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72 Stunden ohne Schlaf

Markus Rösler (mit roter Mütze, hinten rechts) mit Gästen aus Polen und Süddeutschland an der Berliner Mauer. Foto: privat
Markus Rösler (mit roter Mütze, hinten rechts) mit Gästen aus Polen und Süddeutschland an der Berliner Mauer. Foto: privat
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Markus Rösler hat den Mauerfall in Berlin hautnah miterlebt

Vaihingen. Am 9..November 1989 sitzt Markus Rösler in seiner West-Berliner Studentenbude in der Düsseldorfer Straße und hört Radio. „Es lag etwas in der Luft“, erinnert sich der heutige Grünen-Landtagsabgeordnete aus Vaihingen an die Tage, als die Mauer fiel. Noch am Tag davor war er samt Zwangsumtausch in Ost-Berlin gewesen zu einer Recherche für sein Buch „Naturschutz in der DDR“. Am Abend des 9.. November sagte das damalige SED-Politbüromitglied, Günter Schabowski,  die legendären Sätze, die die Welt veränderten. Dass die DDR-Bürger ausreisen dürften – „meines Wissens nach gilt das ab sofort“, schob Schabowski noch nach und elektrisierte damit auch Rösler, der schon 1988 als einer der ersten von 15 Nachwuchswissenschaftlern aus dem Westen in der DDR forschen durften. „An der Bornholmer Straße passiert was, die Leute kommen ohne Visum rüber“, ging es wie ein Lauffeuer durch die Stadt. „Die Mauer ist offen“, rief Rösler seinen Mitbewohnern zu . „Also haben wir uns zu dritt unsere Fahrräder geschnappt und sind Richtung Brandenburger Tor gefahren“, erinnert er sich an den Beginn eines dreitägigen Abenteuers, das Rösler mit Tagebuch und Kamera festgehalten hat.

„Das war eine ganz eigenartige Stimmung“, denkt er an den Weg durch den Tiergarten Richtung Straße des 17..Juni und Brandenburger Tor zurück. „Hunderte, Tausende Leute waren alle in eine Richtung unterwegs, ruhig, haben gewispert.“ Als er an der Grenze ankommt, verschlägt es ihm die Sprache: „Auf der Mauer steppt der Bär. Hunderte Menschen tanzen auf der Trennlinie des Kalten Krieges, sie lagen sich in den Armen und feierten.“ Mit seinem Rad fuhr der damals 27-Jährige in Richtung Wedding. Am Grenzübergang Moabit war ein unglaubliches Gedränge. „Zwei Menschenschwälle aus Ost und West trafen da aufeinander.“ Deshalb stellte er sein Rad ab, kämpfte sich zuerst Meter für Meter zu Fuß vor. Nach einer halben Stunde traf Rösler auf der anderen Seite einen DDR-Grenzoffizier, der „völlig überfordert, aber ungewöhnlicherweise höchst freundlich“ war. „Die hatten ja alle keine Direktive von ganz oben, wussten nicht wirklich, was sie tun durften.“

Es waren Tage voller Emotionen. Etwa als Rösler noch in der ersten Nacht auf die andere Seite des Brandenburger Tores radelte. „Der Platz davor war von der NVA schon wieder ordentlich preußisch-deutsch geräumt worden“, die Soldaten hatten eine Kette gebildet, während die Bürger auf der Mauer feierten. Diese Szene wird Rösler nie vergessen, als eine ältere Dame die Grenzer auf Knien anflehte, dass man sie durchlässt. Schließlich nimmt ein Offizier sie an der Hand und läuft mit ihr zum Brandenburger Tor. „Da stand sie dann, ganz alleine auf diesem riesigen Platz.“ Es sei ein anrührender Moment in dieser historischen Nacht gewesen. „Ein Stück Menschlichkeit hinter grauen Uniformen.“

Gemeinsam mit seinen zwei Kommilitonen fährt Rösler weiter zum Checkpoint Charly. „Mir welled wiedr zrück“, sagte er dem verdutzten US-amerikanischen Offizier auf Schwäbisch, der sonst nur Diplomaten durchließ. Aber damit war klar, dass es sich hier um Westdeutsche handelt, auf Ausflug nach Ost-Berlin. „Mit dem Rad kamen wir bloß nicht dort durch“, erinnert sich Rösler, der dann kurzerhand das Velo hochkant stellte und mit seinen Freunden wohl der Einzige war, der jemals diesen Fußgänger-Durchgang per Rad passierte. „In dieser Nacht war eben nichts mehr so, wie es einmal war.“

Dann ging es wieder zurück zum Brandenburger Tor. Dort waren inzwischen sogar Wasserwerfer aufgefahren. Rösler kletterte mit seiner Kamera in eine Platane und hatte den besten Blick auf die geschichtsträchtigen Ereignisse. Die Mauerspechte hatten erstmals Hand angelegt. „Da waren Punks und Nazis dabei, die vereint auf die Mauer einhackten“, beschreibt er die bizarre Szene rückblickend. Um drei Uhr nachts versuchte dann ein Mann vergeblich mit Hilfe eines SUVs und einer Eisenkette ein angeschlagenes Element aus der Mauer zu brechen. Später in der Nacht gelang dies. Die NVA versuchte noch das umgeknickte Mauerelement mit Hilfe eines Schweißgeräts zu reparieren. „Dieser hilflose Versuch, die bestehende Ordnung wieder herzustellen, war ein Sinnbild für den Niedergang der DDR.“

Am nächsten Tag sieht er, wie die Menschen den Westen stürmen. Lange Schlangen vor den Banken, wo sie ihr Begrüßungsgeld abholen wollen. Trabis auf allen Straßen von West-Berlin. „Die ganze Uhlandstraße roch nach dem Zweitaktergemisch der Trabis, die den Ku’damm hoch und runter gefahren sind.“ Unter frenetischem Jubel der Passanten. Noch ahnte niemand, dass die DDR schon in einem Jahr nur noch Geschichte sein würde.

Für Markus Rösler war der Mauerfall auch ein persönlicher Glücksfall. Denn es war endlich möglich, die Verwandten im Osten ohne Repressionen durch die Grenzer zu besuchen. Auch sein berufliches Leben wurde dadurch massiv beeinflusst. Im November 1989 konnte er erstmals an einer Tagung von Biologen in Ost-Berlin teilnehmen.  Dort erfuhr er, wie schlimm es damals um den ostdeutschen Wald stand. Daten zum Waldsterben waren in der DDR streng geheim. Sein Buch über den Naturschutz in der DDR konnte er so zu Ende schreiben. Und der Naturschutz hat den Grünen-Politiker nicht mehr losgelassen. „Die Ereignisse rund um den Mauerfall haben mich nachhaltig geprägt.“

Info: Am 14. November berichtet Rösler ab 19 Uhr im Vaihinger Friedrich-Abel-Gymnasium unter dem Motto „72 Stunden ohne Schlaf – der Mauerfall vom 9. bis 12.11.1989 in Berlin“.