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Schicksal
„Diese Krankheit hat keine Lobby“

Marco Schulz (Mitte) lässt mit Familie und Freunden einhundert Luftballons steigen, um auf die Nervenkrankheit ALS aufmerksam zu machen. Foto: Alfred Drossel
Marco Schulz (Mitte) lässt mit Familie und Freunden einhundert Luftballons steigen, um auf die Nervenkrankheit ALS aufmerksam zu machen. Foto: Alfred Drossel
Der Freudentaler Marco Schulz ist unheilbar an ALS erkrankt. Mit außergewöhnlichen Aktionen versucht der Familienvater, auf die Nervenkrankheit aufmerksam zu machen und so damit beizutragen, dass sie weiter erforscht wird. Auch wenn er wohl nicht mehr von einer Therapie profitieren würde.

Freudental. Heute ist kein so guter Tag. Marco Schulz hat schlecht geschlafen, Krämpfe gehabt. Trotzdem nimmt sich der Freudentaler an diesem Freitagnachmittag Zeit für ein Gespräch – über sich, seine Erkrankung ALS und über seine Mission, auf diese heimtückische Nervenkrankheit aufmerksam zu machen (wir berichteten). Dafür ist heute ein besonderer Tag, auf den sich Marco Schulz sehr gefreut hat: Familie und Freunde sind gekommen, gemeinsam lassen sie vor dem Haus einhundert rote Luftballons in den blauen Himmel steigen. An jedem Ballon ist ein Zettel befestigt, darauf stellt sich Marco Schulz vor und informiert über die wichtigsten Fakten zu seiner Krankheit.

Es beginnt im Januar 2017 mit einem Zucken im linken Oberarm. Im Abstand einiger Wochen meldet sich das Muskelzucken wieder, dauert dann einige Tage an. Motorische Fähigkeiten lassen nach, Muskelschwäche kommt hinzu. Ein Ärzte-Marathon schließt sich an: Hausarzt, Neurologe, Umweltmediziner; alle rätseln, während sich die motorischen Störungen häufen. Schließlich erhält der Freudentaler die niederschmetternde Diagnose: Amyotrophe Lateralsklerose. ALS. Die Krankheit ist nicht heilbar. Sie schwächt und lähmt die Muskeln, Betroffene verlieren nach und nach die Kontrolle über ihren Körper. Meist erst über Arme und Beine, schließlich auch über Stimme, Schluckfunktion und Atmung. Einzig der Geist bleibt unberührt. Die mittlere Überlebenszeit beträgt zwischen drei und fünf Jahren. Pro Jahr erkranken weltweit drei von 100000 Menschen an ALS, etwa 8000 Betroffene gibt es in Deutschland. Prominente Fälle sind der 2007 verstorbene Maler Jörg Immendorff und der vor zwei Jahren verstorbene Physiker Stephen Hawking.

In der ersten Zeit sind die körperlichen Beschwerden bei Marco Schulz noch beherrschbar, die Arbeit als Ingenieur noch ohne Einschränkungen möglich. Mittlerweile sitzt der 39-Jährige im Rollstuhl, das Sprechen fällt ihm schwer. Es gebe gute und schlechte Tage, „aber die schlechten nehmen leider überhand“, sagt der Freudentaler. „Ich gebe mir Mühe, aus jedem Tag das Beste zu machen, aber es fällt sehr schwer.“ Seine Ehefrau Nina versucht, das Familienleben so normal wie möglich zu gestalten. Auch für die beiden Töchter. Aber natürlich sei die Krankheit irgendwie immer präsent; das sei sehr belastend.

Nach der Diagnose haben Marco Schulz vor allem zwei Fragen beschäftigt: „Wie kann ich auf die Krankheit aufmerksam machen? Und was will ich meinen Kindern für ihr Leben mitgeben?“ Er beginnt, die Gute-Nacht-Geschichten aufzuschreiben, die er seinen Töchtern erzählt. Immer geht dabei um die Erlebnisse eines Marienkäfers. „Kleiner Marienkäfer Marie und ihre Freunde“ ist mittlerweile in der vierten Auflage erschienen – ein überwältigender Erfolg, mit dem der 39-Jährige niemals gerechnet hätte. Das Buch sei eine Art Vermächtnis, sagt Marco Schulz. „Alles, was ich will, ist meinen Kindern meine Liebe für die Ewigkeit zu hinterlassen. Denn Liebe kennt keine Grenzen, auch nicht über den Tod hinaus.“

Im Vorwort schreibt er auch darüber, wie und warum dieses Buch zustande gekommen ist – und hofft, dass seine Krankheit so mehr Aufmerksamkeit bekommt. Rund 1800 Exemplare sind bereits gedruckt und teils mit prominenter Unterstützung beworben worden – unter anderem von Ex-Fußballnationalspieler David Odonkor und Radprofi André Greipel.

ALS sei in Deutschland nur wenig bekannt, berichtet der Familienvater. „Diese Krankheit hat keine Lobby.“ Auch weil nur wenig Menschen jährlich erkrankten und die Pharmaindustrie deshalb nicht in Zugzwang sei, möglichst schnell eine Therapie zu entwickeln. Mit seinen Aktionen will er versuchen, das zu ändern. Auch wenn Marco Schulz selbst wohl nicht mehr davon profitieren würde: „Diese Hoffnung habe ich aufgegeben“, sagt der Freudentaler. Mit zwei weiteren Patienten, Ralf Kindsvater aus Mannheim und Markus Ihm aus München, hat er deshalb auch die Aktion „#10000vsALS“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, über die sozialen Medien auf die Krankheit aufmerksam zu machen. Mindestens 10000 Nutzer sollen dafür ein Selfie von sich mit dem Slogan posten.

Info: Das Buch „Kleiner Marienkäfer Marie und ihre Freunde“ ist im Verlag Edition Bad Wimpfen erschienen und kostet 12,90 Euro. Wer mit Marco Schulz Kontakt aufnehmen möchte, kann dies über Instagram (goofy253) und Facebook (Marco Schulz) tun.