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Katastrophenhilfe
„Das wirkt alles sehr surreal“

Bilder vom Einsatz des „@fire“-Rettungsteams im zerstörten Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut; mit Spürhunden wurde nach Überlebenden der Explosion gesucht.Fotos: @fire
Bilder vom Einsatz des „@fire“-Rettungsteams im zerstörten Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut; mit Spürhunden wurde nach Überlebenden der Explosion gesucht.
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Der Marbacher Nico Scheich ist von einem Hilfseinsatz in Beirut zurück – Suche nach Überlebenden war vergebens

Marbach. „Es ist erschreckend zu sehen, was Chemie anrichten kann.“ Mit diesem Satz fasst Nico Scheich die Gedanken zusammen, die ihm beim Anblick der verheerenden Zerstörungen rund um den Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut durch den Kopf schossen. Der Marbacher war mit einem Team der internationalen Hilfsorganisation „@fire“ im Nahen Osten, um nach Überlebenden unter den Trümmern zu suchen. Gefunden haben die Helfer aus Deutschland niemanden. Vermutlich, weil die Detonation von 2750 Tonnen Ammoniumnitrat im näheren Umkreis des Hafens niemand überlebt hat.

Für den 25-Jährigen, der schon im Alter von zwölf Jahren der Marbacher Jugendfeuerwehr beitrat und bis heute Mitglied der Wehr ist, war dies der erste Einsatz mit „@fire“ im klassischen Bereich „Suche und Rettung“, berichtet Scheich. Er ist mit den Mitgliedern seines Teams am Montagmorgen wieder in Frankfurt gelandet. Nach körperlich hochanstrengenden vier Tagen in Beirut, bei Temperaturen um die 35 Grad und extrem hoher Luftfeuchtigkeit.

Scheich und sein Team waren gemeinsam mit Vertretern des Technischen Hilfswerks (THW) in einem von der libanesischen Armee zugeteilten Bereich in der Nähe der explodierten Lagerhalle im Einsatz. „Unsere Aufgabe war es, die Schäden zu dokumentieren und eine Einschätzung zu den Chancen abzugeben, Überlebende zu finden“, erzählt der 25-Jährige. Zweimal haben die ehrenamtlichen Helfer ihren Sektor untersucht und begutachtet, „erst dann wurden die Rettungshunde losgeschickt“, so Scheich. Doch angeschlagen hat keiner der vierbeinigen Helfer. Sie sind dafür ausgebildet, Überlebende zu finden, keine Leichenspürhunde.

Doch welchen Bildern man bei einem so dramatischen Einsatz wie diesem ausgesetzt sein wird, das weiß vorher niemand. Dennoch habe er erst kurz vor der Landung in Beirut Aufregung verspürt, sagt der Marbacher, „die hat sich dann aber doch gesteigert, bis wir am Einsatzort waren.“ Angst, schwerstverletzte Menschen oder Tote zu finden, habe er nicht gehabt, „auch wenn man sich natürlich Gedanken über das Ausmaß der Katastrophe macht“, meint Scheich. „Ich bin durch meine lange Zugehörigkeit zur Feuerwehr im positiven Sinn vorbelastet, in vielen Einsätzen abgehärtet.“ Außerdem war auch eine psychologische Schulung Bestandteil des zweijährigen Lehrgangs, den Scheich absolvieren musste, um bei „@fire“ als Ehrenamtlicher eingesetzt zu werden.

Die Nichtregierungsorganisation wurde übrigens dezidiert vom libanesischen Botschafter in Deutschland im Rahmen eines Hilfeersuchens angefordert. „Danach entscheidet ein speziell eingerichteter Stab bei @fire über die Art des Einsatzes, dann bekommen die Mitarbeiter eine Alarm-SMS, auf die hin sie sich melden“, beschreibt Scheich das Prozedere. Wer zum Team gehört, wird anhand der Qualifikation entschieden. Der Marbacher wurde zudem problemlos von seinem Arbeitgeber Teamtechnik in Freiberg freigestellt.

Hat man in solch einer Situation nicht Angst um die eigene Sicherheit, ja, um das eigene Leben? Die verdränge man ein Stück weit, sagt der 25-Jährige, „man funktioniert vor Ort ein bisschen wie eine Maschine, ruft die eingeübten Tätigkeiten und Routinen ab“. Zudem sei ein Team aus Italien mit der Gefahrstoffmessung im Hafen von Beirut beauftragt gewesen, sprich: Es wurde ständig kontrolliert, ob die Gefahr einer weiteren Explosion besteht. „Und von dem Ammoniumnitrat war definitiv nichts mehr da“, meint der Marbacher fast schon lakonisch. Natürlich hat auch er vorab die Bilder der irrsinnigen Explosion und des gewaltigen Feuerballs gesehen, die Beirut in einem Radius von drei Kilometern rund um den Hafen fast völlig zerstört hat.

Scheich schränkt aber auch ein, dass bei Weitem nicht ganz Beirut in Schutt und Asche liegt, „das kam manchmal im Fernsehen so rüber“. Die libanesische Hauptstadt ist fast so groß wie Berlin, hat zwei Millionen Einwohner. Das Team von „@fire“ und die THWler waren in einer deutsch-libanesischen Schule untergebracht, „dort hatten wir sanitäre Einrichtungen und Stromversorgung. Das ist wichtig, um die Akkus unserer Geräte laden zu können.“ Grundsätzlich aber können Teams wie das, dem Nico Scheich angehörte, bis zu zehn Tage komplett autark leben beziehungsweise überleben; auf diesen Zeitraum ist die Ausrüstung ausgelegt.

„Ausschlafen!“ – das hat der 25-Jährige als Erstes gemacht, nachdem er am Montag wieder in Marbach angekommen war. Ein paar Tage, so glaubt er, wird es noch dauern, bis er den Einsatz im Nahen Osten verarbeitet hat. Das Ausmaß der Zerstörung, das Trümmerfeld im Hafen, „das hatte schon etwas sehr Surreales“.