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Corona
„Damit würden Alte ausgegrenzt“

In den Kommunen im Landkreis Ludwigsburg hält man nichts davon, dass Ältere nicht mehr den ÖPNV nutzen sollen. Archivfoto: Boris Roessler/dpa
In den Kommunen im Landkreis Ludwigsburg hält man nichts davon, dass Ältere nicht mehr den ÖPNV nutzen sollen. Foto: Boris Roessler/dpa
Sollen Rentner nur noch morgens einkaufen, um sich vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen? Dies fordert jedenfalls Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Der Grünen-Politiker will die Senioren aus dem normalen Alltag weitgehend raushalten. Das stößt im Kreis Ludwigsburg auf wenig Begeisterung.

Kreis Ludwigsburg. Die Palmer-Initiative erinnert ein wenig an das Vorgehen in Schweden. Alle Bürger, die über 65 Jahre alt sind, sollen kostenlos eine FFP2-Maske erhalten. Außerdem werden jüngere Bürger gebeten, nicht mehr zwischen 9.30 und 11 Uhr einkaufen zu gehen. Dieses Zeitfenster solle den Covid-19-Risikogruppen überlassen werden. Ältere Bürger sollten sich darüber hinaus schützen. Wer fit genug ist, soll nicht den Bus, sondern das Fahrrad nutzen, auch wenn es kälter wird. Alternativ gibt es die Möglichkeit, für wenig Geld ein Anrufsammeltaxi zu benutzen.

Ludwigsburgs Erster Bürgermeister Konrad Seigfried kann darüber nur den Kopf schütteln. „Es macht überhaupt keinen Sinn, jetzt in die Kakophonie der verschiedenen Vorschläge einzusteigen“, sagt er. Palmer würde mit seiner Initiative viel zu kurz springen. „Wie sollen verschiedene Einkaufszeiten realistisch umgesetzt werden“, fragt Seigfried. Den Vorschlag, dass Senioren auf den ÖPNV verzichten, hält er schlicht für „weltfremd“. „Als ob alle Taxifahrer auf Corona getestet wären.“ Er setzt darauf, die gemeinsame Strategie von Bund und Ländern jetzt auch konsequent umzusetzen. „Also Kontakte reduzieren, möglichst zu Hause bleiben, Maske tragen und Abstand halten.“

Keine Einmischung durch die Stadt

„Wir beabsichtigen nicht, in der Stadt Bietigheim-Bissingen den älteren Menschen vorzuschreiben, wie sie sich in der Öffentlichkeit bewegen sollen oder wann sie einkaufen gehen sollen“, sagt auch Jürgen Kessing. „Die älteren Menschen in unserer Stadt sind zum überwiegenden Teil noch durchaus in der Lage, ihre Situation und ihre gesundheitlichen Risiken selbstständig einzuschätzen und würden sich die Einmischung der Stadtverwaltung verbitten“, ergänzt der Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen.

Die Stadtverwaltung sei mit ihrem Familienbüro und ihren Seniorenselbsthilfeorganisationen, wie dem Verein Aktive Senioren oder der AWO in engem Kontakt, um Hilfen zu organisieren, wenn diese benötigt werden. „Dazu gehört auch die Nachbarschaftshilfe, die einen Einkaufsservice organisieren kann, wenn dieser benötigt wird.“ Allerdings habe bereits der erste Lockdown im Frühjahr gelehrt, dass die meisten Senioren durchaus mithilfe von Familienangehörigen oder Nachbarn ihre Angelegenheiten regeln könnten. Eine Unterstützung durch Dritte sei nur in Einzelfällen erforderlich gewesen. „Daher halten wir die Vorschläge von Herrn OB Palmer nicht für zielführend.“

Besigheims Bürgermeister Steffen Bühler findet es „eher stigmatisierend, wenn die Senioren nur in bestimmten Zeiten Bus fahren sollen oder nur zu bestimmten Zeiten einkaufen.“ Sie seien zwar besonders zu schützen, aber Teil des städtischen Lebens. „Sie sind auch selbstständig in der Lage, sich die für sie passende Maske selbst zu kaufen. Einer kommunalen Initiative bedarf es dazu nicht.“

Eigenverantwortung ist gefragt

„Gerade unsere älteren Bürger sind durch ihre Lebenserfahrung sehr gut in der Lage, eigenverantwortlich mit der Situation umzugehen“, sagt Marbachs Bürgermeister Jan Trost. Auch die Stadt Kornwestheim setzt lieber auf die Wirksamkeit der geltenden Maßnahmen als darauf, einzelne Bevölkerungsgruppen zu separieren. „Vielmehr ist die Eigenverantwortung jedes einzelnen, auch älteren, Menschen, gefragt“, so Oberbürgermeisterin Ursula Keck.

„Menschen ab 60 Jahren zu empfehlen, nicht mehr mit dem Bus zu fahren, hat daher für mich mit Ausgrenzung und nicht nur mit Schutz zu tun.“ Grundsätzlich sei allen Menschen, die sich ihren Einkauf frei einteilen können, zu raten die Zeiten zu meiden, in denen Berufstätige ihre Einkäufe erledigen, nämlich nachmittags und am frühen Abend. „Das ist für mich eher eine Sache des Menschenverstandes. Ich halte nichts davon, Einkaufszeiten vorzuschreiben“, so Keck.

Oberbürgermeister Michael Makurath sieht in Ditzingen keinen Bedarf für eine solche Regelung. „Ich erlebe durchaus, dass insbesondere ältere Menschen sich sehr vorsichtig und vernünftig verhalten und keiner weiteren Hinweise zu Ihrem eigenen Schutz bedürfen, die auch als zusätzlicher Eingriff in Freiheitsrechte oder schlimmstenfalls als Bevormundung missverstanden werden könnten.“ Auch kostenlose FFP2-Masken hält Makurath derzeit nicht für nötig.

Auch die Kreisverwaltung hält nur wenig von dem Vorschlag. Aus fachlicher Sicht sei alles zu begrüßen, was die Kontakte der Menschen, jung oder alt, reduziert. Nur durch Kontaktvermeidung ließen sich Infektionsketten effektiv unterbrechen. Ob der von Palmer vorgeschlagene Weg hingegen erfolgreich sein kann, könne man nicht einschätzen. „Wir würden ihn von unserer Seite nicht erwägen.“