freuen, wenn er von diesem Geld etwas bekommen würde. Wir sollten also nochmals überlegen, ob es sinnvoll ist, sechs Milliarden allein in Elektromobilität zu stecken oder das Geld mit dem ÖPNV und Carsharing-Projekten zu teilen. ÖPNV ist für alle und nicht nur für die, die sich ein Elektroauto leisten können.

 

Wie schnell soll die Dieselsubventionierung fallen?

Ich könnte mir dazu eine Legislaturperiode vorstellen. Aber man kann das nicht von heute auf morgen machen, viele Leute haben dies in ihren Einkommensüberlegungen drin. Auch die Pendlerpauschale fördert Staus, wollen wir uns davon verabschieden, müssen wir aber in den ÖPNV und in Elektromobilität investieren. Außerdem sollten wir die Lkw-Maut auf alle Straßen flächendeckend ausweiten und eine Kerosinsteuer einführen. Flüge dürfen nicht billiger als eine Bahnfahrt sein.

 

Löst die Blaue Plakette die Luftprobleme?

Besser als Verbote ist sie. Dann ist ersichtlich, welche Art von Auto unterwegs ist. Und sie ist auch ein Zeichen, dass das Auto nach geltendem Recht fährt. Wir wollen diesen Weg gehen, Verkehrsminister Dobrindt will das nicht. Er spricht von Fahrverboten.

 

Stadtbahn Ludwigsburg und Bottwartalbahn allein kosten dreistellige Millionenbeträge. Da ist die Milliarde, die die Grünen bundesweit für den ÖPNV fordern, doch ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Schiene wurde sehr lange vernachlässigt. Minister Dobrindt setzt leider auf Straßenbau. Es ist eine Mammutaufgabe, die Perspektive mehr in Richtung Schienenverkehr zu ändern. Aber irgendwann muss man anfangen. Wir brauchen die Bottwartalbahn, die Schozachtalbahn und die Zabergäubahn, das hängt alles miteinander zusammen. Dafür brauchen wir Bundesgeld. Für die Kommunen ist die vorgegebene 20 Prozent-Finanzierung eine Herkulesaufgabe, aber um eine Gemeinde attraktiv zu halten, muss in diese Richtung gegangen werden. Bei Stuttgart 21 kratzen wir sicherlich irgendwann an den zehn Milliarden. Warum gibt man dieses viele Geld für ein einziges Projekt aus, obwohl es in der Fläche benötigt würde? Überhaupt hat die Deutsche Bahn zu viel Macht. Wir brauchen eine Trennung von Verkehr und Trasse, die Bahn verlangt dafür hohe Preise, was dazu führt, dass private Schienenanbieter Schwierigkeiten haben und schlimmstenfalls in die Insolvenz geraten.

 

Teure Tickets, unübersichtliche Tarife: Warum gibt es keine vernünftige Lösung?

Wir haben in Baden-Württemberg 22 Verbünde, das sind Fürstentümer. Keines will irgendetwas hergeben. Gespräche laufen schon länger, Verkehrsminister Hermann ist da gut unterwegs. Neue Strukturen zu bauen ist aber schwierig. Da menschelt’s. Wir wollen einen Mobilpass für ganz Deutschland einführen. In London gibt es beispielsweise die Qyster-Card, die man immer wieder aufladen kann und die immer den Bestpreis ausgibt. Unsere Automaten sind viel zu kompliziert, besonders für ältere Menschen und diejenigen, die selten Bahn fahren. Man versteht nur Bahnhof am Bahnhof.

 

Und dann ist da ja auch noch der Föderalismus, da reden noch mehr Leute mit.

Gott sei Dank. Als Deutsch-Britin sehe ich das so. Wenn wir in Großbritannien den Föderalismus hätten, wäre vielleicht der Brexit gar nicht gekommen.