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Porträt
„Die Luft ist voller Tatendrang“

Die 17-jährige Nefeli Louka hat sich gegen Zehntausende Mitbewerber aus aller Welt durchgesetzt und ein lebenslanges Stipendium erhalten. Damit rückt für die Schülerin des Vaihinger Stromberg-Gymnasiums ein Studium an einer Eliteuniversität in greifbare Nähe – und auch die Möglichkeit, sich voll und ganz ihren Herzensthemen zu widmen.

Vaihingen/Bietigheim-Bissingen. Den 25. Oktober dieses Jahres wird Nefeli Louka so schnell nicht mehr vergessen. Als sie ihre jüngere Schwester von der Schule abholte, kam der Anruf aus New York. „Ich war erst mal sprachlos und habe mein ganzes Englisch vergessen“, erzählt die Schülerin aus Bietigheim-Bissingen im Gespräch. „Das ist ja eine Riesenförderung, mit der sich so viele Möglichkeiten eröffnen.“ An diesem Tag erfuhr sie, dass sie in das Stipendienprogramm Rise (Englisch für „Aufstieg“, siehe Kasten) aufgenommen wird, das vielversprechende junge Menschen ein Leben lang fördert. „Meine Mutter konnte es gar nicht glauben und hat gefragt: ‚Bist du dir ganz sicher?‘“

Der Weg dorthin erstreckte sich über mehrere Monate und Bewerbungsrunden. Zuerst musste Nefeli Louka ein Video hochladen, in dem sie sich vorstellt. Im nächsten Schritt galt es, ein eigenes Projekt auszuarbeiten und zu dokumentieren. „Das konnte alles Mögliche sein – ein Businessplan, ein Kunstwerk, eine Recherchearbeit“, so die 17-Jährige. Von Zehntausenden Bewerbern blieben danach noch 500 übrig, aus denen bei Gesprächen, Präsentationen und Gruppenaufgaben unter Zeitdruck die 100 künftigen Stipendiaten ausgewählt wurden.

Projekt gegen sexualisierte Gewalt

Als Projekt hat Nefeli Louka ein Konzept für Schulen entwickelt, mit dem Jugendliche besser vor sexualisierter Gewalt geschützt werden sollen. „Das ist ein Herzensthema, zu dem ich auch einen emotionalen Bezug habe“, erklärt sie ihre Wahl. Sie habe selbst sexualisierte Gewalt erlebt und zunächst nicht gewusst, wie sie sich Hilfe holen soll. „In der Breite der Gesellschaft ist das eher ein Tabuthema und wird unter den Teppich gekehrt.“ Unabhängig davon, wo die Gewalt stattfindet, hält sie Schulen für den geeignetsten Ort, das Thema flächendeckend anzugehen, da man dort nahezu jeden erreiche.

Zur Annäherung an das Thema habe sie sich eigene Gedanken gemacht und Basisinformationen, wie etwa Täterstrategien und bereits vorhandene Konzepte, recherchiert. „Dabei ist mir aufgefallen, dass hierarchische Strukturen am meisten dafür sorgen, dass Dinge nicht angesprochen werden“, so Nefeli Louka. Im Weiteren hat sie eine ausführliche Anleitung erstellt, wie ein solches Konzept in einer Schule umgesetzt werden kann: Mit Verhaltenskodex, Beschwerdestruktur, Ansprechpartnern, Interventionsplan für den Fall der Fälle getrennt nach Tätern von innerhalb und außerhalb der Schule – aber auch einem Weg zum Umgang mit einem Verdacht, der sich als falsch herausstellt.

Nachdem ihr das Stipendium zugesagt wurde, war für Nefeli Louka das Projekt nicht beendet – im Gegenteil. Derzeit überarbeitet sie das Konzept, das bisher 14Seiten Text umfasst. „Ich will den akademischen Charakter wegnehmen, damit es leichter zu vermitteln ist“, so ihr aktuelles Ziel. Das Projekt mache ihr so viel Spaß, dass es zum Hobby geworden ist: „Ich sitze auch mal acht Stunden daran und merke es gar nicht. Das heißt nicht, dass es nicht manchmal anstrengend ist und ich nicht verzweifle – aber ich finde immer eine Lösung.“

Auch an den Petitionsausschuss des Landtags in Stuttgart hat sie sich bereits gewandt, um ein solches Konzept für Schulen verpflichtend zu machen. In der Antwort habe man ihr zwar grundsätzlich zugestimmt, dann aber auf mehreren Seiten begründet, warum der Petition nicht abgeholfen werden kann.

Über die Möglichkeit, sich für das Rise-Programm zu bewerben, hatte Nefeli Louka über die Start-Stiftung erfahren. In deren deutschlandweitem Stipendienprogramm wurde sie bereits zuvor finanziell und ideell gefördert. Die Start-Stiftung unterstützt Jugendliche mit Einwanderungshintergrund drei Jahre lang und versteht sich als Schmiede für außergewöhnliche Talente. „Es geht dabei um Bildung und Engagement, die Noten sind nicht so wichtig“, so die Schülerin. Die Start-Stiftung unterstützt das Rise-Programm dabei, geeignete Kandidaten zu finden.

Die Gemeinschaft bei der Start-Stiftung beschreibt Nefeli Louka als „Safe Space“ – als geschützten Raum, in dem sie sich mit anderen Migranten austauschen kann: „Jeder von uns hat Erfahrungen von Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund der Herkunft gemacht.“ Dennoch unterschieden sich die Erfahrungen etwa bei Muslima oder Schwarzen. „Man merkt dabei, dass es kein Normal gibt, nur unterschiedliche Perspektiven – und Werte, die wir alle haben.“ Die Stiftung sei für sie inzwischen wie eine Familie: „Die Luft ist voller Tatendrang und gegenseitigem Interesse.“ Diesen Tatendrang merkt man auch Nefeli Louka an, wenn sie von ihren Interessen schwärmt – und dies mit den Bewegungen ihrer Hände unterstreicht.

Perspektiven aus der ganzen Welt

Nun kann sie es kaum erwarten, sich mit den anderen Rise-Stipendiaten über globale Probleme auszutauschen: „Ich liebe Diskussionen, ich lebe davon.“ Auch deren Perspektiven auf die Welt interessieren sie. Wie vielfältig diese sind, zeigen bereits einige weitere Projekte: Ein Mitgewinner hat sich Gedanken gemacht, wie man an Schulen Unternehmenskultur vermitteln kann, um in seiner Heimat Südafrika die Armut zu bekämpfen. Ein anderer Jugendlicher aus Niedersachsen überzeugte die Jury mit seiner Idee zur Reintegration von Obdachlosen.

Derzeit besucht Nefeli Louka die elfte Klasse des Stromberg-Gymnasiums in Vaihingen und hat als Leistungsfächer Deutsch, Englisch und Gemeinschaftskunde gewählt. Studieren würde sie gern Politikwissenschaft oder Soziologie. Wenn sie in der Freizeit nicht an ihrem Projekt weiterarbeitet, liest sie gern, vor allem Sachbücher zu Themen wie Demokratie, Feminismus und Migration sowie Klassiker. Zwischen englischer Literatur des 19.Jahrhunderts wie Oscar Wilde und Jane Austen darf es für sie auch gern mal eine antike Tragödie sein. „Meine griechischen Wurzeln“, sagt sie – und lächelt.

Denn vor zehn Jahren ist sie mit ihrer Familie aus Griechenland nach Deutschland gezogen, die Sprache hat sie erst hier gelernt. „Wir haben uns eine bessere Zukunft erhofft und diese auch bekommen“, sagt sie im Hinblick auf Arbeit und Schulbildung. Das Rise-Stipendium trägt dazu nun noch einen weiteren großen Teil bei. „Ich muss mir um den finanziellen Aspekt des Studiums keine Sorgen mehr machen, es geht nur noch um meine Leistung“, sagt Nefeli Louka. Hoch im Kurs stehen bei ihr gerade unter anderem die Eliteuniversitäten Oxford und Cambridge.