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Areal Überrück
Asperg: Propaganda-Video gegen Baugebiet

Das Baugebiet Überrück am Asperger Südrand ist eher klein, der Streit darum um so größer. Archivfoto: Holm Wolschendorf
Das Baugebiet Überrück am Asperger Südrand ist eher klein, der Streit darum um so größer. Foto: Holm Wolschendorf
Der Streit um das Neubaugebiet Überrück erreicht eine neue Dimension. Bis vor kurzem kursierte auch ein Video im Internet, das Propaganda-Qualität hat und inzwischen nur noch privat verbreitet wird. Es diskreditiert den Gemeinderat und verleumdet Ex-Bürgermeister Ulrich Storer.

Asperg. Ein Mann, angeblich aus Möglingen, filmt – wahrscheinlich mit einer Helmkamera – seine Radtour. Dabei sticht ihm ein Plakat am Straßenrand ins Auge. Darauf steht geschrieben „Bürgerprotest: Klimaschutz Ade – statt Grün hier Wohnbunker“. Scheinbar „zufällig“ stehen dort zwei ältere Herren, die der angebliche Möglinger aus „purem Interesse“ spontan interviewt. Der „Reporter“ scheint der Querdenker-Bewegung nahe zu stehen und sympathisiert mit der AfD, ist außerdem selbst wohnungssuchend. Das Trio bleibt anonym. Es fallen keine Namen, es werden keine Gesichter gezeigt. Nur das Transparent neben einer Litfaßsäule, eine Wiese mit Randbebauung, ein paar Bäume und vorbeifahrende, laute Autos.

Nur bei einem Schwenk ist ein Asperger Bürger – und Architekt in Möglingen – ganz kurz zu erkennen. Er ist einer der Wortführer der Protestbewegung gegen das Baugebiet, gibt sich als Umweltschützer und Bauexperte. Dass seine Tochter in unmittelbarer Nachbarschaft gegenüber zu Überrück wohnt – ein reiner Zufall?

Der vorgebliche Reporter und seine unbekannte Begleitung ziehen in dem Filmchen ungehemmt vom Leder. Der früheren Bürgermeister Ulrich Storer wird der Korruption und Vetterleswirtschaft bezichtigt. Stadträte werden als inkompetente, ahnungslose und willfährige Jasager dargestellt. Der Verwaltung wird vorgeworfen, dass dem Bauträger früh Versprechungen gemacht worden seien. Das Trio beklagt den Verlust von Bäumen, die viel zu hohe Bebauung und einen geplanten, aber gesundheitsschädlichen Spielplatz zu nahe am Kreisverkehr Richtung Möglingen. Weiter heißt es, dass Flachdächer ungeeignet für Photovoltaikanlagen seien.

Das in Bild und Ton technisch miserabel gemachte 20-minütige Filmchen wurde auf „Du weißt, dass du Asperger bist“ online gestellt. Selbst über die offizielle Facebook-Seite der Stadt wurde es verbreitet, dort aber bald entdeckt und in Quarantäne verschoben. Jetzt ist es nur noch auf der Facebook-Privatseite des Verfassers zu finden.

Bürgermeister Christian Eiberger verurteilte das Machwerk in der jüngsten Gemeinderatssitzung in schärfster Form. „Es ist ein gutes Recht für jeden, seine Meinung offen zu äußern. Aber das anonyme Verbreiten von polemischen Diffamierungen und nachweisbarer Falschmeldungen überschreitet die Grenzen einer Demokratie.“ Konstruktiv-kritische Anwohner distanzierten sich von der Veröffentlichung.

Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Michael Klumpp wäre sogar noch weiter gegangen als mit einer öffentlichen Rüge. Er hätte sich eine Strafanzeige gegen den „verleumderischen“ Urheber gewünscht. „Die Stadt hat in diesem Verfahren alles richtig gemacht, es hat keine Rechtsverstöße gegeben.“ Er forderte die Nachbarn des neuen Wohngebiets auf, sich in ihre eigene Lage vor 25 Jahren zu versetzen. Damals hätten sie in exakt derselben Situation gesteckt. Sie wollten in Asperg leben, hätten aber ohne das Neubaugebiet Lange Äcker nichts gefunden. „Ein bisschen mehr Solidarität“, appellierte Klumpp. Die Wohnungsnot werde bestimmt nicht durch Einfamilienhäuser gelöst.

Der örtliche Bauträger Betz Baupartner plant hier 74 Wohneinheiten, verteilt auf sieben Gebäude. Mit Grünanlage und Freiflächen. Man habe im gegenseitigen Einvernehmen mit der Stadt alle Auflagen erfüllt, sieht Hans-Peter Betz das Projekt Überrück als Opfer einer Schmutzkampagne. Immerhin wartet die 7500 Quadratmeter kleine Brache seit Mitte der 1990er auf ihre Bebauung.

Von den elf Bäumen entlang der Oskar-Schlemmer-Straße müssten vier wegen Altersschwäche ohnehin gefällt werden, so Schultes Eiberger. Die sieben gesunden würden im Stadtgebiet verpflanzt. Dafür würden zehn neue Bäume gesetzt. Im Wohngebiet selbst seien weitere vorgesehen. Der Abstand zu den Nachbarhäusern in der Umgebung werde außerdem 25 Meter betragen. „Das gibt es in Asperg sonst nirgends.“

Im Gemeinderat herrscht mittlerweile der Eindruck, dass der Umweltschutz nur ein vorgeschobenes Argument sei, um Eigeninteressen zu wahren. Deshalb gebe es innerhalb der Gegnerschaft auch keine einheitliche Stoßrichtung. Jeder schlage eine andere, ihm genehme vor. Die einen wollten die Tiefgarageneinfahrt je nach eigener Wohnlage lieber hier, die anderen dort. Und das höchste Gebäude solle am besten einem anderen vor die Nase gesetzt werden.

Eine Stunde dauerte es in der Gemeinderatssitzung, die Einwendungen gegen das Baugebiet abzuarbeiten. Von öffentlicher Seite gab es nur Anmerkungen am Rande. Die meist gleichlautenden Widersprüche von zehn betroffenen Anliegern wurden allesamt als unbegründet zurückgewiesen. Nur in einem Punkt bekamen die Kritiker recht: Die Reserve von 50 Zentimetern in der Bauhöhe wurde zurückgenommen. Jetzt wird der vorhabenbezogene Bebauungsplan nochmals für drei Wochen öffentlich ausgelegt.