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Zwei Welten finden sich

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Der Schock saß tief: „Die denken, Kakao kommt aus braunen Kühen, die wissen echt nicht mal, dass Putenfleisch von Vögeln kommt“, war die erschreckende Erkenntnis der landwirtschaftlichen Meisterschüler, als sie im Rahmen des Lernblocks ‚Öffentlichkeitsarbeit‘ zur Verbraucherbefragung auf die Straße geschickt worden waren. Seitdem haben die Junglandwirte eingesehen, dass Aufklärung über ihre Arbeit als Erzeuger von Lebensmitteln Not tut und gehen die Sache an.

Aktuellstes Projekt: Erstellen eines pädagogischen Hofrundgangs für Schüler. Damit das Ganze auch didaktisch Hand und Fuß hat, holte die Fachdozentin Ramona Reinke von der Akademie für Landbau und Hauswirtschaft Kupferzell (ALH) die Pädagogische Hochschule (PH) Ludwigsburg mit ins Boot: In einem gemeinsamen Seminar entwickeln Studierende der PH mit den Junglandwirten das Material für die schulische Vor- und Nachbereitung der Hoferkundung. Die Schüler sollen danach selbst imstande sein, sich ein Urteil zu bilden und zum Beispiel Kaufentscheidungen zu treffen. In diesem Projekt treffen Land und Stadt, Praxis und Theorie, Pragmatismus und Idealismus aufeinander. Und Frauen auf Männer. Denn während die angehenden Lehrkräfte zu 90 Prozent weiblich sind, haben die 19 Landwirtschaftsgesellen lediglich zwei Frauen in ihren Reihen. „Das war ein ungewohntes Bild: So viele Männer!“, erinnert sich Studentin Katharina an das erste Zusammentreffen an der PH. „Und dann dieser meeegabreite Dialekt…“. Die Landwirte, in deren Akademie in Kupferzell bei Schwäbisch Hall gerade mal 90 Schüler studieren, waren dagegen von der Hochschule beeindruckt: „So viele Menschen! Und die riesige Mensa: zehn Gerichte zur Auswahl,“ stellt Peter fest. Zum Kennenlernen hält jeder eine kurze Präsentation zu seinem Fach. Fragen werden geklärt: „Also: ‚Schlepper‘ – ist das nun ein Synonym für Traktor?“ – „I weiß zwar net, was ein ‚Synonym‘ isch, aber: ja, des isch’s Gleiche.“ Bei allem Spaß bekommt man bald Achtung vor der umfangreichen Sachkenntnis der anderen. Dass seine neun Seminarteilnehmer – davon immerhin zwei Männer – motiviert seien, stellt PH-Professor Steffen Schaal fest, erkenne man schon an der Tatsache, dass sie sich für dieses Seminar am Freitagnachmittag angemeldet hätten. Und „meine Studenten haben das sehr genossen: diese Unmittelbarkeit, die Ehrlichkeit der jungen Landwirte.“ ALH-Dozentin Reinke erklärt: „Das sind junge Leute, die haben zu Hause einen Betrieb. Auf dem müssen die nach der Schule noch arbeiten.“ Diese Arbeit lernen die zukünftigen Lehrer auf dem Putenmastbetrieb von Meisterschüler Peter Magenau in Sulzbach an der Murr kennen. Nachdem in den letzten beiden Jahren Rind und Schwein dran waren, wagt man sich heuer an einen Produktionszweig, der als Massentierhaltung häufig öffentlicher Kritik ausgesetzt ist. In hygienische Einweg-Overalls gepackt betreten die Projektteilnehmer vorsichtig die Halle: Schlagartig verstummt das zufriedene Gurren und dann drängeln sich plötzlich Tausende Vögel neugierig um die unerwarteten Gäste. Hinten im Stall: gähnende Leere. Gesund und proper sehen sie aus und „naseweis sind die“, erklärt der Junglandwirt. Deshalb sei neben bedarfsgerechter Fütterung und Haltung auch Beschäftigung wichtig, zum Beispiel mit einem Heuballen zum Zupfen, bunten Kunststoffdeckeln, Kanister mit Zugschnur. Der Phantasie ist nur eine Grenze gesetzt: Für die Tiere darf es nicht gefährlich sein. Um die ‚Storming-Phase‘ der Gruppe abzukürzen, werden jetzt gemischte Arbeitsgruppen gebildet: Zu den Themen ‚Betrieb‘, ‚Haltung‘, ‚Beobachtung‘ und ‚Fütterung‘ sollen gemeinsam Stationen und Aufgaben überlegt werden. Nach der interessanten Betriebsbegehung sprühen die Ideen. „Aber verzettelt euch nicht“, ist der Tipp von Andrea Bleher, die seit Jahren beim Bauernverband das Thema ‚Klassenzimmer Bauernhof‘ betreut, „in 3,5 Stunden muss die Schulklasse durch sein“. In der rustikalen Zehntscheuer der Kupferzeller Akademie findet die Ausarbeitung statt. Längst haben die so verschiedenen jungen Leute zusammengefunden, arbeiten konstruktiv miteinander. „Ich hatte da nicht so hohe Erwartungen“, meint etwa Studentin Lisa-Marie, „ich bin ehrlich positiv überrascht!“, und auch Landwirt Peter muss zugeben: „die sin besser zum brauche als befürchtet.“ Und dann der Clou: Statt vom Bauern selbst sollen die Kids zeitgemäß per Smartphone-App von Station zu Station geführt werden. Eine digitale Schnitzeljagd sozusagen. Steffen Schaal erklärt, wie diese mit der App ‚Actionbound‘ zu erstellen ist. Peter: „Den Text muss dann aber en Student druffschwätzä.“ – „Wieso?“ – „Wegerm Hochdeutsch.“ Am 20. Januar findet die Bewährungsprobe statt: Dann kommt eine Realschulklasse aus Schwäbisch Hall auf Magenaus Putenbetrieb.