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Nachgefragt
Erwin Hetger Landesvorsitzender der Opferschutzorganisation Weißer Ring

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Nach Jahren der Diskussion hat nun auch Baden-Württemberg einen Opferbeauftragten. War es dafür höchste Zeit?

Zunächst einmal, in der Person von Uwe Schlosser hat man einen Volltreffer gelandet. Herr Schlosser bringt für diese Aufgabe die Empathie auf, die man haben muss, um positiv wirken zu können. Ich bin auch erfreut darüber, dass der Beauftragte in seiner Arbeit begrenzt wird auf große Schadensereignisse, weil bei diesen eine immense Koordinierungsaufgabe im Raum steht. Wenn das künftig der Opferbeauftragte in die Hände nimmt und die, was ich jetzt noch nicht beurteilen kann, entsprechenden Kompetenzen hat, um das zu koordinieren, dann kann das viel besser laufen als in der Vergangenheit.

Der neue Opferbeauftragte soll sich um Opfer und Angehörige von Terror, Amokläufen und Großschadensereignissen kümmern. Gibt es für andere Gewaltopfer etwa schon genügend Anlaufstellen?

Da gibt es keine Lücke, denn wir haben bei der Justiz und bei der Polizei Opferschutzbeauftragte vor Ort und unsere Außenstellen des Weißen Rings. Wenn die alle gut zusammenarbeiten, dann gibt es keine bessere Lösung.

Es gibt sechs Traumaambulanzen im Land. Wären solche praktischen Anlaufstellen nicht hilfreicher?

Das ist zutreffend und zeigt die Problematik. Der Opferbeauftragte wird genau an die Grenze stoßen, an die wir als Weißer Ring Tag für Tag stoßen. Was wir brauchen, ist ein flächendeckendes Netz von Traumaambulanzen. Auf mein Drängen wurden vor sieben, acht Jahren sechs Ambulanzen als Pilotprojekt eingerichtet. Nach drei Jahren sollten sie evaluiert werden. Mir ist bis heute – trotz Nachfrage beim Sozialminister – kein Ergebnis bekannt. Und bis heute wurde über diese sechs hinaus keine weitere Traumaambulanz eingerichtet. Ein so großes Flächenland wie wir kann sich damit aber nicht begnügen.

Warum ist das so wichtig?

Wenn wir Psychologen und Psychotherapeuten benötigen, müssen wir oft lange auf professionelle Hilfe warten. Aber jeder Tag, der verstreicht, verschlimmert die Situation eines traumatisierten Opfers. Denn wenn die seelischen Verletzungen vernarben, ist der Aufwand, der dann geleistet werden muss, um zu helfen, viel aufwendiger und kostenintensiver. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Die Stelle des Opferbeauftragten ändert an dieser Situation null Komma null, das Problem besteht weiter.

Für welche Opfer kommen Traumaambulanzen in Betracht?

Opfer von Kindesmissbrauch und schwerer Gewalt zum Beispiel. Vergewaltigte, sexuell missbrauchte Frauen. Wenn die drei, vier Wochen warten müssen, ist es schon zu spät. Da muss am nächsten oder übernächsten Tag die therapeutische Betreuung anlaufen. Aber das ist in Baden-Württemberg heute nur bedingt möglich.

Gibt es weitere Hilfen, die dringend notwendig sind?

Ja, das sind Gewaltambulanzen. Es gib nur die Gewaltambulanz an der Universitätsklinik Heidelberg. Dort haben im vergangenen Jahr über 400 Opfer Hilfe gesucht. Dort kann beispielsweise eine vergewaltigte Frau hingehen, die Spuren der Gewalt von Gerichtsmedizinern dokumentieren lassen, was auch vor Gericht verwertbar ist. Dann kann sich die Frau in Ruhe überlegen, ob sie zur Polizei geht und eine Anzeige erstattet. Das ist gerade für vergewaltigte Frauen und Opfer häuslicher Gewalt wichtig, weil die Täter meist aus dem familiären Umfeld kommen.

Warum haben wir im Land nur eine Gewaltambulanz?

Ich kann nur vermuten, dass es rein finanzielle Gründe sind. Aber wir können doch einer vergewaltigten Frau in Konstanz unmittelbar nach der Tat nicht sagen, jetzt müssen wir nach Heidelberg fahren, um die Spuren zu sichern! Es muss deshalb mindestens an den Universitätskliniken mit einer Rechtsmedizin Gewaltambulanzen geben.Fragen: Ippokratis Ioannidis