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Alles im Leben hat zwei Seiten

Cindy Velz mit ihrer hundertteiligen Serie „Farbmuster“, unten ein Werk mit Abklatschtechnik, ebenfalls auf Musterstoffen. Fotos: Andreas Becker
Cindy Velz mit ihrer hundertteiligen Serie „Farbmuster“, unten ein Werk mit Abklatschtechnik, ebenfalls auf Musterstoffen. Foto: Andreas Becker
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Marbach. Bei Möbelhäusern und Friseuren ist Cindy Velz schon ein wenig berüchtigt für ihr Interesse an dem, was sonst in der Regel keiner mehr haben möchte. Alte Musterstoffordner und Frisurzeitschriften etwa – schließlich bilden diese das Rohmaterial für ihre Kunst. Die gebürtige Belgierin, die in Backnang lebt und arbeitet, rückt in vielen ihrer Werke die Protagonistinnen der großen, weiten Modewelt in einen anderen Kontext, indem sie aus einem Foto in tausendfach verbreiteten Drucksachen wie Zeitschriften und Katalogen ein Einzelstück macht und ihnen damit eine neue Wertigkeit gibt. Einige präsentiert die 47-Jährige nun in der Ausstellung „Der schöne Schein“ in der Galerie Wendelinskapelle.

Cindy Velz fasziniert dabei besonders die Korrespondenz zwischen Vorder- und Rückseite, dieses Prinzip zieht sich durch fast alle ihre Werke. Seiten aus Katalogen und Zeitschriften hält sie zunächst gegen das Licht, so dass sie erkennt, an welchen Stellen es interessante Bezüge gibt. Dann schneidet sie mit Schere und Skalpell die Models aus – und zeigt etwa auf einfarbigem Hintergrund die Rückseite, auf der die Silhouette der ersten Figur nun mit einer anderen Figur kollidiert. So in der über hunderteiligen Serie „Farbmuster“. „Die Rückseite interessiert mich, denn die Vorderseite wird schnell langweilig“, sagt die Künstlerin.

Eine großformatige Collage hängt mitten im Ausstellungsraum: „Klunker“ besteht aus vielen kleinen Schnipseln, von denen einige auf der Vorderseite Schmuckstücke zeigen. Sorgfältig schwebend sind sie so zusammengeklebt, dass sie zusammen die Silhouette einer Frau mit langem Rock ergeben. Die Collage, durch die an den Klebestellen das Licht fällt, ist so gerahmt, dass sie von beiden Seiten verglast ist. So sieht man die wiederum deutlich abstraktere Rückseite. Einen anderen Ansatz wählt sie, wenn sie sich der Abklatschtechnik bedient: Auf Acrylfarbe gepresst, löst sich die Farbe der Zeitschriftenseite und ein gespiegelter Abdruck des Originals entsteht.

Warum schneidet man etwas aus einem Katalog aus und etwas Anderes nicht? Diese Frage beschäftigt Cindy Velz. „Die Auswahl ist autobiografisch geprägt, intuitiv“, vermutet sie. Zwei große Schränke voller Papierschnipsel hat Velz daheim, aber keineswegs wild gehortet, sondern sorgfältig nach Themen sortiert. Manchmal fallen ihr Ähnlichkeiten zwischen einem Bild und einem ihrer Sammlerstücke auf – und sie begibt sich auf die Suche. Als „Nebenprodukt“ entstehen dann mitunter Duo-Collagen, bei denen eine Figur aus einem historischen Kunstwerk einem in Physiognomie, Pose oder Kleidung ähnlichen Foto begegnet. Dass alles im Leben als zwei Seiten hat, zeigt Cindy Velz mit ihrem ungewöhnlichen technischen Ansatz in dieser sehenswerten Ausstellung.

Info: Die Ausstellung „Der schöne Schein“ ist bis 12. September in der Wendelinskapelle zu sehen.