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Werben für Inklusion
Auf Tandem von Berlin nach Tokio

Haben eine ungewöhnliche Reise vor sich: Jürgen Pansin (rechts) und Sven Marx. Foto: privat
Haben eine ungewöhnliche Reise vor sich: Jürgen Pansin (rechts) und Sven Marx. Foto: privat
Es ist eine Reise, die wohl ihresgleichen sucht: Jürgen Pansin, der bis Ende seiner Schulzeit in Besigheim lebte, und Sven Marx radeln 15.000 Kilometer von Berlin nach Tokio zu den Paralympischen Spielen. Das allein ist schon beeindruckend. Und doch ist es noch so viel mehr: Pansin ist blind, nimmt nur noch Schatten und Umrisse wahr, Marx hat einen Hirntumor. Mit der sechsmonatigen Tour wollen sie für Inklusion, für die Gleichberechtigung und Teilhabe behinderter Menschen werben.

Besigheim/Berlin. In knapp zwei Wochen, am 7. März, wollen die beiden Männer am Brandenburger Tor in Berlin losfahren. Vor wenigen Tagen kam das Visum für China an – darauf hatten Jürgen Pansin und Sven Marx noch gewartet. Jetzt wissen sie: „Wir können unsere Tour auf der ursprünglich geplanten Route machen.“ Über Polen, die Ukraine, Russland, Kasachstan, China, Südkorea bis ins japanische Tokio wollen sie radeln.

Dabei nutzen sie kein klassisches Fahrrad, sondern ein Stufentandem, bei dem die beiden lediglich Kleinigkeiten umgebaut haben. Der 63 Jahre alte, in Berlin lebende Pansin wird vorne sitzen, quasi wie in einem Liegerad, und in die Pedalen treten. Einen Lenker hat er nicht. Ihm das Steuer zu überlassen wäre auch recht schwierig: „Ich habe nur noch ein Prozent Sehfähigkeit“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Als Kind bekam er nach einer Diphterie-Impfung eine Augenkrankheit, eine Regenbogenhautentzündung. Nach und nach erblindete er auf seinem linken Auge. Da war er neun Jahre alt. Große Einschränkungen habe er aber nicht gehabt, das rechte Auge hatte noch eine Sehkraft von 80 Prozent. Und die hatte es auch, als er bis 1975 in Besigheim seine Schulzeit verbracht und hier Abitur gemacht hat. An Besigheim hat er gute Erinnerungen, „ich komme gerne zu Besuch“. Seine Mutter lebt noch hier und er war erst im November beim Treffen seines 1956er Jahrgangs.

Nach dem Studium setzte sich die Erblindung von Pansin fort; er hatte einen Verschluss an der Netzhautvene, die Netzhaut wurde zum größten Teil abgestoßen. Jetzt nimmt er nur noch Schatten und Umrisse wahr. Jürgen Pansin hat das Gefühl, sein Sehen wird immer schlechter. Deswegen habe er sich auch jetzt zu dieser Reise entschlossen – „wer weiß, ob ich nächstes Jahr noch etwas sehe“.

Wobei die Idee der Tokio-Tour nicht von ihm stammt, sondern von Sven Marx. Bei dem einstigen Tauchlehrer wurde vor einigen Jahren ein Hirntumor entdeckt. Nach der Operation gingen die Ärzte davon aus, dass er ein Pflegefall werden würde. „Doch er hat sich über Monate und Jahre hochgerappelt“, sagt Pansin. Und bedingt durch seine Gleichgewichtsprobleme falle Marx das Radfahren leichter als das Laufen. So ist er vor drei Jahren schon einmal um die Welt geradelt. Und während dieser Reise hat Sven Marx bereits an das nächste Projekt gedacht: mit jemandem, der nicht sehen kann, nach Tokio zu fahren. Jürgen Pansin hat von dieser Idee erfahren und den Kontakt mit Marx gesucht. Die beiden Männer lernten sich kennen, tüftelten an ihrer Reise und machten natürlich auch Probefahrten, etwa auf den Brocken. Marx sitzt hinten, lenkt und bremst.

Für Jürgen Pansin ist es nicht ungewöhnlich, Tandem zu fahren. „Ich fahre sehr viel“, sagt er. Doch bei den Rädern, die er im Berliner Blindensportverein nutzt, sitzt er immer hinten, der sehende Fahrer sitzt vor ihm auf diesem klassischen Tandem. Aber bei beiden Varianten gelte: „Man muss sich immer auf den Piloten verlassen. Bei Leuten, bei denen ich ein schlechtes Gefühl habe, steige ich ab.“ Auf Sven Marx könne er sich verlassen – „es muss nicht nur die Chemie stimmen, sondern auch das Vertrauen da sein“. Aber genauso müsse Marx auch ihm vertrauen.

Wenn alles läuft wie geplant, werden die beiden Männer sechs Monate zusammen unterwegs sein. Am 25. August wollen sie zur Eröffnung der Paralympischen Sommerspiele in Tokio sein. Ein halbes Jahr getrennt von der Ehefrau und dem Sohn, der während dieser Zeit 16 Jahre alt wird. „Er findet es nicht ganz so gut, dass ich die Tour mache“, sagt Jürgen Pansin, „aber inzwischen habe ich das Gefühl, er kann es akzeptieren.“ Seine Frau unterstütze ihn. „Wir werden sehen, wie einfach oder schwierig es für mich wird.“ Während der Reise werde er natürlich mit seiner Familie Kontakt halten. Die technischen Geräte – also Kameras, Ladegerät und Tablet – finden in einer Fahrradtasche Platz. Auch ein Akku fürs Rad ist im Gepäck; denn eine Anschubhilfe wird vermutlich spätestens dann benötigt, wenn die beiden Männer durch die Wüste Gobi fahren. Ansonsten hat jeder der beiden Reisenden eine Fahrradtasche für seine Habseligkeiten: ein paar Klamotten, Waschzeug und Dinge für den täglichen Bedarf. Das war’s. „Auf dem Fahrrad wird man der Meister des Weglassens. Ich musste das auch erst ein bisschen lernen.“ Zudem gibt es eine gemeinsame Tasche für die Verpflegung – „da sind auch Schokokekse als Notverpflegung drin“, sagt Pansin und lacht. Kochgeschirr oder einen kleinen Kocher nehmen sie aus Platzgründen nicht mit. Schließlich müssen noch Zelte mit. Jürgen Pansin und Sven Marx finanzieren diese Reise großteils selbst. Das Fahrrad haben sie gesponsert bekommen, genau wie Zelt und einige Kleidungsstücke.

Jürgen Pansin freut sich auf das, was vor ihm liegt. „Es sind sehr spannende Länder.“ Er betont, dass diese Reise nicht aus Jux angetreten werde. Die beiden Männer arbeiten mit dem Berliner Verein „Handiclapped – Kultur barrierefrei“ zusammen. Die Tour findet unter dem Motto „Inklusion rockt und rollt“ statt. Mit im Gepäck ist auch eine Inklusionsfackel. In den jeweiligen Ländern, die sie auf ihrer Reise durchqueren, werden sie in Botschaften und Konsulaten empfangen und tauschen sich dort über Inklusion aus beziehungsweise wollen dafür werben. Höhepunkt soll dann bei den Paralympics sein, wenn sie die Inklusionsfackel an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übergeben wollen. Ob das auch klappt, wird sich erst vor Ort entscheiden, „aber wir werden auf jeden Fall im Deutschen Haus empfangen“.